Gastkommentar: Erklären statt warnen! Wie wir Kinder auf die digitale Welt vorbereiten können

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BERLIN. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat eine Studie präsentiert, die einen Zusammenhang zwischen übermäßigem Konsum elektronischer Medien und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern aufzeigt. Zuvor hatte Gerald Lembke, Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, auf die rasante Suchtentwicklung beim Digitalen hingewiesen – innerhalb von nur vier Jahren habe sich die Anzahl der digitalabhängigen Jugendlichen verdoppelt. Was tun angesichts solcher Befunde? Den Zugang einschränken, wie Lembke es fordert, oder gar verbieten? Für unseren Gastautoren, den Medienpädagogen Dr. Philipp Knodel, ist das keine Option.

Bald geht's los: Die digitale Revolution erreicht die Schulen in Deutschland. Foto: Lucélia Ribeiro / flickr (CC BY-SA 2.0)
Sollen Eltern und Lehrer den Zugang für Kinder zu digitaler Technik sperren? Foto: Lucélia Ribeiro / flickr (CC BY-SA 2.0)

Von Phillip Knodel

Da ist es wieder: Das böse Internet, vor dem wir unsere Kinder warnen und am besten fernhalten sollten. Weit fernhalten. Und wenn wir dann noch unsere Augen ganz fest zu machen, die Ohren zuhalten und einfach lange warten, dann ist das Internet wieder gut.

Das wird aber so nicht klappen. Denn anstatt Kinder – wie Herr Lembke fordert – von digitalen Geräten fernzuhalten und sie 12 Jahre lang über Risiken aufzuklären, sollten wir ihnen ein Grundverständnis vermitteln. Nur dann können sie Risiken und Chancen selbst einschätzen.

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Wie schafft man es, dass junge Menschen einen sinnvollen Umgang mit der digitalen Welt lernen? Indem man ihnen die Möglichkeit gibt, digitale Themen zu verstehen und konstruktiv zu nutzen. Wenn junge Menschen einmal selbst eine App programmiert oder eine Webseite entwickelt haben, verstehen sie wie so etwas geht. Kinder sollten verstehen, wie Software funktioniert und was Konzepte der Informatik sind. Sie sollten wissen, was Daten sind, wie Daten gespeichert werden und wie man sie sichern kann. Sie sollten auch wissen, was Algorithmen sind, welche Zugriffsrechte eine App hat und welche Inhalte aus dem Internet frei verwendet werden dürfen.

Natürlich können Kinder und Jugendliche dann noch nicht programmieren. Aber darum geht es auch nicht. Sie bekommen ein grundlegendes Verständnis, wie Software entsteht, was die Chancen und was die Risiken sind. Wir unterstützen mit unserer gemeinnützigen Organisation App Camps Lehrkräfte dabei, digitale Themen zu unterrichten. Aktuell gibt es Kurse zu App Entwicklung, Webseiten mit HTML & CSS, Scratch und Calliope Mini. Weitere Lehrunterlagen zu Fake News & Social Bots, Datenbanken und Datensicherheit erarbeiten wir gerade.

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Nicht alle Lehrkräfte wollen und können solche Themen unterrichten. Aber wir wollen es den interessierten Lehrerinnen und Lehrern so einfach wie möglich machen. Deshalb ist unser Anspruch, dass auch Lehrkräfte ohne Informatikstudium unsere Unterlagen einsetzen können. Unsere Unterlagen werden in den Fächern Informatik und Medien genutzt, aber auch im Biologie- oder im Kunstunterricht. Lehrkräfte können sich selbstständig in einer Online-Fortbildung einarbeiten, und wir bieten regelmäßig Fortbildungen an verschiedenen Standorten an. Das Interesse ist groß – mehr als 1.000 Lehrkräfte aus allen Bundesländern, Österreich und der Schweiz nutzen die Unterlagen bereits.

Diese absoluten Zahlen sind gut. Für uns viel wichtiger ist die Wirkung der Kurse auf die Kinder und Jugendliche: Über 70% der Teilnehmenden wollen nach den Kursen noch mehr über Themen rund um Programmierung wissen. Besonders bei Schülerinnen und Schülern ohne Vorkenntnisse zeigen sich positive Wirkungen: das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten steigt signifikant, Interesse an digitalen Themen steigt, Jugendliche haben Lust eigene Ideen umzusetzen. Das sind tolle Ergebnisse – vor allem weil in der Gruppe ohne Vorkenntnisse viele bildungsbenachteiligte Jugendliche und Mädchen sind. Für diese Jugendlichen ist es eine große Chance, diesen Bereich zu erleben und Fähigkeiten zu lernen.

Grundlegende Fähigkeiten gefordert

Warum ist das wichtig? Es geht nicht darum – wie Herr Lembke sagt –  Kinder und Jugendliche “massenhaft zu Programmierern auszubilden”. Kinder können mit Computer, Tablet und Smartphone mehr lernen als eine “hohe Wischkompetenz”. Sie brauchen grundlegende digitalen Fähigkeiten, die über das reine Bedienen von Apps und Smartphones hinausgehen. Den Zugang zu diesem Wissen brauchen aber alle jungen Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Deshalb müssen diese Inhalte in die Schule, und dürfen nicht nur außerschulisch vermittelt werden.

Aber: Das bedeutet nicht, dass wir dafür Latein abschaffen müssen, alle Bücher rauswerfen oder alle Jugendliche zu Programmiererinnen und Programmierern werden. Es geht darum, Zugänge zu der digitalen Welt zu öffnen. In der Debatte um digitale Bildung geht es aber bisher meistens nur um entweder – oder. Entweder Computer oder Bücher. Entweder WLAN oder Sanierung von Schulklos. Entweder Informatik oder Latein. Entweder Chancen oder Risikoaufklärung. Entweder digitale Fähigkeiten oder Internetsucht. Entweder Smart Schools oder digitalfreie Räume.

Damit kommen wir aber nicht weiter. Es wird Zeit, über die Dinge dazwischen zu reden – zum Beispiel über Inhalte und wie digitale Themen sinnvoll in der Breite vermittelt werden können. Die Frage sollte sein, wie wir Kinder darauf vorbereiten können, digital mündig zu werden. Also konstruktiv UND kritisch die digitale Zukunft gestalten können. Denn mit Augen zudrücken kommen wir nicht weiter – verschwinden wird das Internet so schnell nicht.

 

Hintergrund: App Camps

App Camps (www.appcamps.de) entwickelt Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte zu Informatik und anderen digitalen Themen. Die gemeinnützige Organisation wurde von Philipp und Diana Knodel gegründet. Anfangs organisierten die Gründer außerschulische Veranstaltungen. Damit erreichten sie aber vor allem Jugendliche mit Vorkenntnissen durch die Förderung von Eltern. Deshalb entwickelten sie eine Online-PLattform mit Unterrichtsinhalten für Lehrkräfte. Das Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, diesen Bereich einmal auszuprobieren.

App Camps ist gemeinnützig, die Unterrichtsinhalte sind für Lehrkräfte kostenlos. Über eine Online-Plattform bekommen Lehrkräfte Zugang zu kostenlosen Unterlagen und Schulungsinhalten. Aktuell gibt es Kurse zu App-Entwicklung, Webseiten entwickeln mit HTML&CSS, Scratch und Calliope mini. Kurse zu Themen wie Social Bots und Datensicherheit sind in Planung.

Mehr Infos:
App Camps gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt)
Philipp Knodel
philipp@appcamps.de
www.appcamps.de

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