Ehrendoktorwürden für Nationalsozialisten – erlischt dieser Titel mit dem Tod?

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MÜNCHEN. Obwohl sich die bayerischen Universitäten seit Jahren mit ihrer NS-Vergangenheit auseinandersetzen, ist die Auszeichnung von Nationalsozialisten mit dem Ehrendoktor noch immer ein dunkles Kapitel. Niemand weiß, wie viele Nazis oder Kriegsverbrecher die Unis damals geehrt haben – und ob sie es womöglich immer noch tun.

An welchen bayerischen Universitäten gibt es Nationalsozialisten mit Ehrendoktotiel? Foto: this.is.seba / flickr / CC BY-SA 2.0

Der Bauingenieur Fritz Todt wurde 1942 von Adolf Hitler geehrt – und wird das von der Technischen Universität München (TUM) möglicherweise noch immer. Damals mit dem Deutschen Orden der NSDAP, bis heute mit der Ehrendoktorwürde. Als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen hat Todt Reichsautobahnen gebaut, ab 1938 mit der Organisation Todt auch Wallanlagen und U-Bootstützpunkte. Zwei Jahre später war er als Reichsminister für Bewaffnung und Munition für die deutsche Kriegswirtschaft verantwortlich. Das ist alles kein Geheimnis – und trotzdem listet die Technische Universität München ihn als Ehrendoktor.

Todt ist bei weitem kein Einzelfall. Bis heute ist aber unklar, wie viele Nationalsozialisten damals von bayerischen Universitäten ausgezeichnet wurden – und ob die Ehrendoktorwürde womöglich nach wie vor besteht. «Wir sind gerade dabei, die Listen mit den Ehrendoktorwürden zu überprüfen», sagt Ulrich Marsch von der Technischen Universität München. Auch die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg untersucht momentan im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts, ob Nationalsozialisten zu ihren Ehrenträgern zählen.

Doch schon jetzt ist klar, dass die bayerischen Universitäten während der NS-Zeit einige fragwürdige Personen geehrt haben. Die meisten sind längst gestorben – für die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München hat sich die Sache damit erledigt. «Da gibt es sicherlich unterschiedliche Ansichten, aber unsere Juristen sind überzeugt, dass die Ehrendoktorwürde mit dem Tod erlischt», sagt Katrin Gröschel, Sprecherin der LMU. Andere Universitäten müssen das erst noch klären. «Wir müssen erst prüfen: Erlischt der Titel mit dem Tod?», sagt Ulrich Marsch von der TUM. «War die Hochschule während der NS-Zeit überhaupt für Ehrendoktorwürden zuständig?»

Noch so viele Fragen sind offen. Dabei setzen sich die bayerischen Universitäten seit Jahren ausführlich und schonungslos mit ihrer NS-Vergangenheit auseinander. Dicke Wälzer mit mehreren hundert Seiten zeugen davon. Das nächste Buch will die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg nächstes Jahr veröffentlichen. Die TUM plant gerade eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum in München. Doch dabei stehen die Opfer im Vordergrund, weniger die Täter.

Eine Aberkennung ist möglich

So wie das Schicksal der Jüdin Lilli Bechmann-Rahn aus Fürth. Mit gerade einmal 23 Jahren promovierte sie 1934 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, als letzte Jüdin. Nach der Deportation ihrer Großmutter ins Konzentrationslager Theresienstadt wanderte sie mit ihrem Mann in die USA aus. Im April 1940, gut ein Jahr nach ihrer Emigration, erkannte ihr die Friedrich-Alexander-Universität den Doktortitel ab. Dabei gilt ihre Arbeit über die Literatur des Darmstädter Freundeskreises bis heute als richtungsweisend. Und Rahn war nicht die Einzige. Allein die Universität in Erlangen hat damals über 160 Wissenschaftlern den Doktortitel aberkannt.

Aber wie heute Nazis oder Kriegsverbrechern der Ehrendoktor aberkannt werden soll, weiß niemand. Einen solchen Fall gab es in Bayern nämlich noch nie. Bayerns Kultusministerium verweist auf Artikel 69 des Hochschulgesetzes. Demnach ist eine Aberkennung möglich, wenn sich die betreffende Person «durch ein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig» erweist. Diese Unwürdigkeit muss sich aber auf die Wissenschaft beziehen. Andere Werturteile stehen einer Universität nicht zu, wie Ministeriumssprecherin Elena Schedlbauer erklärt. «Ein Entzug ist zudem nur nach vorheriger Anhörung des Betroffenen möglich.»

Dafür wird es in den meisten Fällen zu spät sein. Schon die Überprüfung der Ehrenträger wird noch einige Zeit dauern. Die Ehrendoktorwürden wurden damals nicht zentral erfasst, Akten sind verschwunden oder bei einem Bombenangriff verbrannt – wie beispielsweise bei der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Doch auch nach der NS-Zeit wurden möglicherweise ehemalige Nationalsozialisten mit einem Ehrentitel ausgezeichnet – das betrifft dann auch die neu gegründeten Universitäten in Augsburg, Bayreuth, Eichstätt, Regensburg und Passau. «Mit absoluter Sicherheit kann ich freilich nur sagen, dass bislang über keinen der Herren etwas ans Tageslicht gekommen wäre», gibt Klaus Prem von der Universität Augsburg zu. Aber wirklich nachgeforscht hat noch niemand. Das wird vielleicht der nächste Schritt sein, heißt es. dpa

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