Früh übt sich, wer Politik verstehen will – Grundschüler im Landtag

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MAINZ/HACHENBACH. Das politische Interesse jüngerer Kinder ist gestiegen, heißt es in der World Vision Kinder-Studie. Der Landtag Rheinland-Pfalz will das befördern und hat eine Besuchsreihe für Grundschüler gestartet.

Demokratiebildung sollte früh starten.                                                             Foto: Anneke_B / flickr / CC BY-SA 2.0)

Kilian, Fenja, Max und Emilia machen mit ihren Mitschülern einen Ausflug in den Landtag Rheinland-Pfalz. Trockener Stoff für Viertklässler? Muss nicht sein. Max (10) ist wie seine Mitschüler aus der Grundschule am Schloss Hachenburg wissbegierig. «Man sieht es immer nur im Fernsehen», sagt er und will nun sehen, wie das Parlament aus eigenem Erleben aussieht. Fenja (10) freut sich über den Besuch im Landtag, weil sie es gut fände, einige Dinge zu ändern und politisch aktiv zu werden. «Ein paar Sachen stören», sagt sie und bringt das Beispiel Tierschutz: «Manche Tiere werden nicht so gut behandelt.»

Seit diesem Jahr lädt der Landtag auch Grundschüler zu Besuchen ein. Damit will er schon den Jüngsten ein Gespür für demokratische Werte und Prozesse vermitteln. Das Verständnis für Politik beginnt im Spiel: am Originalschauplatz mit einem gewählten Landtagspräsidenten, zwei Fraktionen, «Abgeordneten» und einer Ministerpräsidentin auf der Regierungsbank. «Es ist dabei imponierend, mit welcher Leidenschaft und Begeisterung die Grundschüler sich dort ihrer Rolle annehmen», sagt Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD). «Und es ist beeindruckend, mit welcher Fairness sie diskutieren und auf welche Argumente, Ideen sowie Lösungsansätze sie kommen.»

Andreas Jaeger, der die Besuche leitet, fragt die Hachenburger Schüler erstmal, was sie schon wissen. Das ist einiges: Was ist der Landtag eigentlich? – Da werden Gesetze gemacht. Kann man Politik lernen? – Man muss eine Wahl gewinnen. Wie viele Abgeordnete gibt es im Landtag? – 101. Jaeger erklärt den Schülern dann einige Regeln. Klassenlehrerin Melanie Schneider berichtet, ihre Schüler hätten sich eine Schulstunde lang auf den Besuch vorbereitet. Förderschullehrerin Katrin Dumstrey betont: «Sie hatten teilweise schon Vorwissen.» Wie Demokratie funktioniert, kennen die Schüler schon vom Klassenrat, wo Themen besprochen werden, die die Klasse angehen.

Demokratische Werte und Normen

Nun wird es ernst. Kilian, Fenja, Max, Emilia und ihre Mitschüler entscheiden sich dafür, das Thema Abschaffung der Hausaufgaben auf die Tagesordnung zu bringen. Und sie wählen die Spitzen des Parlaments und zweier Fraktionen: Emilia (9) wird zur Landtagspräsidentin gewählt, Kilian (9) wird Chef der Fraktion «Anti-Hausaufgaben» (AH), Fenja führt die Fraktion FDH («Für die Hausaufgaben»). Mit viel Eifer gehen die Schüler ans Werk, suchen innerhalb der Fraktionen nach Argumenten. Sie diskutieren, wägen ab und schreiben ihre Punkte auf, um für die Debatte vorbereitet zu sein.

Dann eröffnet Emilia die Sitzung und bedankt sich für das Vertrauen. AH-Fraktionschef Kilian wirbt am Rednerpult dafür, dass die Schüler zuhause mehr Zeit für anderes hätten, wenn sie keine Hausaufgaben mehr erledigen müssten. Seine FDH-Kollegin Fenja entgegnet, Kinder lernten bei den Hausaufgaben noch etwas. Die Argumente gehen hin und her, auch «Ministerpräsidentin» Eni – die zur AH-Fraktion gehört – schaltet sich mit einem Wortbeitrag ein und plädiert für freiwilliges Lernen. Die Abstimmung später ist denkbar knapp: Elf «Abgeordnete» sind für die Abschaffung, zwölf dagegen und zwei enthalten sich. Es wird also weiter Hausaufgaben in Hachenburg geben.

Die Besuche werden von Wissenschaftlern begleitet. Politikforscherin Susanne Abendschön von der Justus-Liebig-Universität Gießen will herausfinden, welche Wirkung ein kindgerechtes Besuchsprogramm hat. Noch gebe es keine belastbaren Ergebnisse über den Effekt früher Demokratiebildung in der Schule, sagt sie. «Zumindest theoretisch geht man allerdings davon aus, dass Demokratiebildung zur Unterstützung demokratischer Werte und Normen durch die Individuen beiträgt», sagt die Professorin. Die neue World Vision Studie stellt fest, dass das politische Interesse jüngerer Kinder in den vergangenen Jahren zugenommen hat: Bei den Zehn- bis Elfjährigen ist der Anteil derjenigen, die sich selber als politisch interessiert bezeichnen, auf inzwischen 18 Prozent angestiegen, heißt es darin.

Andreas Jaeger hält die Spielsituation im Landtag vor Ort für entscheidend. «Sowas in der Schule zu machen, damit erreicht man überhaupt nicht denselben Effekt», sagt er. Und noch etwas könnten die Nachwuchspolitiker lernen: «Jede einzelne Stimme ist wichtig.» Politiker als Berufswunsch findet sich unter den Hachenburger Kindern allerdings kaum – zumindest bisher noch nicht. Grace (10) verrät allerdings, dass sie gern mal Ministerpräsidentin sein würde: «Weil man da im schönen Saal sitzt und weil man da regieren kann.» dpa

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