BERLIN. Komplizierte Handyverträge, geschürte Konsumwünsche, verschuldete Jugendliche: Die Finanzwelt ist auch für Schüler komplizierter geworden. Die Schulen gehen darauf aus Sicht von Experten nicht genug ein.
Schüler lernen aus Sicht von Experten zu wenig über Geldthemen. «Ökonomische Unterrichtsinhalte spielen in der Schullandschaft eine zu geringe Rolle», sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, im Gespräch. «An vielen Schulen werden sie fachfremd unterrichtet, weil ausgebildete Lehrer dafür fehlen.» Für das Unterrichten ökonomischer Zusammenhänge brauche es aber Experten. «Das kann kein Politiklehrer nebenbei unterrichten.» Verbraucherschützer warnen aber davor, externen Experten im Unterricht zu viel Raum zu geben. Schuldnerberater empfehlen Lehrern, mehr mit Praxisbeispielen zu arbeiten – zum Beispiel Mobilfunkverträge durchzugehen.
Finanzbildung ist “relativ spät” in den Fokus von Schule gerückt
«Finanzbildung als Teil der ökonomischen Grundbildung ist ein wesentlicher Teil der Allgemeinbildung, der erst relativ spät in den Fokus von Schule gerückt ist», sagte Meidinger. «Dabei ist es ein wichtiger Teil neben Bereichen wie sprachlicher und musischer Bildung. Da gibt es auch heute noch Defizite an deutschen Schulen.»
Auch der Schuldnerberater Frank Wiedenhaupt sieht Handlungsbedarf. «Die Welt ist komplizierter geworden», sagte das Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. «Es kommen spürbar immer mehr junge Menschen in die Schuldnerberatungsstellen. Ein häufiger Satz ist dann: “Hätte ich das doch nur früher gewusst.”» Wiedenhaupt schlägt vor: «Man könnte im Deutschunterricht ja mal einen Mobilfunkvertrag durchgehen. In Mathe könnte ein Inkassoschreiben durchgegangen werden oder man könnte Zinsberechnungen machen. Oder die Frage stellen, ob ein Prepaid-Handy günstiger ist als ein Vertrag.» Lehrer kämen nicht darum herum, sich externe Experten dazu zu holen, sagte der Schuldnerberater.
Warnung vor Externen im Unterricht: “Nicht unreflektiert übernehmen”
Die Verbraucherschützerin Vera Fricke rät aber zur Vorsicht. «Die Auswahl Externer, die in den Unterricht kommen, sollte vielfältig sein», betonte die Leiterin des Teams Verbraucherbildung beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. «Wirtschaftsakteure haben ein Interesse für das Produkt, das sie verkaufen. Es kann nicht sein, dass ein sehr großer Teil der Lehrerfortbildungen für diese Fächer von Wirtschaftsakteuren angeboten wird. Wir wünschen uns hier mehr öffentliche unabhängige Angebote.» Es hapere an der Ausbildung der Lehrkräfte. Externe Experten könnten die Außensicht einbringen. «Aber das sollte nicht unreflektiert übernommen werden.»
Der Lehrerverbandschef empfiehlt neben Besuchen externer Experten im Unterricht Projekte, um ökonomische Aspekte zu veranschaulichen. «Man kann auch Schulfeste oder ein Schülercafé organisieren und dabei lernen, wie man mit der Klasse Geld erwirtschaftet», sagte Meidinger. Ein Praxisteil zur Vermittlung finanzieller Bildung sei wichtig, sollte aber nicht der Kernteil sein. «Vor allem an weiterführenden Schulen geht es darum, ökonomische Zusammenhänge zu erkennen.»
Aus Sicht von Verbraucherschützerin Fricke sollten Schüler die Fallstricke kennen, die es gibt. «Sie müssen Konsumwünsche reflektieren können und wissen, von welchen Institutionen sie unabhängige Informationen bekommen», sagte Fricke. Kinder und Jugendliche müssten auch lernen, dass sie als Verbraucher ein Teil des ökonomischen Systems seien. «Finanzielle Bildung ist immens wichtig, gerade da unsere Welt immer stärker aus Konsumgeflechten besteht. Hier spielen die Eltern, aber auch die Schule eine wahnsinnig große Rolle.» Sie hält einen problemorientierten Ansatz für wichtig. «Die Schüler sollten sich eher mit der Frage auseinandersetzen, wie sie mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld klarkommen, als damit, wie sie mit Aktien umgehen.»
“Es geht um Bildung zur Bewältigung des Lebens”
Der Bereichsleiter Wirtschaft bei der Joachim-Herz-Stiftung, Wolf Prieß, betont: «Es geht um Bildung zur Bewältigung des Lebens, um aufgeklärt einkaufen zu können und Konsum auch kritisch zu sehen. Wichtig ist eine begründete Skepsis, die einen nicht lähmt.» Schülern müssten die dahinterliegenden ökonomischen Modelle vermittelt werden, um sie in der Wirklichkeit zu reflektieren. Die Stiftung will mit Projekten die ökonomische Bildung von Schülern fördern.
