Tag gegen Lärm: Im Klassenzimmer ist es oft so laut wie auf der Hauptstraße – vier von fünf Lehrern fühlen sich dadurch gestresst

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MÜNCHEN. Lärm im Unterricht belastet sowohl Lehrer als auch Schüler. Verschiedene Maßnahmen versprechen Besserung. Leider passiert das viel zu selten. Denn das Problem werde nach wie vor oft tabuisiert und belächelt, beklagt der Verband BLLV. Heute (26. April) ist der „Tag gegen Lärm“.

Krach im Klassenzimmer empfinden die meisten Lehrkräfte als extrem belastend. Foto: a4gpa / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Krach im Klassenzimmer empfinden die meisten Lehrkräfte als extrem belastend. Foto: a4gpa / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Lärm macht krank – auch im Klassenzimmer, und zwar Lehrer und Schüler gleichermaßen. Im Rahmen einer Belastungsstudie der GEW Niedersachsen erklärten vier von fünf Lehrkräften, großen Lärm regelmäßig als großen Stressfaktor zu empfinden, der nicht einfach wegzustecken sei. „Das Thema Lärm in Schulen und Kindertagesstätten ist nicht einfach beiseite zu schieben. Allerdings wird es immer noch zu oft tabuisiert und belächelt. Kolleginnen und Kollegen müssen fürchten, dass man ihr Klagen über Lärm als persönliches Versagen verunglimpft oder als pädagogische Schwäche bagatellisiert. Das ist aber falsch“, so heißt es auf der Homepage des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) in einem Beitrag zum Thema.

Die wichtigste Geräuschquelle im Unterricht ist zwar nur die menschliche Stimme, doch auch mit ihr kann in Klassenzimmern eine Lautstärke auf dem Niveau einer stark befahrenen Straße erreicht werden. Das hat eine Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ergeben. In vier Grundschulen und einer Schule der Sekundarstufe I maß die Projektgruppe in 30 untersuchten Klassen während des Unterrichts einen durchschnittlichen Schallpegel zwischen 60 und 85 Dezibel. Der Wert liegt damit zwar nicht jenseits der Grenze von 85 Dezibel, ab der nach Arbeitsstättenverordnung Gehörschutz Pflicht ist, überschreitet aber den maximal zulässigen Durchschnittspegel für Räume, in denen geistig gearbeitet wird. Dieser Wert verringert sich zudem von 55 auf 35 Dezibel, wenn dort zusätzlich viel gesprochen wird, wie es in Klassenzimmern der Fall ist.

„Der Lehrer ist mittags heiser“

Die Autoren der Studie bezeichnen die Werte als „Lärm mittlerer Intensität“. Doch auch ein Lautstärkepegel in diesem Bereich kann nach Angaben von Diplom-Ingenieur Peter Hammelbacher, Mitglied im INQA-Arbeitskreis „Lärm in Bildungsstätten“ bei der BAuA, die Gesundheit beeinträchtigen. „Der Lehrer ist mittags heiser, lärmsensibel, braucht eine lange Erholungsphase und hat vielleicht sogar Bluthochdruck“, beschreibt er etwaige Auswirkungen in einem Interview mit dem BLLV. Die am BAuA-Projekt beteiligten Autoren geben allerdings zu bedenken, dass es „schwierig oder unmöglich“ sei, nachzuweisen, ob „Lärm mittlerer Intensität“ an sich schon krankmache. In Zusammenhang mit den anderen Belastungsfaktoren, die in Bildungseinrichtungen gleichzeitig wirken würden, wie verhaltensauffällige Schüler, könne sich Lärm auf diesem Niveau aber als durchaus schädlich erweisen. Mögliche Folge: vorzeitiger Verschleiß, etwa durch Burn-out.

Zumal es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Lärm im Unterricht zunimmt. „Offene, handlungsorientierte Unterrichtsformen sind aus der heutigen Unterrichtspraxis nicht mehr wegzudenken, im Gegenteil: ihr Einsatz ist vom Lehrplan vorgeschrieben. Gerade bei Gruppenaktivitäten aber kommt es auf Grund des ‚Kneipeneffekts‘ – jede Gruppe muss die Nachbargruppe bei ihren Gesprächen übertönen – sehr schnell zu hohen Schallpegeln“, so heißt es beim BLLV. Dazu komme, dass nicht nur im Klassenzimmer gelärmt werde. „Häufig wird auch der Lärmpegel in den Pausen und zwischen den Stunden als äußerst belastend empfunden.“

Neben den Lehrkräften leiden auch Schüler unter einem zu hohen Lärmpegel, so Psychologe Helmut Heyse, denn „Lärm beeinträchtigt das psychische Wohlbefinden“. Einen Extremfall beschreibt Ingenieur Hammelbacher: „Ein Grundschüler musste sich sogar regelmäßig übergeben, wenn er von der Schule nach Hause kam. Schuld war der Lärm.“ Zu große Lautstärke beeinträchtige darüber hinaus auch die schulischen Leistungen.

