Letztes Klingelzeichen für einen der dienstältesten Schulleiter Sachsen-Anhalts

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TANGERHÜTTE. Norbert Grewatsch ist im wahrsten Sinne Pädagoge der alten Schule. Seit 1983 ist der heute 64-Jährige Schulleiter in Tangerhütte und damit einer der dienstältesten Schulleiter im Land. Er blickt zurück auf ein Berufsleben in zwei Gesellschaftssystemen.

Mit ihrem Uhrenturm und dem roten Backsteinstil dominiert die Wilhelm-Wundt-Schule das Ortsbild Tangerhüttes. Norbert Grewatsch ist Tag für Tag meist der Erste und oft der Letzte im Haus. Einen Großteil seiner Lebenszeit hat er hier zugebracht. Versetzt wurde er nicht. Der gebürtige Rostocker ist Lehrer mit Leib und Seele. Am kommenden Mittwoch (27. Juni) ertönt für ihn das letzte Klingelzeichen. Nach 40 Jahren an der Schule, davon 35 Jahre als deren Leiter, geht er in den Ruhestand.

Grewatsch ist einer der dienstältesten Schulleiter im Land. Laut Landesschulamt hat der Tangerhütter in Sachsen-Anhalt weniger als eine Handvoll Kollegen, die auch schon zu DDR-Zeiten in dieser Funktion tätig waren. Der großgewachsene Mann mit dem Vollbart und der sonoren Stimme, den schon seine Erscheinung zur Respektsperson macht, war stets eine Konstante. Auch in stürmischer Zeit. Sein Berufsleben begann als typische DDR-Laufbahn, 1973 mit dem Pädagogikstudium in seiner Heimatstadt: Fächerkombination Mathematik, Physik, Astronomie.

Die Zeit des Wandels hat Norbert Grewatsch als die schönste seines Berufslebens empfunden. Foto: Thomas Kohler / flickr (CC BY 2.0)
Die Zeit des Wandels hat Norbert Grewatsch als die schönste seines Berufslebens empfunden. Foto: Thomas Kohler / flickr (CC BY 2.0)

Lehrer sei schon immer sein Traumberuf gewesen, sagt Grewatsch, noch immer mit Mecklenburger Zungenschlag. Erster Einsatzort nach dem Studium war eine Polytechnische Oberschule (POS) in Berlin. Dort habe er ein Mädchen kennengelernt, dass sich als Berlinerin ausgab. Später offenbarte sie ihm, dass sie aus Tangerhütte kommt. Die Liebe siegte über Küstenluft und Großstadtflair. Die Altmark wurde ein Jahr später gemeinsamer Heimat- und Arbeitsort.

Die Wilhelm-Wundt-Schule war die bedeutendste Bildungseinrichtung des damaligen Kreises Tangerhütte. Grewatsch wurde stellvertretender Direktor, zog dann ins Chefzimmer ein. Dort blieb er auch nach dem Ende der DDR. Diese Zeit des Wandels habe er als die schönste seines Berufslebens empfunden. «Wir hatten die Möglichkeit, mit den Kollegen selbst etwas zu gestalten, eigene Ideen umzusetzen», sagt der 64-Jährige. «Damals stand die Pädagogik im Mittelpunkt, nicht die Politik.»

«Seine» Schule entwickelte sich erfolgreich. Aus der POS wurde eine Sekundarschule und 2013 eine der ersten Gemeinschaftsschulen im Land. Grewatsch war stets mit Elan dabei, wenn es darum ging, neue Ideen umzusetzen. Heute klingt er ernüchtert. Das Schulwesen sei ein Spielball der Landespolitik geworden. Ständig neue Gesetze, Erlasse, Verordnungen machten eine kontinuierliche pädagogische Arbeit unmöglich, klagt er.

Hinzu kämen Probleme, die alle Schulen belasten, wie das wachsende Anspruchsdenken der Eltern. Obwohl die Gemeinschaftsschule die beste Möglichkeit biete, sich in Ruhe auf das Abitur vorzubereiten, würden die Kinder oftmals lieber ans Gymnasium im 20 Kilometer entfernten Tangermünde geschickt. Doch viele Schüler seien dort überfordert.

Mit 26 Lehrkräften für 250 Schüler in 13 Klassen sei die personelle Ausstattung an der Wilhelm-Wundt-Schule noch verhältnismäßig gut. Oft müsse er Kollegen an andere Einrichtungen abordnen, um dort auszuhelfen. Der Altersdurchschnitt des Kollegiums sei hoch. In wenigen Jahren werde rund ein Drittel in den Ruhestand gehen. Wie überall fehle es auch in Tangerhütte an Lehrernachwuchs.

Für Grewatsch heißt es jetzt, Schreibtisch aufräumen und Abschied nehmen. Die letzten Zeugnisse sind unterschrieben. Die Arbeit ist getan.

Sein Blick zurück ist nicht verklärt und ohne Zorn. Dass er, im Unterschied zu den meisten seiner Schulleiterkollegen, nicht verbeamtet wurde, wurmt ihn allerdings. Ansonsten scheint er mit sich und seinem Berufsleben im Reinen. «Es ist alles rund. 40 Jahre an der Schule, davon 35 Jahre als Leiter. Die Eckpfeiler für eine erfolgreiche Weiterentwicklung sind gesetzt. Ich kann mit gutem Gefühl gehen», sagt Grewatsch und verweist noch auf einen ganz besonderen Rekord. Seit fast 110 Jahren bestimmt die Wilhelm-Wundt-Schule das Bild Tangerhüttes. «Rund ein Drittel dieser Zeit habe ich sie geleitet. Darauf bin ich ein bisschen stolz.» (Wolfgang Benndorf, dpa)

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