Antisemitismus: Sollen alle Schüler verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besuchen? Diskussion kocht hoch

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BERLIN. Im Dezember verbrannten junge Muslime Israel-Flaggen in Berlin. An deutschen Schulen kommt es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) will daher einen KZ-Besuch zur Pflicht machen – für Migranten und für Deutsche. Damit sind auch die Schulen in der Verantwortung.

Die KZ-Gedenkstätte Dachau. Foto: Jordan Holiday / pixabay (CC0)

Die Berliner Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli, will Antisemitismus in Deutschland konsequent bekämpfen. „Ich fände es sinnvoll, wenn jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet würde, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte besucht zu haben“, sagte Chebli der „Bild am Sonntag“ in einem Interview. Das gelte auch für jene, „die neu zu uns gekommen sind“, so die SPD-Politikerin. Sie könnte sich KZ-Besuche beispielsweise als Bestandteil von Integrationskursen vorstellen. Auch Deutsche sollen dazu verpflichtet werden. Chebli: „Wir müssen damit aufhören, deutsche Identität immer in Abgrenzung zum anderen zu definieren.“ Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als gemeinsamer Kampf gegen Diskriminierung könne Bestandteil einer neuen, positiv besetzten Identität sein.

Mit ihrem Vorschlag per Zeitungsinterview sorgte die Berliner Staatssekretärin jedoch im Senat für Verwunderung. Der Pflichtbesuch einer KZ-Gedenkstätte sei bisher nicht Thema im Senat gewesen und mit der Senatskanzlei auch nicht abgesprochen, sagte Björn Böhning, Chef der Berliner Staatskanzler gegenüber der „Berliner Morgenpost“.

Demokratie-Erziehung

Der Vorschläge in diese Richtung sind indes nicht neu. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sieht vor allem die Schulen in der Pflicht, wenn es um den Kampf gegen wachsenden Antisemitismus geht. Sie will vor allem mit Gedenkstätten-Besuche und Demokratie-Erziehung entgegensteuern. „Es ist mein Ziel, dass jeder Jugendliche in seiner Schulzeit eine Erinnerungsstätte an das Nazi-Regime, das sechs Millionen europäischer Juden ermordete, besucht“, so Prien. Bisher besuchen Schüler in Deutschland KZ-Gedenkstätten auf freiwilliger Basis, meist in Form von klassenübergreifenden Exkursionen.

Der Zentralrat der Juden hat sich bereits 2015 dafür stark gemacht, das Thema Holocaust im Unterricht stärker zu verankern – über einen verpflichtenden Besuch jedes Schülers in einer Gedenkstätte. Zuvor hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) im Dezember 2014 Empfehlungen zur „Erinnerungskultur“ als Teil des historisch-politischen Schulunterrichts beschlossen. Darin werden eine Reihe von Möglichkeiten genannt, wie Gespräche mit Zeitzeugen.

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Antisemitische Vorfälle

Dass das Thema jetzt wieder auf der Tagesordnung steht, ist kein Zufall. Das Wort „Jude“ ist längst wieder als Schimpfwort auf Schulhöfen zu hören. Zugleich mehren sich antisemitische Vorfälle an deutschen Schulen. Der jüngste Fall ereignete sich in Berlin: Im Stadtteil Wedding soll ein jüdischer Gymnasiast bei einer Diskussion über den Nahostkonflikt von Mitschülern antisemitisch beleidigt worden sein. Die Zeitung „Jüdische Allgemeine“ hatte zuerst berichtet. Laut dem Artikel sollen Mitschüler den 18-Jährigen in der Schulmensa mit Sätzen wie „Ihr seid Kindermörder“, „Euch sollte man die Köpfe abschneiden“ und „Wallah, Hitler war gut!“ attackiert haben. Andere Medien bestätigten diese Berichterstattung.

