AfD will in zehn Bundesländern Schüler und Eltern gegen „linke“ Lehrer mobilisieren – Kretschmann: „Bausteine ins Totalitäre“

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STUTTGART. Die AfD plant offenbar in neun weiteren Bundesländern den Start von „Meldeportalen“ gegen parteikritische Lehrer. Als erstes war eine solche Seite, über die Schüler und Eltern anonyme Beschwerden über Lehrer an die AfD schicken können, in Hamburg gestartet worden (News4teachers berichtete). Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisierte eine entsprechende Ankündigung der baden-württembergischen AfD-Fraktion scharf. «Jetzt wird sozusagen offenes Denunziantentum organisiert», sagte er. «Das sind alles Bausteine ins Totalitäre.» Das müsse man sehr ernst nehmen und sich überlegen, wie man sich dagegen aufstelle, sagte er.

Will seine bildungspolitischen Kompetenzen behalten: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: BÜNDNIS 90/Die Grünen/Flickr CC BY 2.0
«Jetzt wird sozusagen offenes Denunziantentum organisiert»: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: BÜNDNIS 90/Die Grünen/Flickr CC BY 2.0

Wie bereits in Hamburg geschehen, will die AfD in mehreren Bundesländern Meldeplattformen gegen Lehrkräfte einrichten, die gegen das Neutralitätsgebot verstoßen und sich kritisch über die Partei äußern. Laut den Zeitungen der Funke Mediengruppe gibt es nach der Aktion der Hamburger Bürgerschaftsfraktion in neun Ländern Pläne oder Überlegungen, eine entsprechende Seite einzurichten: in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Auf der Seite mit dem Titel «Neutrale Schulen Hamburg», die im September online ging, können Nutzer der AfD-Fraktion melden, wenn Lehrer oder Schulpersonal ihrer Meinung nach gegen das Neutralitätsgebot verstoßen haben. Die Meldung ist auch anonym möglich.

Das Projekt in Baden-Württemberg werde zeitnah in den nächsten Wochen umgesetzt, kündigte der bildungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Rainer Balzer, an. Der Ansatz sei die Beachtung des Beutelsbacher Konsenses. Die Alternative für Deutschland befasse sich dabei zunächst primär mit Vorwürfen, die gegen die AfD gerichtet sind. «Die vorliegenden Beschwerden von Schülern und Eltern lassen vermuten, dass in möglicherweise unbedachtem Überschwang die parteipolitische Neutralität im Unterricht verloren geht.»

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kritisierte das Vorhaben scharf. «Die Pläne der selbst ernannten „Alternative“ zu einer Denunziations-Plattform halte ich für völlig daneben und in höchstem Maße für demokratieschädlich», sagte sie auf Anfrage. «Im Gegenteil zeigt dieser Griff in den Instrumentenkasten autoritärer Systeme, dass einige Akteure auch in Baden-Württemberg politische Bildung bitter nötig haben.» Sie habe volles Vertrauen in die Lehrkräfte.

An Schulen gilt generell ein Neutralitätsgebot. Es ist im Beutelsbacher Konsens von 1976 festgeschrieben. Demnach sollen Lehrer Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen oder sie anderweitig indoktrinieren. Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, müssen so auch im Unterricht dargestellt werden. Schüler sollen die Fähigkeit erlangen, politische Situationen zu analysieren und sich dazu eine eigene Meinung zu bilden.

Der Präsident der Kultusministerkonferenz und Thüringer Schulminister Helmut Holter (Linke) sieht sich angesichts der Plattformen «an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte» erinnert, erklärte er gegenüber der «Stuttgarter Zeitung».

Meidinger: Versuch nach hinten losgegangen

Scharfe Kritik an den AfD-Plattformen übten in den Funke-Zeitungen auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Deutsche Lehrerverband. «Es passt ins Bild, dass eine Partei, die Andersdenkende ausgrenzen will, jetzt Plattformen schafft, auf denen man Leute mit anderen Meinungen denunzieren kann», sagte Ilka Hoffmann vom GEW-Vorstand. Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger meinte: «Da sollen Lehrer eingeschüchtert werden, das ist schon eine beängstigende Entwicklung.» In Hamburg zeige sich allerdings, dass der Versuch wegen vieler scherzhafter Meldungen nach hinten losgegangen sei. «Von daher sehe ich keine Gefahr, dass der Zweck der Einschüchterung erreicht wird.» News4teachers hatte darüber berichtet, dass Hunderte von Lehrerinnen und Lehrer satirische Posts über das AfD-Portal abgesetzt haben.

Auch bei Lehrern in Baden-Württemberg schlug der Vorstoß Wellen. Der Landesverband der GEW kritisierte die geplanten Plattformen als «Spitzelmethoden, wie sie zuletzt vor 75 Jahren an den Schulen in Baden-Württemberg angewandt wurden». «Wir ermutigen alle Lehrerinnen und Lehrer, Zivilcourage in der Schule und außerhalb zu zeigen und sich klar gegen Ausgrenzung und für Vielfalt einzusetzen», erklärte Landeschefin Doro Moritz.

Die Bundestags-AfD verteidigte die Online-Portale. «Das hat mit Denunzierung gar nichts zu tun», sagte der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann. Die Mehrheit der Journalisten sei links oder links-grün eingestellt. «An Schulen dürfte das ähnlich sein.» Die AfD habe auch bereits Hinweise darauf, dass Lehrer sich aufgerufen fühlten, ihre politische Sicht auf die AfD in der Schule zu thematisieren. Zum Teil würden dabei «ganz harsche Bilder der AfD gezeichnet, als radikal, unmenschlich, kalt», sagte Baumann, der dem Hamburger Landesverband angehört. Den Hamburger Schulbehörden ist davon nichts bekannt. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert.