Akustik im Klassenzimmer verbessern

Wege, den Lärmpegel im Unterricht zu verringern, gibt es verschiedene. Wenn der Schulträger die nötigen finanziellen Mittel bereitstellt, kann die Akustik im Klassenzimmer verbessert werden. „Eine besondere Rolle spielt hierbei innerhalb eines Raumes der Nachhall beziehungsweise die Nachhallzeit. In der Regel ist sie deutlich zu hoch. Hohe Nachhallzeiten beeinträchtigen insbesondere bei Hintergrundgeräuschen nachhaltig das Verstehen und die Konzentrationsfähigkeit von Schülern und Lehrern“, so heißt es beim BLLV. Als Gegenmaßnahme  wird der Raum mit schallschluckendem Material nachgerüstet, wie Mineral- oder Glaswolle. Lehrer und Schüler müssen dann nicht mehr gegen den Nachhall des bereits Gesprochenen anreden. Sie könnten leiser sprechen.

Lehrkräfte könnten darüber hinaus mit ihren Schülern leises Verhalten trainieren oder das Thema „Lärm“ im Unterricht bearbeiten. Die Unfallkasse Berlin rät etwa, gemeinsam Lärmregeln zu erarbeitet. Die Schüler sollten dabei die Möglichkeit erhalten, zu beschreiben, wie sich Lärm auf sie auswirkt. Dadurch könnten sie später besser nachvollziehen, warum sie die anschließend erarbeiteten Gegenmaßnahmen befolgen sollten. Anna Hückelheim / Agentur für Bildungsjournalismus

 

Hintergrund: Der Tag gegen Lärm - und der Lärmkoffer für Schulen

In Deutschland ist der Tag gegen Lärm am 26. April eine Aktion der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA e. V.). An diesem Aktionstag geht es darum, die Aufmerksamkeit auf die Ursachen von Lärm und seinen Wirkungen zu lenken, mit dem Ziel, die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Die Informationen und Aktionen am „Tag gegen Lärm“ richten sich an Erwachsene und Kinder sowie fachlich interessierte Kreise und politisch Verantwortliche.

Schulen haben die Möglichkeit, sich bei der DEGA einen Lärmkoffer auszuleihen, um diesen im Unterricht oder an Aktions- und Projekttagen einzusetzen. Der Koffer „Lärmdetektive – dem Schall auf der Spur“ wurde für den Unterricht an Schulen entwickelt und produziert, um Kinder und Jugendliche für die „Fähigkeiten ihrer Ohren“ zu sensibiliseren. Mit dem Lärmkoffer werden Messgeräte und Unterrichtseinheiten mit Experimentier- und Bastelanleitungen zur Beurteilung von Schall und seinen Wirkungen bereitgestellt. Das Ausleihen ist kostenfrei. Es fällt lediglich eine Versandpauschale an.

Informationen dazu gibt es hier.

 

 

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Gut, dass das auch mal Thema ist.

Lärm und Chaos im Unterricht sind für viele Kollegen ein großes Problem. Es macht die Lehrer dauerkrank (Stichwort: Lehrermangel, Attraktivität des Lehrerberufs) und es behindert Lernen erheblich (Stichwort „immer schlechtere Leistungen“)!

Die Ansätze, Lärm im Klassenraum, zu vermeiden, finde ich hingegen ein bisschen „niedlich“, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das kommt sicherlich wieder von Leuten, die nie als Lehrer gearbeitet haben: Akkustik verbessern; Thema „Lärm“ im Unterricht behandeln … Das ist so das, was Lehrerstudenten heutzutage an Unis lernen und womit sie im Alltag scheitern. 🙁

GriasDi
6 Jahre zuvor

Den Arbeitgeber kümmert diese Lärmbelastung leider überhaupt nicht.