Große Koalition streitet über Mindestlohn für Azubis – Reichen 504 Euro?

0

BERLIN. Mit wie viel Geld sollen Azubis in Deutschland am Ende des Monats mindestens nach Hause gehen? Dass es eine neue Untergrenze geben soll, finden Union und SPD. Über die Höhe aber gibt es Streit.

Mehr Geld - fordern die Gymnasiallehrer für sich. Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de
Wie viel Geld braucht ein Azubi mindestens, um über die Runden zu kommen? Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stößt mit dem Konzept einer Mindestvergütung für Auszubildende von 504 Euro auf massiven Widerstand der SPD. «Das, was Frau Karliczek jetzt vorgelegt hat, ist schlicht unzureichend», sagte die SPD-Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles am Freitag in Berlin.

Karliczek will unter anderem mit einheitlichen Abschlüssen die Berufsausbildung in Deutschland stärken. Ihre Novelle des Berufsbildungsgesetzes, über das die Bundesregierung derzeit intern berät, sieht zudem eine Mindestvergütung vor, also eine Art Mindestlohn für Azubis. Dies steht bereits im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Karliczek sagte der Deutschen Presse-Agentur, sie wolle das Jahr 2019 zum Jahr der Berufsbildung machen.

Nahles forderte: «Ministerin Karliczek sollte ihren Worten Taten folgen lassen und ein Gesetz vorlegen, das die Berufsausbildung tatsächlich stärkt und eine echte Mindestausbildungsvergütung vorsieht.»

PLÄNE FÜR DIE BEZAHLUNG:

Festgeschrieben werden soll mit dem geplanten Gesetz eine Mindestvergütung für Auszubildende. Im ersten Lehrjahr sollen die Azubis mindestens 504 Euro erhalten. Bei der Bezahlung von Azubis gibt es große Branchenunterschiede. Laut Ausbildungsreport 2018 des Deutschen Gewerkschaftsbundes bekommen angehende Tischler 573 Euro im ersten Jahr, Friseure nur 406 Euro. Zum Beispiel Bankkaufleute schneiden weit besser ab – etwa im dritten Lehrjahr mit 1028 Euro.

Nahles kritisierte: «Es läuft fehl, am Schüler-BAföG anzuknüpfen, weil ein Azubi auch Sozialabgaben zahlen muss und damit über 100 Euro weniger in der Tasche hätte als ein Schüler.» Sachlich richtig sei es dagegen, bei der Mindestausbildungsvergütung klar an der Tarifentwicklung anzuknüpfen – also daran, was Betriebe ihren Auszubildenden tatsächlich zahlen. Nahles: «Nur so wird die Mindestvergütung dazu führen, dass die Azubis auch tatsächlich mehr Geld in der Tasche haben.»

WEITERE KRITIK AN DER GEPLANTEN MINDESTVERGÜTUNG:

Für die IG Metall ist die geplante 504-Euro-Untergrenze ein «Skandal». Laut Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand droht Auszubildenden in nicht tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie eine deutlich schlechtere Vergütung als bisher. Sie bekämen derzeit mindestens 800 Euro im ersten Ausbildungsjahr.

Der Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks, warnte hingegen: «Die geplante Mindestausbildungsvergütung kann dazu führen, dass sich vor allem kleinere Betriebe aus der Ausbildung zurückziehen.» Die Vergütungen seien in den vergangenen Jahren auch ohne Gesetz bereits überdurchschnittlich gestiegen. Für Jugendliche sei sie ein Faktor, sich für eine Ausbildung zu entscheiden.

Der Parlamentskreis Mittelstand der Unionsfraktion mahnte, die Vergütung sei Sache der Tarifpartner. «Diese wissen am besten, welche branchenspezifischen Besonderheiten und regionalen Unterschiede welche Vergütung wirtschaftlich möglich machen», sagte deren Chef Christian von Stetten der dpa. Der CDU-Abgeordnete warnte vor einer Überforderung vieler Betriebe in schwächeren Branchen und Regionen. «Der im Gesetzentwurf enthaltene Vorschlag für eine Mindestausbildungsvergütung von 504 Euro, der sich an das Schüler-Bafög anlehnt, ist für einige Branchen bereits zu hoch.»

ANDERE TEILE DER GEPLANTEN REFORM:

Statt unzähliger Fortbildungsabschlüsse in der beruflichen Bildung vom Fachwirt über den Prozessmanager bis zum Servicetechniker soll es in der höher qualifizierenden Berufsbildung künftig einheitliche Abschlüsse geben: Berufsspezialist, Berufsbachelor und Berufsmaster. Etablierte Bezeichnungen wie der «Meister» sollen damit verbunden werden können. «Damit zeigen wir zweierlei: Die berufliche Bildung ist eigenständig, und sie ist gleichwertig zur akademischen Bildung», sagte Karliczek. Zudem soll es mehr Flexibilität bei aufeinander aufbauenden Ausbildungsberufen geben. So sollen Azubis bei so einer gestuften Ausbildung unter anderem von einem Teil der Prüfung einer dreijährigen Ausbildung befreit werden, wenn diese auf einer bestandenen zweijährigen Ausbildung aufbaut. Mehr Möglichkeiten soll es zur Teilzeitausbildung geben.

WEITERE REAKTIONEN:

DIHK-Vertreter Dercks lobte die drei geplanten Bezeichnungen für die Fortbildung als «sehr gutes Signal»: Noch mehr junge Menschen könnten so für die Berufliche Bildung gewonnen werden – zumal viele Unternehmen dringend nach Fachkräften suchen.

Die IG-Metall-Vizechefin Christiane Benner bemängelte, dass die Praxisphasen des dualen Studiums nicht in den Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes aufgenommen werden sollten. «Damit wird die längst fällige Gleichstellung der über 100 000 dual Studierenden mit den Auszubildenden in den Betrieben verhindert.» Zudem erhöht sich mit dem Gesetz nach Ansicht der Gewerkschaft das Risiko für Jugendliche, dass Arbeitgeber zukünftig vermehrt auf zweistufige Ausbildungen setzen. «Es gäbe dann neben einer vollwertigen Berufsausbildung eine Ausbildung light», sagte Vorstandsmitglied Urban. Von Basil Wegener, dpa

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments