Ritalin auf dem Rückzug? Immer weniger Kinder mit ADHS werden dauerhaft medikamentös behandelt

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BERLIN. Kinder mit ADHS werden seltener mit Medikamenten und häufiger von Fachärzten behandelt. Das ergab eine Datenanalyse der Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Noch immer ist die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die häufigste psychische Diagnose im Kindesalter.

Immer weniger Kinder mit ADHS werden mit Psychostimulanzien wie dem bekannten Ritalin (Methyphenidat) behandelt. Erhielt 2009 noch die Hälfte der Betroffenen Medikamente, waren es 2016 noch 44 Prozent. Dies ist das Kernergebnis einer Studie, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) im Rahmen einer Forschungsreihe veröffentlicht hat.

Medikamente wie Ritalin dürfen heute nur noch von Spezialisten verordnet werden. Das hat unter anderem zu einem Rückgang der Verschreibung geführt. Foto: Sponge / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Medikamente wie Ritalin dürfen heute nur noch von Spezialisten verordnet werden. Das hat unter anderem zu einem Rückgang der Verschreibung geführt. Foto: Sponge / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Für ihre Untersuchung nahmen die Wissenschaftler ärztliche Abrechnungsdaten aus dem Zeitraum von 2009 bis 2016 unter die Lupe. Dabei zeigte sich auch, dass Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinderpsychotherapeuten in der Behandlung an Bedeutung gewonnen haben: Im Jahr 2016 kam bei 41 Prozent der Betroffenen die Verordnung der Medikamente von Fachärzten aus diesem Feld; 2009 hatten noch 72 Prozent ihre Medikation von anderen Ärzten bekommen.

Studie: Anteil der hyperaktiven Kinder nimmt zu – aber: Viel weniger Betroffene bekommen Ritalin

Von den insgesamt 262.766 ADHS-Patienten im Jahr 2016 erhielten 116.021 (44 Prozent) mindestens eine Medikamenten-Verordnung. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Medikation war in allen Altersgruppen bei Jungen höher als bei Mädchen. In den meisten Fällen kam dabei Ritalin zum Einsatz.

Neben Methylphenidat sind zu ADHS-Behandlung in Deutschland vor allem Psychostimulanzien aus der Gruppe der Amphetamine zugelassen. Diese sind 2012 auf dem Markt eingeführt worden, was aber dem ZI zufolge nicht zu einer Zunahme der Verordnungen insgesamt geführt habe.

Die Verordnungshäufigkeit von Methylphenidat nimmt mit dem Alter der Patienten in beiden Geschlechtern fast linear zu. Während lediglich 3,9 Prozent der 5-jährigen Jungen bzw. 2,4 Prozent der Mädchen desselben Alters Methylphenidat verordnet wird, sind es bereits 42 Prozent bei den 10-jährigen Jungen bzw. 35 Prozent bei den 10-jährigen Mädchen. Ab dem 12. Lebensjahr stabilisiert sich die Verordnungsprävalenz sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen.

Als Ursache der beobachteten Entwicklung vermuten die Forscher striktere Vorgaben bei der Verordnung von Psychostimulanzien. Dies könne sowohl den Rückgang als auch den Bedeutungsgewinn der Fachärzte erklären. Bemerkenswert aus Sicht der Autoren ist außerdem, dass es in der ADHS Medikation wissenschaftliche Fortschritte gegeben habe, was zur Einführung zahlreicher neuer Medikamente geführt habe, ohne, dass dabei der Gesamtanteil der ADHS-Diagnosen gestiegen sei. (zab, pm)

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Petra L.
4 Jahre zuvor

Wen wundert es ??? Die meisten Mittel haben starke Nebenwirkungen, die oftmals verharmlost werden. Viele Kinder und Jugendliche machen bis zu drei Wechsel mit, bis sie dann genervt aufgeben. Viele Jugendliche verweigern in der Pubertät die Medikation oder nehmen sie dann eben gezielt nur noch vor Prüfungen ein. Hoffe da sehr auf die mitrochondriale und orthomolekulare Medizin, die die Medizin der Zukunft sind und nicht nur die Symptome und vermuteten Ursachen bahandeln, sonder die Ursachen, die meist im Mikronährstoffbereich oder Umweltbelastungen mit Schwermetallen etc. liegen. Aber das interessiert die Schulmedizin leider nicht.

Petra L.
4 Jahre zuvor

Leider gibt es ja auch keine Erfassung der Kinder und Jugendlichen, die die Therapie abbrechen.