Die Berliner Schule reagierte kurze Zeit später. „Mit Betroffenheit und in klarer Ablehnung müssen wir mitteilen, dass es in der letzten Woche in unserer Schule zu einem antisemitischen Vorfall gekommen ist, bei dem ein Schüler unserer Schule Diskriminierungen erleben musste“, schrieb der Schulleiter in einer Stellungnahme auf der Schulhomepage. Laut weiterer Zeitungsberichte hatte sich der Abiturient an die Schulleitung gewandt und muss nun in den Pausen nicht mehr auf den Schulhof – zu seiner Sicherheit.

Dieser Fall erinnert an die Vorkommnisse an einer Schule in Berlin-Friedenau. Dort war im April ein 14-jähriger Schüler gemobbt worden, weil er Jude ist. Wie „Spiegel Online“ berichtet, warfen die Eltern der Schulleitung vor, zu spät auf Beleidigungen und Angriffe türkisch- und arabischstämmiger Schüler reagiert zu haben. Sie nahmen ihren Sohn von der Schule.

Gründe für Antisemitismus

Laut Bildungsministerin Prien sei dieser zunehmende Antisemitismus auch darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen aus arabischen Ländern nach Deutschland kommen. Aber nicht nur: „Es gab allerdings schon lange vor der verstärkten Zuwanderung zu viel Antisemitismus von rechts- und auch linksradikaler Seite“, so Prien gegenüber den „Kieler Nachrichten“. „Ich bin der Überzeugung, dass Demokratieerziehung sich von der Kita bis zur Universität durchziehen muss – auch im Sinne von gelebter und erlernter Demokratie.“

In diese Richtung argumentiert auch Thüringens Bildungsminister Helmut Holter, der seit 2018 den KMK-Vorsitz innehat. Er beklagt unter anderem eine Verrohung der politischen Debatten. Mit Sorge blickt auch er auf die Demonstrationen arabischer Gruppen, die im Dezember israelische Flaggen verbrannten und antisemitische Parolen riefen. Doch auch das Erstarken populistischer Parteien in Deutschland machen dem Politiker Sorgen. Demokratie-Erziehung soll daher Schwerpunkt seiner Amtszeit als KMK-Präsident sein. Jugendliche müssten in der Schule lernen, wie politische Auseinandersetzungen geführt und Entscheidungen getroffen werden. Laura Millmann

Antisemitismus: Prävention an Schulen
Es gibt bereits jetzt zahlreiche Projekte für Schüler und Lehrer, die sich gegen Antisemitismus und Diskriminierung einsetzen. Die bekannteste Initiative ist sicherlich „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Weitere Projekte sind unter anderem:

  • Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIGA): Kiga e.V. entwickelt Konzepte für die pädagogische Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft ()
  • Das Anne-Frank-Zentrum: Mit dem Projekt „Neue Wege“ will die Initiative Antisemitismus entgegenwirken
  • Salaam-Schalom-Initiative: Diese interkulturelle Initiative aus Neukölln setzt sich für ein friedliches Zusammenleben und Solidarität ein
  • Gesicht Zeigen!: Der Verein bietet Workshops und Projektwochen gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt an
  • „Aktiv gegen Antisemitismus“: Das Projekt will Kinder und Jugendliche für Antisemitismus sensibilisieren und richtet sich darüber hinaus an Lehrkräfte, um sie als Multiplikatoren fortzubilden

Neuer KMK-Präsident Holter: Mehr Demokratieunterricht gegen Rechtspopulismus

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Hatten wir das in der DDR nicht auch? Gehörte es damals nicht auch zum Pflichtprogramm?

Hat es was genützt? Wenn man westdeutschen Kommentatoren hier und anderswo glaubt, ist der Rechtsradikalismus doch gerade und ausgerechnet im „antifaschistischen Ostdeutschland“ besonders hoch. (Da werden ja dann aus 20% AfD-Wählern 100% Ostdeutsche gemacht.)