STUTTGART. Die AfD plant offenbar in neun weiteren Bundesländern den Start von „Meldeportalen“ gegen parteikritische Lehrer. Als erstes war eine solche Seite, über die Schüler und Eltern anonyme Beschwerden über Lehrer an die AfD schicken können, in Hamburg gestartet worden (News4teachers berichtete). Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisierte eine entsprechende Ankündigung der baden-württembergischen AfD-Fraktion scharf. «Jetzt wird sozusagen offenes Denunziantentum organisiert», sagte er. «Das sind alles Bausteine ins Totalitäre.» Das müsse man sehr ernst nehmen und sich überlegen, wie man sich dagegen aufstelle, sagte er.
Wie bereits in Hamburg geschehen, will die AfD in mehreren Bundesländern Meldeplattformen gegen Lehrkräfte einrichten, die gegen das Neutralitätsgebot verstoßen und sich kritisch über die Partei äußern. Laut den Zeitungen der Funke Mediengruppe gibt es nach der Aktion der Hamburger Bürgerschaftsfraktion in neun Ländern Pläne oder Überlegungen, eine entsprechende Seite einzurichten: in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Auf der Seite mit dem Titel «Neutrale Schulen Hamburg», die im September online ging, können Nutzer der AfD-Fraktion melden, wenn Lehrer oder Schulpersonal ihrer Meinung nach gegen das Neutralitätsgebot verstoßen haben. Die Meldung ist auch anonym möglich.
Das Projekt in Baden-Württemberg werde zeitnah in den nächsten Wochen umgesetzt, kündigte der bildungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Rainer Balzer, an. Der Ansatz sei die Beachtung des Beutelsbacher Konsenses. Die Alternative für Deutschland befasse sich dabei zunächst primär mit Vorwürfen, die gegen die AfD gerichtet sind. «Die vorliegenden Beschwerden von Schülern und Eltern lassen vermuten, dass in möglicherweise unbedachtem Überschwang die parteipolitische Neutralität im Unterricht verloren geht.»
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kritisierte das Vorhaben scharf. «Die Pläne der selbst ernannten “Alternative” zu einer Denunziations-Plattform halte ich für völlig daneben und in höchstem Maße für demokratieschädlich», sagte sie auf Anfrage. «Im Gegenteil zeigt dieser Griff in den Instrumentenkasten autoritärer Systeme, dass einige Akteure auch in Baden-Württemberg politische Bildung bitter nötig haben.» Sie habe volles Vertrauen in die Lehrkräfte.
An Schulen gilt generell ein Neutralitätsgebot. Es ist im Beutelsbacher Konsens von 1976 festgeschrieben. Demnach sollen Lehrer Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen oder sie anderweitig indoktrinieren. Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, müssen so auch im Unterricht dargestellt werden. Schüler sollen die Fähigkeit erlangen, politische Situationen zu analysieren und sich dazu eine eigene Meinung zu bilden.
Der Präsident der Kultusministerkonferenz und Thüringer Schulminister Helmut Holter (Linke) sieht sich angesichts der Plattformen «an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte» erinnert, erklärte er gegenüber der «Stuttgarter Zeitung».
Meidinger: Versuch nach hinten losgegangen
Scharfe Kritik an den AfD-Plattformen übten in den Funke-Zeitungen auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Deutsche Lehrerverband. «Es passt ins Bild, dass eine Partei, die Andersdenkende ausgrenzen will, jetzt Plattformen schafft, auf denen man Leute mit anderen Meinungen denunzieren kann», sagte Ilka Hoffmann vom GEW-Vorstand. Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger meinte: «Da sollen Lehrer eingeschüchtert werden, das ist schon eine beängstigende Entwicklung.» In Hamburg zeige sich allerdings, dass der Versuch wegen vieler scherzhafter Meldungen nach hinten losgegangen sei. «Von daher sehe ich keine Gefahr, dass der Zweck der Einschüchterung erreicht wird.» News4teachers hatte darüber berichtet, dass Hunderte von Lehrerinnen und Lehrer satirische Posts über das AfD-Portal abgesetzt haben.
Auch bei Lehrern in Baden-Württemberg schlug der Vorstoß Wellen. Der Landesverband der GEW kritisierte die geplanten Plattformen als «Spitzelmethoden, wie sie zuletzt vor 75 Jahren an den Schulen in Baden-Württemberg angewandt wurden». «Wir ermutigen alle Lehrerinnen und Lehrer, Zivilcourage in der Schule und außerhalb zu zeigen und sich klar gegen Ausgrenzung und für Vielfalt einzusetzen», erklärte Landeschefin Doro Moritz.
Die Bundestags-AfD verteidigte die Online-Portale. «Das hat mit Denunzierung gar nichts zu tun», sagte der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann. Die Mehrheit der Journalisten sei links oder links-grün eingestellt. «An Schulen dürfte das ähnlich sein.» Die AfD habe auch bereits Hinweise darauf, dass Lehrer sich aufgerufen fühlten, ihre politische Sicht auf die AfD in der Schule zu thematisieren. Zum Teil würden dabei «ganz harsche Bilder der AfD gezeichnet, als radikal, unmenschlich, kalt», sagte Baumann, der dem Hamburger Landesverband angehört. Den Hamburger Schulbehörden ist davon nichts bekannt. News4teachers / mit Material der dpa
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