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Mehrarbeit?! Lehrer kochen vor Wut über Piazolos Schreiben. Die GEW fordert stattdessen eine Kürzung der Stundentafel

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MÜNCHEN. „So geht man mit seinen Beschäftigten nicht um, auch nicht in Zeiten der akuten Gefährdung des Schulbetriebs!“, so schimpft die GEW. Sie meint: „Die Lehrkräfte an den Schulen sind nicht mehr in der Lage, noch weitere Belastungen zu tragen. Sie benötigen dringend Arbeitsentlastung und keine weitere Arbeitsverdichtung!“ Anlass der Empörung: die Ankündigung von Bayerns Kultusminister Piazolo, Lehrer an Grund- und Mittelschulen in den nächsten Jahren mehr arbeiten zu lassen. Der Lehrermangel schlägt nun auch in Bayern mit voller Wucht zu.

Bekommt gerade mächtig viel Ärger zu spüren: Bayerns Kultusminister Michael Piazolo. Foto: Andreas Gebert / StMUK

Mit einem Brief an alle „Lehrkräfte, Fachlehrkräfte und Förderlehrkräfte an den Grund- und Mittelschulen in Bayern“ hat Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) versucht, die Wogen zu glätten. „Unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler haben das Privileg, nicht nur von professionell ausgebildeten, sondern auch von hoch motivierten Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet zu werden, die ihren Beruf engagiert und mit Überzeugung ausüben“, so schreibt er darin.  Und: „Mit Ihrer täglichen pädagogischen Arbeit im Klassenzimmer leisten Sie hierzu einen ganz entscheidenden Beitrag. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken.“

“Kurzfristig bauen wir auf die Unterstützung der aktiven Lehrkräfte”

Dann allerdings kommt er zum unangenehmen Teil seiner Botschaft: dem Lehrermangel. „Die Ursachen hierfür sind vielfältig und teils schwer kalkulierbar – zu nennen wären hier z. B. gestiegene Geburtenzahlen oder der gestiegene Zuzug nach Bayern. Auch die zusätzlichen Lehrerstellen, die in den vergangenen Jahren z. B. in den Bereichen Ganztag oder Inklusion zur Unterstützung der pädagogischen Arbeit geschaffen wurden, haben unsere Lehrkräfte zwar entlastet, andererseits auch weitere Lehrerbedarfe erzeugt“, so schreibt er. Auch habe sich die Personalstruktur gewandelt; immer mehr Lehrer arbeiteten in Teilzeit. Kurzum: „All dies führt dazu, dass die vorhandenen Bewerberinnen und Bewerber in den kommenden Jahren nicht mehr ausreichen werden, um die Personalbedarfe an den Grund- und Mittelschulen zu decken.“

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Was dann kommt, sorgt im Freistaat für breite Empörung. „Kurzfristig bauen wir daher auf Ihre, d. h. auf die Unterstützung der aktiven Lehrkräfte, um mit einer Kombination aus freiwilligen und dienstrechtlichen, d. h. verpflichtenden Maßnahmen die Lehrkapazitäten ab dem kommenden Schuljahr zu erhöhen“, schreibt Piazolo. Heißt: Viele Lehrer der betroffenen Schulformen müssen ab dem kommenden Schuljahr mehr arbeiten, was ihnen in fünf Jahren dann in Form von Entlastung erstattet werden soll. Außerdem dürfen sie künftig nur noch in Ausnahmefällen vor dem 66. Lebensjahr in Rente gehen. Bei Teilzeitverträgen steigt die Mindeststundenzahl, und Sabbatjahre werden abgeschafft (im Wortlaut des Briefes: siehe Kasten unten).