Vor der Schule sieht Lehrerverbandschef Meidinger bei der Finanzbildung aber die Eltern in der Pflicht. «Jugendlichen zu vermitteln, wie sie mit Geld umgehen, ist grundsätzlich Elternsache», sagte er. «Das wird die Schule ihnen nicht abnehmen können. In der Schule kann man zwar Projekte machen dazu, wie man vernünftig mit Geld umgeht, aber das wird nie den Vorbildcharakter der eigenen Eltern ersetzen.» Mit dem eigenen Taschengeld etwas kaufen und es sparen – «diese Primärerfahrungen wird Schule nie vermitteln können». Von Christine Cornelius, dpa
Gerade noch befriedigend: Deutschlands Jugend gibt sich durchschnittlich die Schulnote 3,3 für ihre finanzielle Bildung. Gegenüber 2016 (Schulnote 3,4) hat sich – zumindest aus Schülersicht – bei der Vermittlung von Finanzwissen nicht viel getan. Und das, obwohl die Schulen in der Bewertung der Jugendlichen zulegen konnten. Jedoch geben immer noch 40 Prozent der Befragten der schulischen Finanzbildung die Note 5 oder 6 (2016: 59 Prozent). Zu diesem Ergebnis kam zu Jahresbeginn eine Jugendstudie der Bank comdirect, für die bundesweit 1.600 Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahren befragt wurden.
Zwar wissen die meisten Jugendlichen, was Begriffe wie „Kreditkarte“, „Zinsen“ oder „Girokonto“ bedeuten. Aber schon ein Wort wie „Inflation“ könnte ein Drittel nicht erklären. Mit „Liquidität“ kann die Hälfte nichts anfangen und was sich hinter dem Begriff „DAX“ verbirgt, könnte nicht einmal jeder Zweite erläutern. „Selbst von den 22- bis 25-Jährigen könnten nur 53 Prozent erklären, was „Liquidität“ ist. Auch der Begriff „Rendite“ ist jedem zweiten 22- bis 25-Jährigen nicht geläufig. Dass viele junge Erwachsene solche Wörter, die meiner Meinung nach zum Allgemeinwissen gehören sollten, nicht verstehen, zeigt die Schwäche im Bereich der finanziellen Bildung“, so Arno Walter, Vorstandsvorsitzender von comdirect.
Die eigene Unwissenheit in finanziellen Angelegenheiten ist der Jugend durchaus bewusst. 18 Prozent geben sich die Schulnote 5 oder sogar 6 für ihr Finanzwissen (2016: 22 Prozent). Nur 27 Prozent würden sich mit einer 1 oder 2 benoten (2016: 24 Prozent).
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
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Schule soll Grundlagen vermitteln, kein Spezialwissen, das nach einem Jahr wieder überholt ist. Einen Handyvertrag dürfen Schüler unter 18 sowieso nicht abschließen, weshalb das gar keinen Sinn macht.
Na da würden sich die Schüler aber freuen, wenn sie solche Verträge durchgehen müssten.
Alles, wozu die Eltern keine Lust mehr haben muss jetzt die Schule machen.
Nein, es hat sich vieles gewandelt und ist komplizierter geworden. Selbstverständlich müssen beide Seiten, auch die Eltern, diese neuen Aufgaben übernehmen. Tun sie auch oft. Aber wenn sich das Leben geändert hat, muss auch die Schule manches für junge Leute nun Wesentliche aufgreifen.
Leider “muss” die Schule so viel … Der Küstenfuchs bringt es auf den Punkt, s.u.
Mehr Finanzwissen – oh ja!
Mehr Vertragswesen – ein Muss!
Mehr lebensrettende Sofortmaßnahmen – unbedingt!
Mehr Politikunterricht – klar, muss sein!
Mehr Jura (Grundverständnis) – warum nicht!
Mehr Umweltwissen – bitte sofort!
Jede dieser und vieler anderer Forderungen mag ja isoliert betrachtet berechtigt sein, realistisch umsetzbar ist es aber nicht.
nur ergänzend:
Unterricht in “Glück”
Sozialpraktikum
Rassismusprävention
Gesundheitslehre
mehr Sport
Die Stellenbeschreibung in der “freien Wirtschaft” möchte ich mal sehen, die all diese Kompetenzen verlangt.
Gesucht wird:
Die eierlegende Wollmilchsau.
Die Schule des Lebens ist nicht die Schule. Sondern das Leben.
Um einen Handyvertrag zu verstehen, sollten die SuS erstmal in der Lage sein einfachste Fachtexte zu verstehen.
Des Weiteren wäre es auch von Vorteil wenn die Eltern sich für ihre Kiddies Zeitnehmen und mit ihnen gemeinsam Lesen. Das hilft auch schon. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass selbst für Erwachsene die Verträge zu komplex sind.
Solche Fragen werden die Schüler nicht stellen. Ich erwarte eher so etwas wie ein Preisvergleich. Dafür sollten aber die Kenntnisse ausreichen, die im Mathematikunterricht allgemein vermittelt werden.
So fern die lieben SuS überhaupt aufpassen!
Ich finde, man sollte mit den Schülern auch die seitenlangen Facebook-AGBs durchlesen. Nach ca. 1 Woche hat man das dann gelesen – Schüler werden es ätzend finden. Sicher wird dann noch gefordert, Lehrer sollten das Lesen eines Mobilfunkvertrages oder irgendwelcher AGBs noch spannend gestalten.