Adipöse Kinder leiden unter Diskriminierung – mit schlimmen Folgen

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STUTTGART. Vorurteile gegenüber übergewichtigen Kindern sind trotz aller medizinischen und soziologischen Erkenntnisse noch immer stark verbreitet. Für die Betroffenen kommen neben körperlichen Einschränkungen damit oft noch psychische Probleme hinzu. Die Behandlung wird damit schwieriger.

Laut der KIGGS-Studie des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland haben über 26 Prozent der 5- bis 17-Jährigen Übergewicht; Knapp 9 Prozent sind von Adipositas betroffen. Nach Ansicht der Deutschen Diabetes Gesellschaft gibt es in der Versorgung dieser Kinder und Jugendlichen erhebliche Defizite: So würden in Deutschland überzeugende, wissenschaftlich-basierte Behandlungs- und Betreuungskonzepte im Gesundheitssystem nicht unterstützt und in der Regel von den Kostenträgern nicht finanziert. Zudem herrschten in der Gesellschaft viele Vorurteile, die den notwendigen, frühen Therapiebeginn häufig sogar ganz verhindern.

Übergewicht wird meist schon in frühester Kindheit angelegt. Foto: EME / pixabay (CC0 1.0)
Übergewicht wird meist schon in frühester Kindheit angelegt. Foto: EME / pixabay (CC0 1.0)

„Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter wirken sich negativ auf die Gesundheit er Heranwachsenden aus. So begünstigt ein hoher Body-Mass-Index (BMI) Störungen des Fett- und Glukosestoffwechsels, was die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes erhöht. Zudem gehen Übergewicht und Adipositas mit einem hohen Leidensdruck einher “, sagt etwa der Ulmer Endokrinologe Martin Wabitsch. Bereits im Kindesalter würden Menschen mit Übergewicht stigmatisiert, das setze sich im Jugend- und Erwachsenenalter fort. Betroffene seien tagtäglich Diskriminierung ausgesetzt, so der „Tagungspräsident“ der Deutschen Adipositas Gesellschaft, in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, in den Medien und auch im Gesundheitssystem. Unzulässige Zuschreibungen lauteten oft: ‚fett, faul und gefräßig‘ sowie ‚charakter- und willensschwach‘.

Die Abwertung und soziale Ausgrenzung, die Menschen mit starkem Übergewicht häufig erfahren, haben oft auch psychische Störungen zur Folge. „Viele Betroffene haben ein geringes Selbstwertgefühl und leiden an Depressionen“, so Stefanie Wirtz, Vorsitzende der AdipositasHilfe Deutschland e. V. Teilweise entwickele sich aus der Stigmatisierung ein wahrer Teufelskreis: „Viele Menschen reagieren auf psychische Belastungen mit einem ungünstigen Essverhalten – dem sogenannten ‚Frustessen‘. Das wiederum führt zur Gewichtszunahme und somit zur Erhaltung und Verschlimmerung der Adipositas“, ergänzt Wabitsch.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen liege die Schuld an einem zu hohen Körpergewicht nicht bei ihnen selbst. „Welches Körpergewicht ein Mensch hat, ist zunächst genetisch bedingt und wird in der frühen Kindheit geprägt“, erläutert Wabitsch. „Die Lebensbedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche heute aufwachsen, also ein überreichliches, zu fettes, zu süßes, zu salziges Angebot hoch verarbeiteter Lebensmittel sowie der weit verbreitete Bewegungsmangel unterstützen dann die Ausprägung der Adipositas und wirken sich ungünstig auf den Stoffwechsel aus.“ In betroffenen Familien komme es darüber hinaus häufig zu Konflikten. „Eltern versuchen zwar, ihren Kindern zu helfen, haben aber meist keine Anlaufstelle, um sich Unterstützung zu holen. Die Hilflosigkeit entlädt sich oft in Form von Vorwürfen und endet im Streit“, so Wirtz.

Jugendliche mit extremer Adipositas (BMI über 30) seien dann medizinisch nur noch schwer zu erreichen. „Nur ein kleiner Prozentsatz sucht aktiv nach einer Behandlung“, so Wabitsch. „Warum das so ist, sei nicht klar. Hierfür könne es viele Gründe geben, zum Beispiel das junge Alter der Betroffenen, ein überwiegend niedriges Bildungsniveau und ein niedriger Sozialstatus. Auch funktionelle Beeinträchtigungen infolge eingeschränkter körperlicher Mobilität und psychische Begleiterkrankungen könnten Ursache dafür sein, das die Betroffenen von einer Behandlung absehen. Häufig seien die Jugendlichen nach erfolglosen Versuchen des Abnehmens auch einfach frustriert.

Die Behandlung von Jugendlichen mit extremer Adipositas sei sehr aufwändig und es bedürfe neuer Wege. „Konventionelle verhaltenstherapeutische Gewichtsreduktionsprogramme bleiben meist erfolglos. Bariatrisch-chirurgische Maßnahmen sind aufgrund der notwendigen strengen Indikationsstellung oft nicht möglich“, so Wabitsch. Im Rahmen eines Forschungsprojektes werde deshalb für Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren mit einem BMI über 30 eine neue, umfassende Versorgung in fünf verschiedenen Kliniken in Deutschland angeboten. Im Rahmen der Studie würden die Jugendlichen auch dabei unterstützt, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. (pm)

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