UEDEM. Die Langzeitdokumentation ICH.DU.INKLUSION., die der Lehrerverband VBE als Kooperationspartner unterstützt, läuft seit dem 4. Mai 2017 bundesweit in über 60 Kinos. Der Film zeigt auf sehr eindringliche Weise, warum Inklusion an Schulen schiefgehen kann. Regisseurs Thomas Binn hat uns im Interview erklärt, warum es ihm ein Anliegen war, gerade bei diesem Thema so genau hinzuschauen.
News4teachers.de: Herr Binn, sie haben fast drei Jahre lang ein Grundschulklasse in dem kleinen Ort Uedem in NRW begleitet. Was war der Anlass, diesen Film zu drehen und warum gerade dort?
Thomas Binn: Die Grundschule in Uedem kenne ich sehr gut, auch aus meiner pädagogischen Zeit heraus. Ich bin zusammen mit dem Schulleiter auf die Idee gekommen, diesen Dokumentarfilm zu realisieren und dort den ersten offiziellen Inklusionsjahrgang im Rahmen einer Langzeitdokumentation filmisch zu begleiten. Ich sehe mich dabei in erster Linie als ein Vertreter der Kinder – mir ist es ein großes Anliegen, die Bildungssituation, die Lebensbedingungen von Kindern bei uns im Land zu verbessern. Außerdem wollte ich gucken, wie es den Kindern heutzutage wirklich geht, wie sie mit dem Thema Inklusion umgehen und was das mit Eltern und Lehrern macht.
N4T: Was soll ihr Film bewirken? Ist er auch als ein Weckruf in Richtung Politik zu sehen?
Binn: Ich würde mir wünschen, dass Politiker, Verbände, Lehrkräfte und Eltern im Kino zusammen kommen, sich den Film anschauen und anschließend gemeinsam überlegen, was beim gemeinsamen Unterricht an den Schulen besser gemacht werden kann. Wir sollten überlegen, wie wir den Prozess an der Schule verbessern können im Sinne der Ausbildung der Kinder. Es gibt so viele Stellschrauben in der Schule, an denen gedreht werden muss, um es für die Kinder besser zu machen. Ich habe so viele Kinder kennengelernt, die nicht die Möglichkeit bekommen, ihr Potenzial in der Schule zu entfalten, weil die Rahmenbedingungen so sind wie sie sind. Ein Mädchen hat z. B. erzählt, dass es sich oft einen ganzen Vormittag meldet, aber nicht drankommt. Es versucht sich bis zum nächsten Tag zu merken, was es sagen will, aber das klappt meist nicht. Und ich würde mir wünschen, dass der Film ein Mittel zum Dialog wird – das wäre mein größter Wunsch.
N4T: In dem Film sind sehr oft Kinder zu sehen, die über Arbeitsblättern brüten und daran verzweifeln. Geht Inklusion auch schief, weil der Unterricht abwechslungsreicher sein müsste?
Binn: Selbst so ein langer Film kann natürlich nur Ausschnitte zeigen. Ich habe den Unterricht als sehr abwechslungsreich empfunden. Die Kinder haben nicht nur am Tisch gesessen, sondern zum Beispiel mit einer Trommel zählen und rechnen geübt, ein Theaterstück einstudiert, Ausflüge gemacht und vieles mehr. Die Inklusion scheitert hier, weil die Ressourcen fehlen, weil die Politik das Geld nicht ausgeben will. So simpel ist es leider. Ich finde das sehr, sehr bedauerlich. So wird die nachwachsende Generation kaputt gemacht – und eine eigentlich sehr gute Idee, die Inklusion, gleich mit.
N4T: Was fehlt ihrer Meinung nach konkret an den Schulen, damit Inklusion gelingen kann? Warum geht Inklusion größtenteils schief und was muss sich ändern?
Binn: Es fehlt letztendlich an allem. Es fehlt an Zeit, an Geld, an personeller, an räumlicher Ressource, es fehlt an Unterrichtsmaterial. Es fehlt an allem, um Inklusion zu einem gelingenden Modell führen zu können. Wir wollen Kinder fordern und fördern, und ich würde mir wünschen, dass das System Schule sich multiprofessionalisiert, dass wir viel mehr Professionen an der Schulen haben, sprich Klassenlehrer, Sonderpädagogen, Sozialpädagogen, Schulpsychologen für Kinder, die vielleicht eine Schwerst- und Mehrfachbehinderung haben, und vielleicht auch Pfleger. Solange wir keine Multiprofessionalisierung haben, solange wir keine Differenzierungsräume haben, solange wir nicht viel mehr Personal haben, Geld haben, Zeit haben, solange wird auch Inklusion nicht gelingen können. Mir ist es wichtig, dass wir an diesem Thema dranbleiben, dass sich unsere Gesellschaft dahingehend entwickelt, dass Inklusion als ein ganz normaler Bestandteil unseres alltäglichen Lebens angesehen wird. Dafür braucht man natürlich einen langen Atem. Und ein viel höheres Budget in den Bildungsetats. Die Fragen stellte Melanie Kieslinger

