Bundesländer bieten mehr Unterricht in der Herkunftssprache an

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BERLIN. Die Kinder der «Gastarbeiter» sollten in der Schule Deutsch und nebenher auch noch die Sprache ihrer Eltern erlernen. Als Vorbereitung für eine Rückkehr ins Herkunftsland. Davon ist man heute abgerückt. Denn die Realität sieht meist anders aus.

Immer mehr Schüler besuchen Unterricht in der Herkunftssprache ihrer Eltern, der von deutschen Behörden organisiert wird. Gleichzeitig sinkt das Interesse an dem fremdsprachlichen Unterricht, den die Konsulate einiger Herkunftsländer anbieten – auch um die Bindung an die alte Heimat der Eltern oder Großeltern zu stärken.

Besonders um den türkischen Konsulatsunterricht hatte es zuletzt in mehreren Diskussionen gegeben. Foto: Nico Kaiser / flickr (CC BY 2.0)
Besonders um den türkischen Konsulatsunterricht hatte es zuletzt in mehreren Bundesländern Diskussionen gegeben. Foto: Nico Kaiser / flickr (CC BY 2.0)

Dieser für die Schüler freiwillige «Konsulatsunterricht» findet in staatlichen Schulen statt, wird aber von den Herkunftsländern selbst organisiert und bezahlt. Er war 1964 eingeführt worden, mit dem Ziel, die Kinder von «Gastarbeitern» auf die Rückkehr ins Heimatland vorzubereiten. In Baden-Württemberg, wo Konsulatsunterricht in 14 Sprachen angeboten wird, sank die Zahl der teilnehmenden Schüler seit dem Schuljahr 2016/2017 um rund 6500 auf jetzt 35 417 Schüler.

Wie der Mediendienst Integration jetzt herausgefunden hat, bieten inzwischen nur Baden-Württemberg, Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Thüringen gar keinen staatlich organisierten herkunftssprachlichen Unterricht an. In Bayern war er vor zehn Jahren abgeschafft worden «zugunsten einer Intensivierung der Deutschförderung». Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagte dem Mediendienst, die Förderung von Deutschkenntnissen habe angesichts der weiter steigenden Zahl von Kindern mit Zuwanderungshintergrund an den Schulen Priorität.

Diese Herangehensweise halten Experten des Sachverständigenrats deutsche Stiftungen für Integration und Migration (SVR) für falsch. Der stellvertretende Leiter des SVR-Forschungsbereichs, Simon Morris-Lange, weist auf Untersuchungen im Rahmen eines mehrjährigen Modellprojekts zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund hin. Diese hätten gezeigt, «dass herkunftssprachlicher Unterricht den Erwerb der deutschen Sprache nicht beeinträchtigt».

SVR-Forscherin Mohini Lokhande weist auf neurobiologische Studien hin. Diese ließen sogar vermuten, dass eine mehrsprachige Erziehung «kognitive Kompetenzen fördert, was mit einer Plastizität des Gehirns und einer stärkeren Vernetzung der Gehirnareale zusammenhängt». Kindern, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen, könnten deshalb laut Lokhande später leichter eine dritte Sprache erlernen. Sie seien auch bei nicht-sprachlichen Denkaufgaben im Vorteil. Ältere Erwachsene, die als Kinder mehrere Sprachen gesprochen haben, entwickeln ihren Angaben zufolge im Schnitt später als andere Menschen eine Demenz.

In Berlin bieten nach Angaben des Bildungssenats aktuell sieben Konsulate Unterricht in der Herkunftssprache an, der von insgesamt 1733 Schülern besucht wird. Vor zwei Jahren waren es noch 2448 Schüler, die den Konsulatsunterricht nutzten.

Dass Berlin und andere Bundesländer ihr eigenes Angebot ausbauen, hat auch damit zu tun, dass man besonders im türkischen Konsulatsunterricht eine politische Einflussnahme fürchtet, die der Integration zuwider laufen könnte. Beim Arabisch-Unterricht geht es womöglich nicht nur darum, die Kinder auf eine möglicherweise eines Tages anstehende Rückkehr vorzubereiten. Der staatliche Unterricht bietet Flüchtlingseltern, die auf der Suche nach Arabisch-Unterricht für ihre Kinder sind, auch eine Alternative zu den Angeboten der Moschee-Vereine.

Obwohl die Zahl der arabischen Zuwanderer in den vergangenen Jahren zugenommen hat, gibt es für arabische Kinder bislang praktisch kein Angebot der Konsulate. Lediglich Tunesien bietet an wenigen Standorten arabischen Unterricht an. In Berlin besuchen dafür in diesem Schuljahr 201 Kinder mit arabischem Migrationshintergrund den herkunftssprachlichen Unterricht, den die Schulbehörde der Hauptstadt neuerdings anbietet.

Am breitesten aufgestellt ist das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es neben dem Konsulatsunterricht auch staatlich organisierten Unterricht in 23 Sprachen. Wie der Mediendienst Integration unter Berufung auf das NRW-Bildungsministerium berichtet, nehmen in NRW derzeit fast 97 800 Schüler am herkunftssprachlichen Unterricht teil. Darunter bilden die Türkeistämmigen mit knapp 44 000 Schülern die größte Gruppe. 14 550 Schüler nehmen am staatlichen Arabisch-Unterricht teil. Knapp 10 800 Kinder und Jugendliche erhalten herkunftssprachlichen Unterricht auf Russisch. (Anne-Beatrice Clasmann, dpa)

Bundesländer sehen türkischen Konsulatsunterricht zunehmend kritisch

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