Ist das die neue Spießigkeit? Künstlergruppe bricht nach Vorwürfen Uni-Ausstellung ab

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GÖTTINGEN. Nach dem Streit um ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer an einer Berliner Hochschul-Fassade kocht jetzt die Empörung in Göttingen hoch: In einer Ausstellung in der Uni-Mensa sehen sie Sexismus und Antisemitismus – und sorgen dafür, dass die Bilder abgehängt werden. Die Künstler sind geschockt. Und der Deutsche Kulturrat fragt: Gilt in Deutschland eigentlich noch die Kunstfreiheit?

Ort des Geschehens: die Zentralmensa der Uni Göttingen. Foto: Magnus Mertens / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)
Ort des Geschehens: die Zentralmensa der Uni Göttingen. Foto: Magnus Mertens / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)

Die Zentralmensa der Uni Göttingen ist ein langweiliger Betonbau. Wenn das Studentenwerk dort – seinem kulturellen Auftrag folgend – gelegentlich Ausstellungen zeigt, damit die Studierenden, wie Geschäftsführer Jörg Magull sagt, «beim Essen nicht immer nur auf ihr Handy starren», findet das zumindest öffentlich kaum Widerhall. Diesmal ist das anders.

Die Ausstellung «Geschmackssache», in der die Künstlergruppe «Das KomiTee» 45 satirische Werke präsentiert hat, sorgt seit Tagen für Schlagzeilen – allerdings anders, als die acht Künstlerinnen und Künstler sich dies gewünscht haben. Denn die Bilder wurden nach massiver Kritik abgehängt.

Die Vorwürfe: Sexismus und Antisemitismus. So störte sich unter anderem der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AStA) an der Art und Weise, wie nackte Brüste und ein Po dargestellt wurden. Eine Studenten-Initative monierte, Frauen würden «in objektifizierender Weise» gezeigt. Solche Beschwerden alarmierten auch die Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule. «Ich teile die Sicht, dass die Ausstellung Bilder mit diskriminierendem und sexistischem Inhalt enthält», sagte Doris Hayn.

Schwer wog auch der Vorwurf der Jüdischen Gemeinde Göttingen. Sie bemängelte eine von der Künstlerin Ulrike Martens geschaffene rosafarbene Karikatur, auf der Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge und Schweineohren zu sehen sei. Eine Sprecherin des Zentralrats der Juden sagte, der Kritik der Jüdischen Gemeinde sei nichts hinzuzufügen.

Studentenwerks-Geschäftsführer Magull beteuert, es gebe in seiner Einrichtung und auch bei den ausstellenden Künstlern keinerlei antisemitische Tendenzen: «Wir haben aber nicht im Blick gehabt, dass dieser Eindruck durch das Bild entstehen könnte», sagte er am Mittwoch.

In einer gemeinsamen Erklärung zeigen sich Studentenwerk und Künstler betroffen. Es sei zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen, «herabwürdigende Darstellungen von Juden wieder aufleben zu lassen.» Alle Beteiligten hätten in dem Bild von Einstein den Menschen mit seinem Humor und Wortwitz gesehen, nicht den Juden Einstein.

Die Künstlergruppe sah sich durch die Kritik und Forderungen, Bilder abzuhängen so sehr bedrängt, dass sie beschloss, die gesamte Ausstellung abzubrechen. Zudem habe es Hinweise gegeben, dass Gegner Aktionen planten, sagte Magull. Es habe eine Eskalation gedroht.

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, äußerte sich besorgt darüber, dass die Kunstfreiheit in Frage gestellt werde. Hochschulen seien öffentliche Räume, in denen die grundgesetzlich verbriefte Kunstfreiheit gelte, sagte Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Er fordere deshalb diejenigen auf, die das Abhängen der Bilder durchgesetzt haben, ihre Haltung zu überdenken. «Die Studierenden und die Professoren sollten die Freiheiten in unserem Land, gerade auch im eigenen Interesse, mit Nachdruck verteidigen und nicht leichtfertig aufgeben. Debattieren ja. Zensieren nein!», sagte Zimmermann.

Erschrocken über die Vorwürfe

Die dem «KomiTee» angehörende Göttinger Künstlerin Marion Vina sagte: «Wir sind von den Vorwürfen überrannt worden.» Sie selbst sei erschrocken über die massiven Vorwürfe. Ihre eigenen Bilder mit der Darstellung unbekleideter Menschen seien «im Vergleich zu vielem, was in der Werbung zu sehen ist, eher harmlos». Zudem handele es sich bei allen Bildern der Ausstellung um Satire. Sie hätte sich einen Dialog mit den Kritikern gewünscht.

«Es ist schade, wenn das Studentenwerk in einem universitären Umfeld, das sich der Aufklärung verpflichtet fühlt, satirische Kunstausstellungen, die auch provozieren können, nicht zeigen kann», heißt es in der Erklärung weiter.

Vor Wochen hatte der Streit um ein Gedicht an einer Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule für Wirbel gesorgt: Der Akademische Senat hatte nach Beschwerden beschlossen, Gomringers auf Spanisch verfasstes Gedicht «avenidas» übermalen zu lassen – weil es sexistisch sei. Dabei geht es um den Satz: «Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer». Damit würden Frauen, so die Kritiker, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert. Von Matthias Brunnert, dpa

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