Bündnis fordert von Lehrern mehr Sensibilität für das Thema Kinderarmut

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MAGDEBURG. Fast jedes siebte Kind in Deutschland lebt von staatlicher Grundsicherung. Seit einem Jahr setzt sich ein breites Bündnis in Sachsen-Anhalt für den Kampf gegen Kinderarmut ein. Es kritisiert: Nicht von allen Seiten wird das Problem erkannt. Auch an die Lehrerschaft richten sich Erwartungen.

Die Jugendhelfer bemühen sich zunächst vorrangig um eine ambulante Unterstützung der Familien, bevor ein Kind herausgenommen wird. Foto: Lauri Heikkinen / flickr (CC BY 2.0)
Viele Kinder in Deutschland leben in Armut – und haben deshalb schlechtere Bildungschancen. Foto: Lauri Heikkinen / flickr (CC BY 2.0)

Das Netzwerk gegen Kinderarmut in Sachsen-Anhalt will Vertreter aus der Wirtschaft für sein Anliegen gewinnen. In der Wirtschaft sei Kinderarmut noch nicht als Problem angekommen, sagte die Linken-Politikerin und Sprecherin des Bündnisses, Eva von Angern. Gerade mit Blick auf fehlende Auszubildende und Fachkräfte sei der Kampf gegen Armut und mangelnde Chancen vieler Kinder aber wichtig. Die Initiative werde daher versuchen, Vertreter der Handwerks- sowie der Industrie- und Handelskammern mit ins Boot zu holen.

Seit dem Start vor rund einem Jahr ist das von der Linken ins Leben gerufene Netzwerk beständig größer geworden. Aus zunächst rund 30 Akteuren aus Politik und Gesellschaft seien inzwischen knapp 40 geworden, sagte von Angern. Neben Parteien, Gewerkschaften und Krankenkassen hätten sich etwa die Zahnärztekammer und der Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie eines Magdeburger Klinikums dem Netzwerk angeschlossen. Wichtig sei dem Bündnis die überparteiliche Zusammenarbeit mit möglichst vielen Beteiligten, sagte von Angern vor dem internationalen Kindertag am Freitag (1. Juni).

Innerhalb des Netzwerks seien inzwischen mehrere Arbeitsgruppen entstanden, die auch schon erste Ergebnisse vorweisen könnten. Im Bereich Bildung spiele die Sensibilisierung von Lehrern eine große Rolle. «Das Thema Armut muss Teil der Lehrerausbildung und -fortbildung sein», sagte von Angern. Allzu häufig herrsche die Vorstellung vor, Armut sei etwas Normales und Kinder aus armen Familien hätten ohnehin keine Chance. Dieser «Schere im Kopf» müssen entgegengewirkt werden.

Die Landesregierung diskutiert derzeit über ein neues Schulgesetz. Dabei gebe es viele Möglichkeiten, die Situation armer Familien zu verbessern, sagte von Angern. So sollte es Lernförderung nicht nur dann geben, wenn ein Kind versetzungsgefährdet ist, sondern auch, wenn ein Kind aus einer armen Familie die Chance hat, eine höhere Schule zu besuchen. Auf diese Weise könne der Kreislauf durchbrochen werden, der armen Kindern häufig einen guten Schulabschluss verwehre.

Gesundheitliche Folgen

Nach jüngsten Zahlen der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit ist in Sachsen-Anhalt mehr als jedes fünfte Kind unter 18 Jahren auf staatliche Grundsicherung angewiesen (bundesweit: fast jedes siebte). Im Dezember vergangenen Jahres lebten 70.344 Kinder (20,3 Prozent) in einer Familie, die Hartz-IV bezog. Kinder aus Sachsen-Anhalt haben damit nach ihren Altersgenossen in Bremen und Berlin bundesweit das höchste Risiko, von Kindesbeinen an auf staatliche Grundsicherung angewiesen zu sein. Zwar haben sich die Zahlen in den vergangenen Jahren leicht verbessert, aber noch immer ist das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden und kinderreichen Familien besonders hoch.

Das Netzwerk legt auch einen Fokus auf die gesundheitlichen Folgen von Kinderarmut. Besonders wichtig sei in diesem Zusammenhang ein kostenloses gesundes Mittagessen in Schulen und Kitas, sagte von Angern. Gerade in den Kitas könnten früh die Weichen für ein gesundes Aufwachsen gestellt werden. Untersuchungen hätten gezeigt, dass gesundheitliche Probleme wegen schlechter Ernährung besonders häufig bei Kindern aus armen Familien auftauchten. Das Bündnis fordert zudem Fortbildungen für Eltern und Ärzte. Auch diese gesundheitliche Prävention müsse Teil des Schulgesetzes werden.

Letztlich ließen sich in den Kommunen und auf Landesebene aber immer nur die Folgen von Kinderarmut mildern, sagte von Angern. «Entscheidend ist, was auf Bundesebene passiert.» Nötig sei eine Kindergrundsicherung, die Kindern einen eigenen Anspruch auf staatliche Unterstützung zusichere. Über mögliche Maßnahmen soll auch auf einem von der Linken und dem bundesweiten Netzwerk gegen Kinderarmut veranstalteten Kongress am Samstag in Leipzig diskutiert werden. dpa

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