Studie: Aufklärung im Unterricht muss alle sexuellen Identitäten einschließen

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BERN. Der Sexualkundeunterricht ist immer gut für eine kontroverse Debatte. Eine Schweizer Studie liefert jetzt „deutliche Hinweise“ darauf, warum der Aufklarungsunterricht unverzichtbar ist und warum alle sexuelle Identitäten eingeschlossen sein sollten.

Wen lieben Sie denn, lieber Lehrer? Foto: Dean McCoy / flickr (CC BY 2.0)
Kinder und Jugendliche werden heute früh mit Sexualität konfrontiert, über Liebe erfahren sie wenig. Foto:
Dean McCoy / flickr (CC BY 2.0)

Sexualaufklärung ist heute fest im schulischen Lehrplan verankert. Viele Eltern verunsichert das, und auch von Pädagogen, Verbänden, Parteien und der Kirche kommen kritische Stimmen, die Inhalte, Art und Weise und Zeitpunkt der schulischen Sexualerziehung mit unterschiedlichen Motivationen in Zweifel ziehen. Die Sexualerziehung gänzlich abschaffen wollen indes nur die Wenigsten. Welche Folgen ein gänzlicher Verzicht hätte, deutet eine Schweizer Studie an.

Yara Barrense-Dias von der der Forschungsgruppe für Jugendgesundheit am Center for Primary Care and Public Health (Unisanté) in Lausanne forscht im Bereich Jugendgesundheit und wollte herausfinden, ob die sexuelle Gesundheit junger Menschen damit zusammenhängt, von wem sie aufgeklärt wurden

Für ihre Studie wertete sie Daten aus einer gesamtschweizerischen Befragung von 2017 aus. Die ursprüngliche Stichprobe stammte vom Bundesamt für Statistik und war repräsentativ für die 24- bis 26-jährige Bevölkerung in der Schweiz. Alle diese jungen Erwachsenen wurden von den Forschern angeschrieben und gebeten, an ihrer Umfrage mitzumachen. 4978 junge Erwachsene mit einem Durchschnittsalter von 26,3 Jahren beantworteten schließlich die Frage: „Wer hat mit Ihnen während Ihrer Kindheit und Jugend hauptsächlich über Sexualität gesprochen?“

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Das Forschungsteam unterteilte die Teilnehmer aufgrund ihrer Antworten in sechs Gruppen, je nach ihrer Hauptinformationsquelle für die Aufklärung: Auf dem ersten Platz landeten die Freundinnen und Freunde mit 38,9 Prozent, gefolgt von den Eltern mit 27,3 Prozent, der Schule mit 19,1 Prozent und dem Internet mit 8 Prozent.

Darauf aufbauend verglichen die Wissenschaftler die sechs Gruppen dann bezüglich soziodemografischen Kriterien, ersten sexuellen Erfahrungen, Schwangerschaft, Risikoverhalten (u.a. sexuell übertragbare Infektionen), der Zahl der Sexualpartner sowie mit Daten über ungewollte sexuelle Erfahrungen.

Bei den Befragten, die als Hauptquelle die Schule angaben – und mit nur wenig Abstand bei denjenigen, die hauptsächlich von ihren Eltern aufgeklärt wurden – waren sexuell übertragbare Infektionen am seltensten (6,8 Prozent bzw. 8,2 Prozent). In der Gruppe, die das Internet oder den Freundeskreis nannte, erreichte dieser Anteil hingegen 11,3 bzw. 11,7 Prozent. Ähnlich fielen die Ergebnisse bei der Frage aus, ob die Teilnehmenden Geschlechtsverkehr hatten, ohne diesen wirklich zu wollen.

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Der Sexualkundeunterricht in der Schule habe mithin einen positiven Einfluss auf die sexuelle Gesundheit, folgert Barrense-Dias. Darüber hinaus zeigten die Befunde deutlich, dass eine fundierte Sexualaufklärung am Besten über eine Partnerschaft von Eltern und Schule zu erreichen sei: „Die erste Quelle für die Sexualerziehung sollten die Eltern sein, doch die Schule kann sie dabei unterstützen. Manchmal ist es für Eltern schwierig über Sexualität zu sprechen; etwa den richtigen Moment zu finden oder alle Aspekte abzudecken. Im Sexualkundeunterricht hingegen gibt es einen festen Lehrplan.“

Bei der genaueren Auswertung der Daten hätten sich außerdem deutliche Hinweise darauf gezeigt, dass Kinder, deren Pubertät besonders früh oder spät einsetzt, Nicht-Heterosexuelle und junge Männer eher Informationen im Internet suchten. Gleichzeitig zeigen sich bei Jugendlichen, die das Internet und den Freundeskreis als Hauptquellen für die Aufklärung nutzen, häufiger negative Entwicklungen wie riskantes Sexualverhalten. „Auch wenn einige Ressourcen wie Freunde oder das Internet bei der individuellen Bewertung negative Ergebnisse zeigten, können wir nicht leugnen, welchen wichtigen Platz sie im Leben einiger Jugendlicher einnehmen.“, so die Forscher.

Für Yara Barrense-Dias hat dieser Befund auch Folgen für die Inhalte des Sexualkundeunterrichts. „Der Aufklärungsunterricht in der Schule muss alle sexuellen Identitäten einschließen und auch Kinder berücksichtigen, die sehr früh oder spät in die Pubertät kommen.“ Sie ist aber auch überzeugt: „Wir müssen den Kindern beibringen, wie sie die verschiedenen Quellen nutzen, wie sie ihre Internet-Kompetenzen verbessern können. Schule und Eltern sollten junge Menschen auf gute, vertrauenswürdige Websites hinweisen und diese selber zur Unterstützung einsetzen.“

Junge Frauen wurden im Übrigen häufiger von ihren Eltern – meistens der Mutter – über Sexualität aufgeklärt als junge Männer. „Vermutlich“, so Barrense-Dias, bemühten sich die Eltern eher um die Aufklärung, weil die Mädchen schwanger werden könnten. Die erste Periode sei außerdem ein guter Anlass, ein Gespräch über Sexualität allgemein zu beginnen. Ein Ankerpunkt beim Heranwachsen, den es beim männlichen Körper nicht gebe. Die Forscherin betont jedoch, dass die Verantwortung für Verhütung und Schutz im Hinblick auf eine positive Sexualität und eine gute sexuelle Gesundheit alle Geschlechter betreffe. (zab, pm)

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