„Lehrer denken sozialistisch“: AfD will die Schulen auf Parteilinie bringen – und erhöht dafür den Druck („Auge um Auge“)

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Jakob Funke
5 Jahre zuvor

Ich frage mich, wann die AfD darauf kommt, dass diese Idee totaler Schwachsinn ist. Bei der entsprechenden Seite der AfD Hamburg sind etliche Meldungen eingegangen (Meldungen über die unsinnigen Sachen), die einfach nur aufzeigen sollten, wie blöd die Idee ist. Meiner Meinung nach schießt die Partei sich damit ein Eigentor. Wenn bei mir (in Sachsen) eine solche Webseite ebenfalls eingeführt wird, bin ich nur allzu bereit, diese Seite (wie in Hamburg) mit unnötigen Kommentaren vollzuspammen. Und dazu rufe ich jeden auf, der sich mit der AfD mal einen Spaß erlauben möchte

A-Rabiata
5 Jahre zuvor

Als Diktatur-Geschädigte bin ich absolut dagegen, Kinder in der Schule ideologisch oder politisch zu indoktrinieren. Ich halte politische Neutralität in der Schule für absolut geboten. Diese Seite des Casus kommt in dem Artikel zu kurz. Die betreffende Sachlage in den Schulen interessiert auch mich. Nur habe ich auch meine Zweifel daran, ob die von der AfD vorgeschlagene Maßnahme hier so zielführend ist, ohne Brandstellen an anderen Stellen zu verursachen. Es wäre also zu überlegen, welche Maßnahme geeigneter wäre, um herauszubekommen, ob bzw in welchem Maße in der Schule Sachverhalte von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Davon auszugehen, Neutralität in der Schule passiere „von allein“ oder sei so selbstverständlich, daß sie keiner Untersuchung bedürfe, halte ich allerdings für blauäugig. Es kann also nur darum gehen, ein geeigneteres Mittel als das Bisherige zu finden.

m. n.
5 Jahre zuvor
Antwortet  A-Rabiata

Guter, ausgewogener Kommentar, dem ich voll zustimme. Ich bin zwar nicht diktatur-geschädigt, denke aber wie Sie. „Kinder in der Schule ideologisch oder politisch zu indoktrinieren“ und das womöglich noch als Demokratieerziehung zu bezeichnen, lehne ich als Mogelpackung strikt ab.

Bernd
5 Jahre zuvor
Antwortet  m. n.

Wer würde das denn ablehnen? Der Punkt ist doch: Es gibt überhaupt keine konkreten Fälle, die die AfD anführen kann. So ist die Sachlage eindeutig: Es geht gar nicht – wie behauptet – um „neutrale“ Schulen, es geht um Einschüchterung der Lehrer, nur ja kein kritisches Wort fallen zu lassen. Anders ausgedrückt: „Big brother is watching you“.

Ein Vorgeschmack auf das, was passiert, wenn die AfD mal an die Regierung kommen sollte.

m. n.
5 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Warum eine Drohkulisse an die Wand malen, die mehrfach angezweifelt werden darf? Erstens kann die AfD auch mit anderen Augen gesehen werden und zweitens wäre zu fragen, warum die AfD jemals an die Regierung kommen sollte, wenn sie eine so schlimme Nazi-Partei ist. Das würde bedeuten, dass Sie deutschen Wählern heimliche und massenhafte Rechtsradikalität zutrauen.
Ich tue das nicht. Ich sehe die AfD und die Wähler mit eigenen Augen und nicht durch die Brille der Angstgegner.

unverzagte
5 Jahre zuvor
Antwortet  m. n.

@m.n. wie bitte schaffen sie es, die konkret vorhandene drohkulisse der afd insbesondere mit ihrem appell zur denunzierung anzuzweifeln? wie gelingt es ihnen, die ndp innerhalb der afd auszublenden?
eigene perspektivsche standpunkte sind wünschenswert solange gefahren für das system erkannt werden. andernfalls besteht dringender handlungsbedarf, der über den erwerb einer neuen brille hinausgehen darf.

ick wundere mir nich, ick staune!

unverzagte
5 Jahre zuvor

liebe diktaturgeschädigte, bitte fallen sie nicht auf diesen pompös inszenierten k(r)ampf gegen staatliche bildungsinstitutionen herein. insbesondere bei verdacht von indoktrination ist auch weiterhin die schulbehörde der geeignetere adressat!

AvL
5 Jahre zuvor

Wer anderes als die untere Schulbehörde ist für Probleme im Schulbereich zuständig. Als erstes ist da der Direktor oder der Vertrauenslehrer der Ansprechpartner, danach ist der zuständige Schulrat an nächst höherer Stelle zuständig.
Alle öffentlich gegen Lehrer geäußerten möglichen politischen Verdächtigungen und verallgemeinerten Unterstellungen sind vor diesem Hintergrund von einer grben Diffamierungsstrategie getragen und dienen nicht der Sicherung eines guter Schüler/Lehrer-Beziehungen.
Was diese öffentlich inszenierte und bundesweite Aktion bewirken soll scheint klar zu sein.
Anscheinend ist es der Anfang einer geplanten kulturpolitischen und bildungspolitischen Wende Druck auf politisch unliebsame Lehrer auszuüben. Allerdings tragen die Träger dieser Plattform nicht gerade durch konstruktive Beiträge auf, wenn es um Fachdidaktik geht.

AvL
5 Jahre zuvor
Antwortet  AvL

nächstes mal korrigiere ich