“Verzweifelte Versuche, die Unterrichtsversorung sicherzustellen, sind gescheitert”

Lehrervertreter zeigen sich entsetzt – über den Inhalt des Schreibens, aber auch über die Art des Vorgehens. „Die verzweifelten Versuche des Kultusministeriums, die Unterrichtsversorgung mit fachfremdem Personal, mit noch nicht fertig ausgebildeten Lehrkräften, mit Umschulungsmaßnahmen sowie mit dem Slogan ‚Vor jeder Klasse steht ein Lehrer‘ (Piazolo) sicher zu stellen, sind nun gescheitert“, stellt Johannes Schiller, Sprecher der Landesfachgruppe Sonderpädagogische Berufe und Mitglied im Hauptpersonalrat fest.

„Die Personalvertretungen wurden über diese Maßnahmen nicht informiert. Dies ist schlicht rechtswidrig“, erklärt Ruth Brenner, Vorsitzende der GEW-Landesfachgruppe für Grund- und Mittelschulen und Mitglied im Hauptpersonalrat. „Aber nach dem Motto: ‚Was kümmert mich eine Personalvertretung, ich sorge mich ja auch nicht ums Personal‘ kann sich das Kultusministerium anscheinend alles erlauben.“

Dabei hätten die GEW und weitere Verbände sowie die Opposition im bayerischen Landtag bereits seit Jahren darauf hingewiesen, dass der Mangel an Lehrkräften an besagten Schularten erhebliche Ausmaße angenommen hat – vergeblich. Alle Lösungsvorschläge seien ignoriert worden. Es sei versäumt worden, den Lehrerberuf attraktiver zu machen  –  durch A13 für alle. Auch sei die Stundentafel nicht gekürzt worden. „Dies ist in unseren Augen die einzige Maßnahme, die kurzfristig dem Personalmangel entgegenwirkt, ohne die Kolleg*innen zusätzlich zu belasten. Diese vorübergehende Reduzierung muss ohne jegliche Kürzung von Haushaltsmitteln im Schulbereich erfolgen“, so heißt es bei der GEW.

Lehrermangel ist Folge einer verfehlten Planung – also hausgemacht

Und weiter: „Man muss es immer wieder klar und deutlich sagen: Der Personalmangel an Grund-, Mittel-, und Förderschulen ist hausgemacht und Folge einer verfehlten Planung. Geburtenraten, Ruhestandsversetzungen und Ausbildungskapazitäten sind Größen, die bekannt sind und in langfristige Planungen hätten einbezogen werden müssen. Die Konsequenzen dieser desaströsen Fehlplanungen bekommen nun vor allem die Kolleg*innen an den Schulen zu spüren.“ Auch Piazolos Versuch, in seinem Schreiben um freiwillige Beiträge der Lehrerschaft zu bitten, wird kritisiert. „Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft grenzt es an Zynismus, wenn Piazolo an die bayerischen Lehrer*innen appelliert, auf freiwilliger Basis einen Beitrag zu leisten, beispielsweise durch Erhöhung der Teilzeitstunden oder durch Aufschieben des Ruhestands, um dann diese Maßnahmen ein paar Absätze weiter dienstrechtlich vorzuschreiben.“

Auch aus den konservativen Lehrerverbänden – die unlängst noch die bayerische Bildungspolitik über den Klee gelobt hatten (News4teachers berichtete) – kommt harsche Kritik. Von „enormem Sprengstoff“ ist bei der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Lehrerverbände (abl) die Rede, in der unter anderem der Philologenverband und der Realschullehrerverband zusammengeschlossen sind. „Die vorgestellten Maßnahmen führen zu einem großen Vertrauensverlust in den Dienstherrn und sie sorgen für Verunsicherung bei Lehrkräften aller Schularten“, erklärt abl-Präsidentin Walburga Krefting, Vorsitzende der Katholischen Erziehergemeinschaft.

