Amok! In den nächsten Tagen ist die Gefahr von Nachfolge-Taten erhöht

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PARKLAND. Das Blutbad von Florida macht fassungslos. Die freie Verfügbarkeit von Schusswaffen in den USA – der Täter soll ein halbautomatisches Schnellfeuergewehr verwendet haben – scheint einen Bezug zur Situation in Deutschland, wo solche Waffen kaum in die Hände von Jugendlichen kommen, auszuschließen. Und doch hat es auch schon in der Bundesrepublik Amokläufe gegeben. Gerade in den nächsten Tagen und Wochen ist Wachsamkeit geboten: Nie ist die Gefahr eines Amoklaufs so groß wie kurz nach einem Amoklauf.

Schauplatz eines Blutbads: Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland. Foto: Formulanone / Wikimedia Commons

Ein 19-Jähriger hat an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland (USA) mindestens 17 Menschen erschossen und 14 verletzt. Der Schütze, der nach Angaben der Polizei große Mengen Munition bei sich gehabt hatte, wurde gefasst. Es soll sich um einen ehemaligen Schüler handeln, der aus disziplinarischen Gründen von der Schule verwiesen wurde. „Wenn man eine solche Tat an einer Schule hat, steigt das Risiko enorm an, dass andere Jugendliche sich darauf beziehen und sagen, ich möchte auch unsterblich berühmt werden durch eine solche Tat“, so erklärt Amokforscher Jens Hoffmann von der TU Darmstadt gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. „Die Täter reihen sich sozusagen in die Reihe der düsteren Helden ein.“

„Wir kennen das schon aus der Suizid-Forschung seit Jahrhunderten“, sagt Hoffmann. „Der sogenannte Werther-Effekt hat beschrieben, dass es nach der Veröffentlichung des Buches ‚Die Leiden des jungen Werther‘ von Johann Wolfgang von Goethe eine Selbstmordreihe gab, die sich an dem Buch orientiert hat.“ Dass persönliche Probleme in einem Amoklauf münden können, sei „eine neue kulturelle Handlungsmöglichkeit, die es früher so nicht gab“, sagt der Wissenschaftler. „Früher haben Jugendliche in einer Mischung aus kalter Wut, Verzweiflung und Depressivität vielleicht über Selbstmord nachgedacht und sich dann doch stabilisiert.“ Aber jetzt bestehe die Möglichkeit, dass die Täter durch eine Gewalttat in einer Schule berühmt und dann im Internet von anderen Jugendlichen als Rächer bewundert würden.

Daher sei an den Schulen Aufmerksamkeit geboten Warnsignale seien zum Beispiel, wenn sich ein Schüler stark mit Amokläufern oder anderen Gewalttätern identifiziert, echte oder unechte Waffen zeigt oder Selbstmordgedanken äußert. „Und natürlich konkrete Androhungen“, betont Hoffmann laut Bericht. „Das passiert gar nicht so selten.“

Nach zehn Tagen

Eine Untersuchung der Universität Würzburg, die zusammen mit einer amerikanischen Universität durchgeführt worden sei, bestätige die akute Gefahr unmittelbar nach einem solchen Geschehen wie dem von Parkland: „Die Studie zeigt, dass in der Regel nach einem Zeitraum von zehn Tagen nach einem Amoklauf ein weiterer stattfindet“, so wird Prof. Dr. Dr. Armin Schmidtke vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm für Deutschland dazu zitiert. Die Jugendlichen würden anfangen, über diese Methode, sich an Mitschülern und Lehrern zu rächen, nachzudenken – und sich dann sagen, das könnte ich eigentlich auch tun.

In Deutschland kommt es immer wieder zu Amok-Drohungen in Deutschland, die zumeist folgenlos bleiben. Am 26. April 2002 erschoss allerdings ein ehemaliger Schüler des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums 16 Menschen in der Schule. Am 20. November 2006 überfiel ein 18-jähriger ehemaliger Schüler aus Rache mit Gewehren und Sprengstoff seine frühere Schule in Emsdetten. 37 Menschen wurden verletzt, unter ihnen 19 Schüler und 16 Polizisten. Am 11. März 2009 ermordete ein 17-Jähriger während des Unterrichts in seiner ehemaligen Schule in Winnenden acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen. Auf seiner Flucht erschoss er drei weitere Menschen und sich selbst. News4teachers

VBE zeigt sich entsetzt: 15 Jahre nach Erfurt berichten ein Viertel der Lehrkräfte, dass es an ihrer Schule keinen gesonderten Amok-Alarm gibt

 

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Heinz Kraft
6 Jahre zuvor

Ich teile die Sorge von Hoffmann, dass mit Nachfolgetaten zu rechnen ist. Aus Tätersicht war es hinsichtlich der Opfer ein „erfolgreicher“ Amoklauf, der auch hierzulande zur Nachahmung herausfordern kann.
Eine andere Frage ist, wie sind Schulen auf Amoklagen vorbereitet? Bei Informationsveranstaltungen an Schulen erlebe ich immer wieder, dass nur Allgemeines bekannt ist, aber das Denken in Szenarien mit der Frage „Was mach ich, wenn…?“ eher selten ist, und nur ganz selten erscheinen die Verhaltensoptionen fundiert.
Wie stellen Sie sich auf die Taktik des Täters ein, erst Feueralarm auszulösen und dann die Amoktat zu begehen?
Zum Glück hatten wir an Schulen in Deutschland seit Längerem keinen Amoklauf mehr, aber nach einer Untersuchung von Sarah Neuhäuser (https://www.ksta.de/panorama/studie-amoklauf-mit-ansage-3973598) sind jährlich im Durchschnnitt etwa 400 Amokdrohungen und Amokfehlalarme zu verzeichnen.
Nehmen wir die Amokalarme, die sich nach Stunden glücklicher Weise als Fehlalarme erweisen, dazu, dann ist eine professionelle Vorbereitung auf Amoklagen und zweckmäßiges Verhalten in der Klasse unerlässlich.
Das bedeutet viel mehr als nur ein Alarmsignal zu kennen und Türen zu verschließen.
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