DÜSSELDORF. Als Lehrer bemüht sich Alex Simm um die Bildung seiner Schülerinnen und Schüler, als Dichter will er Menschen zum Nachdenken anregen. Dafür misst er sich mit anderen dieses Metiers in Poesie-Wettstreiten, sogenannten Poetry-Slams. Nun ist sein erster Gedichtband erschienen: „Vom einsamen Emoeinhorn Erna, das wie alle sein wollte“. Im Interview mit News4teachers.de spricht er über die Hintergründe der darin veröffentlichten Balladen und der Verbindung zwischen Poetry-Slam und Schule.
Die Balladen in Ihrem Gedichtband sind durchgehend sehr gesellschaftskritisch. Es geht um Fremdenhass, Ausbeutung, aber auch um den Schönheitswahn der heutigen Zeit. Was hat Sie dazu bewogen, diese Themen aufzugreifen?
Simm: Ich denke, wenn man wie im Poetry-Slam-Bereich auf Bühnen steht und Leute quasi verpflichtet sind, einem fünf Minuten zuzuhören, ist es wichtig, dass man auch etwas zu sagen hat. Ich befasse mich grundsätzlich sehr viel mit dem, was um mich herum passiert, und sehe dabei vieles, das ich nicht in Ordnung finde. Deswegen ist es für mich eigentlich völlig selbstverständlich, dass meine Texte immer einen moralischen Kern haben. Ich bin ja auch Ethiklehrer, das hängt vielleicht auch damit zusammen.
Wieso haben Sie sich entschieden, Ihre Kritik in Balladen zu verpacken?
Simm: Wenn man den Menschen seine Meinung auf den Kopf zusagt und ihr Verhalten direkt kritisiert, dann lassen die meisten diese Kritik partout nicht an sich heran. Sie nehmen dann eine Art Schutzhaltung ein, wollen sich verteidigen, rechtfertigen, weil sie sich angegriffen fühlen. Verpacke ich meine Kritik aber in eine Geschichte, kann der Leser sie aus der Distanz betrachten, das kritisierte Verhalten selbst bewerten und, wenn er es ab und zu selbst an den Tag legt, vielleicht auch etwas über sich lernen. Das funktioniert besser, als wenn ich mich auf die Bühne stelle und sage: „Das ist falsch und das ist falsch und das ist falsch. Ihr müsst das so machen.“ Also, man darf nicht so arg belehrend sein, obwohl die Texte natürlich alle eine Lehre beinhalten.
Laut der „Stiftung Lesen“ eignen sich Ihre Balladen für den schulischen Einsatz. Nutzen Sie Ihre eigenen Texte selbst manchmal im Unterricht?
Simm: Ja, wenn es sich anbietet, binde ich sie schon ein, zum Beispiel als Einstieg in ein neues Thema. In den Jahrgangsstufen 7 und 8 beschäftigen wir uns etwa gerade sehr viel mit Tierethik. Da lässt sich mithilfe der Geschichte über die fleischfressende Pflanze Ilse, die sich vegan ernähren möchte, über die typischen Argumente diskutieren, die der Metzger in der Ballade anführt, die für den Fleischkonsum sprechen sollen.
Eignen sich Ihre Balladen auch außerhalb des Ethikunterrichts für den schulischen Einsatz?
Simm: Auf jeden Fall, man kann zum Beispiel im Deutschunterricht der 7. Klassen den klassischen Balladen wie dem Erlkönig eine meiner Balladen entgegensetzen, um dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Oder im Fach Erdkunde den Einstieg ins Thema Klimawandel mit der Ballade von der Schneeflocke Skrollan gestalten. Für den Biologieunterricht eignet sich die Ballade über das Walross Carlos, das Germany‘s next Topmodel werden möchte, um über Ernährung und das Selbstbild zu sprechen. Da passt dann auch wieder die Geschichte über die fleischfressende Pflanze Ilse. Im Fach Politik, also Gemeinschaftskunde, lassen sich Fragen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens durch die Balladen über den Sündenbock Lennox und die Gesellschaft Gertrud gut aufgreifen. Mithilfe der Geschichte über die Sonne Sonja, die an Burn-out leidet, können Klassenlehrer mit ihren Schülern darüber nachdenken, was einen wertvoll macht, über was man sich definiert oder wie man damit umgehen kann, wenn etwas mal nicht klappt. Es gibt schon viele Möglichkeiten, die Balladen einzusetzen.
