75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz: Mehrheit der Bürger will Schüler zu Besuch von KZ-Gedenkstätte verpflichten

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BERLIN. Nur jeder zweite Deutsche hat sich mindestens einmal in einem ehemaligen KZ ein Bild von den Gräueltaten der Nazis gemacht. Deswegen gibt es auch immer wieder Forderungen nach Pflichtbesuchen von Schülern in Gedenkstätten. Gerade junge Leute fänden das gut.

In Auschwitz wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet. Foto: Shutterstock

Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist dafür, alle Schüler zum Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers der Nazis zu verpflichten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 56 Prozent für solche Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten mindestens einmal während der Schulzeit aus. Nur 34 Prozent sind dagegen. 10 Prozent machten keine Angaben.

Die Umfrage mit mehr als 2000 Teilnehmern ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Vor allem die jungen Erwachsenen, die die Schulzeit noch nicht lange hinter sich haben, wünschen sich die Pflichtbesuche. Von den 18- bis 24-Jährigen sind fast zwei Drittel (64 Prozent) dafür. Aber auch in allen anderen Altersgruppen plädiert eine Mehrheit dafür.

Zentralrat der Juden sprach sich für verpflichtende Besuche von Schülern aus

Nur 55 Prozent der erwachsenen Deutschen haben der Umfrage zufolge mindestens einmal ein ehemaliges Konzentrationslager besucht. Interessant dabei: Je älter die Befragten, desto geringer ist der Anteil derjenigen, die schon einmal in einer KZ-Gedenkstätte waren. Von den 18- bis 24-jährigen sind es 67 Prozent, von den über 55-Jährigen nur 49 Prozent.

In Auschwitz war von allen Befragten bisher nur jeder Fünfte (21 Prozent). An diesem Montag jährt sich die Befreiung des größten Vernichtungslagers der Nazis durch die Rote Armee zum 75. Mal. Allein dort brachten die Nationalsozialisten mehr als eine Million Menschen um. Der Holocaust kostete insgesamt rund sechs Millionen Juden das Leben. Sie wurden von den Deutschen erschossen und in Gaskammern ermordet oder starben an den Folgen von Hunger, Krankheit und Erschöpfung.

Der Zentralrat der Juden hatte sich erstmals vor fünf Jahren für verpflichtende Besuche von Schülern in KZ-Gedenkstätten ausgesprochen. Danach hatte es immer wieder entsprechende Forderungen auch von Politikern unterschiedlicher Parteien gegeben. Im vergangenen Sommer plädierte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einer Israel-Reise dafür. «Ich bin davon überzeugt, dass der Besuch einer Gedenkstätte auf jedem Lehrplan stehen und sich jeder zumindest einmal in seinem Leben damit auseinandersetzen muss», sagte sie damals der «Bild»-Zeitung.

Karliczek: Alle Schüler sollten mindestens einmal ein ehemaliges KZ besuchen

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sprach sich jetzt ebenfalls dafür aus, dass alle Schüler mindestens einmal ein ehemaliges Konzentrationslager oder eine andere NS-Gedenkstätte besuchen sollten. «Damit gerade junge Menschen begreifen, was geschehen ist, ist es notwendig, die Orte der Gräuel zu besuchen und angesichts der Verbrechen innezuhalten», sagte die CDU-Politikerin.

Alle seien aufgefordert, sich weiter mit diesem schrecklichen Teil unserer Geschichte auseinanderzusetzen. Es dürfe keinen Schlussstrich geben. Karliczek äußerte sich dabei nicht zur Frage, ob ein solcher Besuch für Schüler obligatorisch sein sollte. Die Bundesländer forderte sie auf, antisemitische Vorfälle an den Schulen «konsequent zentral» zu erfassen. «Jüdische Kinder dürfen in unserem Land keine Angst vor Anfeindungen haben.» Antisemitismus dürfe in der Gesellschaft keinen Platz haben und an den Schulen nicht toleriert werden.

Einige Experten argumentieren, ein Zwang könnte pädagogisch kontraproduktiv sein. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sprach sich gegen eine Besuchspflicht für Schüler aus. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte sie, der Besuch von Gedenkstätten sollte stattdessen Teil der Lehrerausbildung werden.

Die Länder handhaben das sehr unterschiedlich. Bayern hatte als erstes Land den Besuch einer NS-Gedenkstätte in den Lehrplänen von Gymnasien und später auch von Realschulen fest verankert. In anderen Bundesländern ist zwar der Besuch an einem oder mehreren Gedenkorten obligatorisch. Es muss sich dabei aber nicht um Orte aus der NS-Zeit handeln. Viele Schulen unternehmen die Fahrten allerdings freiwillig, in manchen Lehrplänen werden sie auch empfohlen.

37 Prozent der Bürger fordern mehr Raum für das Thema in den Lehrplänen

Tendenziell gibt es in der Bevölkerung das Bedürfnis nach einer stärkeren Thematisierung des Völkermords an Millionen Juden in der Schule. Laut YouGov-Umfrage finden 36 Prozent der Deutschen, dass sie in ihrer Schulzeit zu wenig darüber gelernt haben. Dagegen finden nur 7 Prozent, das Thema habe zu großen Raum eingenommen. 47 Prozent sagen, sie seien im Schulunterricht ausreichend über den Holocaust informiert worden.

37 Prozent finden, das Thema sollte künftig einen größeren Raum in den Lehrplänen einnehmen. Nur 13 Prozent meinen dagegen, man sollte sich in der Schule weniger damit befassen. dpa

Der Beitrag wird auch auf der Faceboook-Seite von News4teachers diskutiert.

Schüler singen Nazi-Lied nach Gedenkstätten-Besuch – Schule geht in die Offensive

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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Ergänzend zum Thema passt die Schlussrede an die Menschheit von Charly Chaplin aus dem Film „Der große Diktator“ aus dem Jahre 1940.