Trotz einer zumeist aufgeschlossenen Haltung: Lehrer haben gegenüber Muslimen Vorurteile, die sich im Unterricht auswirken

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BERLIN. Deutsche Lehrer haben zur Migration von Muslimen liberalere Ansichten als die Gesamtbevölkerung. Wie eine aktuelle Studie zu Bildungschancen von Kindern aus Zuwandererfamilien zeigt, sind 76 Prozent der aktiven Lehrkräfte der Auffassung, die islamische Kultur sei für Deutschland eine Bereicherung. Zum Vergleich: Dieser Aussage stimmten insgesamt 54 Prozent aller Befragten zu. Den Satz „Muslime belasten das Sozialsystem“ hielten bei dieser Befragung zehn Prozent der Lehrer für richtig – gegenüber 21 Prozent der Gesamtbevölkerung. Trotzdem hegen auch Lehrkräfte Vorurteile, die sich im Unterricht auswirken.

Muslimischen Schülern wird weniger zugetraut als deutschstämmigen. Foto: wahyucurug / pixabay (CC0)
Muslimischen Schülern wird weniger zugetraut als deutschstämmigen. Foto: wahyucurug / pixabay (CC0)

Nach wie vor haben vor allem Schülerinnen und Schüler mit einem türkischen oder arabischen Migrationshintergrund geringere Bildungschancen als Kinder ohne Migrationshintergrund. Eine groß angelegte, von der Stiftung Mercator geförderte Studie hat nun die Bedeutung von Einstellungen und Erwartungen von Lehrkräften für migrationsbezogene Ungleichheiten im Bildungssystem untersucht.

Die Forscher stellten fest, dass Lehrer trotz ihrer im Schnitt liberalen Einstellungen einige „Vorbehalte gegenüber Muslimen“ hätten. „Nur 61 Prozent aller befragten Lehrkräfte meinen, Muslime seien genauso bildungsorientiert; dabei wurden hohe Bildungsaspirationen zum Beispiel in türkeistämmigen Familien mehrfach wissenschaftlich belegt“, erklärte eine der Studienautorinnen, Prof. Naika Foroutan von der Berliner Humboldt-Universität. „Nicht nur die soziale, sondern auch die ethnische, kulturelle und religiöse Herkunft spielen in deutschen Klassenzimmern eine Rolle.“

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So erwarteten Lehrkräfte von Kindern mit Migrationshintergrund generell etwas geringere Leistungen, und zwar auch, wenn deren bisherige Leistungen gleich gut wie die von deutschstämmigen Kindern gewesen seien. Verzerrte Erwartungen wirkten sich auch auf das Lehrkrafthandeln im Unterricht aus und könnten Lernerfolge beeinflussen, sagte eine weitere Autorin der Studie, Prof. Petra Stanat. Sie erklärte: „Aus der sozialpsychologischen Forschung wissen wir, dass Stereotype unser Denken und Handeln beeinflussen können, selbst wenn wir diese Vorannahmen nicht glauben. Unsere Studie zeigt, dass dies auch in der Schule vorkommen kann. Auch wenn die Effekte klein sind, ist es wichtig, sich das bewusst zu machen, denn dann kann man sie vermeiden.“

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Verinnerlichte Vorurteile

Eine weitere Quelle für Leistungsunterschiede sei, so haben die Forscher ermittelt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund negative Stereotype, die sie in ihrem Umfeld vermuten oder beobachten, selbst verinnerlichen und deswegen schlechtere Leistungen erbringen. Untersucht wurde, wie Lehrkräfte solche negativen Effekte im Unterricht abfedern können. Ein an elf Berliner Integrierten Sekundarschulen durchgeführte Experiment zeigte: Wenn Schüler mit türkischer und arabischer Herkunft an einer sogenannten „Selbstbestätigungsintervention“ teilgenommen und sich mit Themen auseinandergesetzt haben, die ihnen wichtig sind, zeigen sie sowohl unmittelbar danach als auch zwei Monate später signifikant bessere Leistungen in Mathematik.

Die Erkenntnisse der Studie können damit dazu beitragen, den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern zu verbessern: „Lehrkräfte können einer Benachteiligung einzelner Kinder durch ungewollte Stereotype und verzerrte Erwartungen gezielt und mit einer vergleichsweise einfachen Intervention entgegenwirken“, befand Dr. Cornelia Schu, Direktorin des Forschungsbereichs. beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)

Beteiligt an der Studie waren das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Forschungsbereichs des SVR. Winfried Kneip, Geschäftsführer der Stiftung Mercator, die das Projekt gefördert hat, hob hervor: „Bildung ist nach wie vor ein wichtiger Schlüssel zu Chancengerechtigkeit. Schulen brauchen daher ganzheitliche Konzepte, die auf den guten Umgang mit Vielfalt zugeschnitten sind. Gleichzeitig ist die Rolle der Lehrkräfte ganz zentral. Es ist wichtig, dass sie vorurteilsfrei agieren und dazu beitragen, das Selbstwertgefühl ihrer Schüler zu stärken. Die aktuelle Studie zeigt, mit welchen einfachen Mitteln dies oft schon möglich ist.“ Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

Hier geht es zu der vollständigen Studie.

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