“Nicht vertretbarer Einschnitt in die Lebensplanung von Lehrkräften”

„Insbesondere stellt die Anhebung der Altersgrenze für den Antragsruhestand einen nicht vertretbaren Einschnitt in die Lebensplanung von Lehrkräften nach jahrzehntelangem Einsatz für den Freistaat Bayern dar. Dieser Sündenfall zu Lasten einer einzelnen Beamtengruppe passt nicht zur beamtenrechtlichen Führungsrolle Bayerns“, so sagt sie. Und: „Wir gehen im Übrigen davon aus, dass sich im praktischen Vollzug die Maßnahme eher als kontraproduktiv erweisen wird.“ Soll wohl heißen: Der Schuss geht nach hinten los, weil dann noch mehr Lehrer aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden als ohnehin schon. News4teachers

Im Wortlaut

Was hat Bayerns Kultusminister Michael Piazolo den Lehrern an Grund- und Mittelschulen genau angekündigt? Im Wortlaut seines Schreibens heißt es dazu wörtlich:

„Im Bereich des Dienstrechts konnten wir die Spielräume, die das Bayerische Beamtengesetz z. B. bei Teilzeit oder vorzeitigem Ruhestand bietet, in den letzten Jahren im Interesse unserer Lehrerinnen und Lehrer großzügig nutzen. Nun ist es unausweichlich, dass wir diese Spielräume – wie es das Beamtenrecht für solche Situationen ausdrücklich vorsieht – enger fassen. Im Einzelnen geht es insbesondere um folgende Maßnahmen:

  • Einführung eines Arbeitszeitkontos für Grundschullehrkräfte an Grundschulen: Die Unterrichtspflichtzeit wird vorübergehend um eine Stunde erhöht („Ansparphase“). Dabei ist garantiert, dass Ihnen die so geleistete Mehrarbeit in der sog. „Rückgabephase“ durch eine Verringerung der Unterrichtspflichtzeit im selben Umfang ausgeglichen wird. Lehrkräfte in den letzten Dienstjahren und Schwerbehinderte sind vom Arbeitszeitkonto nicht betroffen. Da die Bedarfslage an Mittel- und Förderschulen innerhalb des dienstrechtlich vorgegebenen Zeitrahmens keine Rückgabephase ermöglicht, bleibt das Arbeitszeitkonto auf die Grundschule beschränkt.
  • Anhebung des Mindeststundenmaßes bei Antragsteilzeit für Lehrkräfte und Fachlehrkräfte: Antragsteilzeit ist weiterhin möglich. Das Mindeststundenmaß beträgt jedoch künftig 24 Wochenstundenstunden. Dies schließt Lehrkräfte, denen in den vergangenen Jahren per Bestandsschutz niedrigere Teilzeitumfänge als das bisherige Mindestmaß genehmigt wurden, mit ein. Schwerbehinderte und gleichgestellte Lehrkräfte sind weiterhin ausgenommen. Bei Teilzeit in Elternzeit bzw. familienpolitischer Teilzeit ändert sich nichts.
  • Änderungen beim Antragsruhestand für Lehrkräfte, Fach- und Förderlehrkräfte an Grund- und Mittelschulen: Der Antragsruhestand zum Schuljahresende wird weiter möglich sein. Anträge auf einen Beginn des Antragsruhestands vor Vollendung des 65. Lebensjahres werden allerdings bei einer Einzelfallabwägung wegen des hohen Stellenwerts der dienstlichen Belange auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation in der Regel abzulehnen sein.
  • Keine neue Genehmigung von „Sabbatjahren“: Neue Freistellungsmodelle können in den nächsten Jahren – unabhängig von der Dauer – allgemein nicht genehmigt werden. Bereits genehmigte Modelle können selbstverständlich umgesetzt werden.

Ich versichere Ihnen schon heute: All diese Maßnahmen haben vorübergehenden Charakter. Wir werden sie zurücknehmen, sobald es die Bedarfssituation zulässt. In den nächsten Jahren gilt es jedoch erst einmal, die Bedarfsentwicklung genau im Auge zu behalten; das Staatsministerium wird die Schulen hierzu auf dem Laufenden halten.“

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrermangel: Piazolo ordnet Mehrarbeit für Grundschullehrer an – BLLV und GEW kündigen “massiven Widerstand” an

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