In Ihrer Freizeit schreiben Sie nicht nur Gedichte, sondern präsentieren diese auch auf Poetry-Slams – und das mit Erfolg: 2017 waren Sie baden-württembergischer Poetry-Slam-Landesmeister, dieses Jahr haben Sie den zweiten Platz belegt. Wie hat Ihre Slam-Karriere angefangen?
Simm: Das ist eigentlich eine witzige Geschichte. Als Poetry-Slam in meiner Umgebung aufkam, habe ich noch studiert und es war irgendwie nicht mein Ding. Erst über die Schüler bin ich zum Poetry-Slam gekommen! Ich habe während meines Referendariats miterlebt, was diese Form des Schreibens aus Schülern herausholt; Dinge, die man vorher gar nicht erwartet hätte. Deshalb habe ich dann nach meinem Referendariat als Lehrer für die Schüler an meiner Schule einen Poetry-Slam organisiert. Darüber bin ich selber wieder zum Slam gekommen, weil ich der Meinung war, dass ich das, was ich von den Schülern verlange, selber ausprobiert haben muss. Ich habe mich im Vorfeld schlau gemacht, Workshops besucht und selber Texte geschrieben. In dieser Szene kennt man sich recht schnell ganz gut, sodass ich dann öfters mal für Freunde eingesprungen bin, wenn bei einem Poetry-Slam spontan jemand abgesagt hatte. So bin ich da eigentlich reingerutscht. Aus diesen wenigen Anfragen wurden mit der Zeit dann immer mehr und mehr.
Ist der Druck, gut abzuschneiden, wenn Sie auftreten, gestiegen, seit Sie Landesmeister waren?
Simm: Ein bisschen schon, wobei ich eigentlich glaube, dass ich ganz gut mit Druck umgehen kann. Für mich ist die Bühne jetzt kein Ort, an dem ich Bestätigung suche. Ich muss damit auch nicht mein Geld verdienen. Von daher kann ich wirklich sehr, sehr entspannt auftreten und auch in die Meisterschaften gehen. Ich fand es irre, dass das letztes Jahr geklappt hat. Ich hatte damit überhaupt nicht gerechnet. Genauso wenig wie ich dieses Mal damit gerechnet hatte, den zweiten Platz zu belegen. Ich hatte eigentlich nur das Ziel, mich dieses Jahr nicht zu blamieren, wenn ich als Titelverteidiger angekündigt werde.
Gibt es neben den selbstverfassten Gedichten, die Sie ab und zu in Ihren Unterricht einfließen lassen, weitere Schnittstellen, an denen sich Ihr Hobby und Ihr Beruf ergänzen?
Simm: Es sind ja – in Anführungszeichen – beides Präsentationsberufe, bei denen man mit der Stimme und der Art, wie man Dinge vorträgt, extrem viel bewirken kann. Schon aus der Schule kannte ich das Gefühl, vor einer Gruppe zu stehen und reden zu müssen. Das hat mir bei meinen ersten Auftritten auf der Bühne geholfen. Ich war eigentlich bei keinem irgendwie nervös. Auf der anderen Seite nehme ich natürlich auch extrem viel von der Bühne mit in die Schule. Wenn ich jetzt Texte im Unterricht vorlesen muss, dann freue ich mich regelmäßig darauf und hoffe, dass ich die Schüler dadurch auch irgendwie erreiche, dass sie sagen: „Woah, das interessiert mich jetzt.“ Außerdem ist es für mich auch überhaupt kein Problem mehr, vor 600, 800 Leuten zu sprechen. Im Gegenteil, ich denke dann: „Ja cool, da ist ein Mikrofon, super, dann habe ich die Situation unter Kontrolle.“ Das befruchtet sich also gegenseitig.
Das Interview führte Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus.