Schulen in der Corona-Krise – „Zusammen haben wir das sehr gut hinbekommen“: KMK-Präsidentin Hubig zieht eine erste Bilanz

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DÜSSELDORF. Schulen stehen weiterhin vor großen Herausforderungen. Zwar hat nach wochenlangen Schulschließungen der Unterricht schrittweise wieder begonnen – mit strengen Hygieneauflagen und Abstandsregelungen –, aber der Weg zur Normalität ist noch lang. Worauf es bei diesem Weg ankommt und welche Erkenntnisse das Schulsystem auch über die Corona-Krise hinaus verändern werden, erklärt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die rheinland-pfälzische Kultusministerin Stefanie Hubig, im Interview mit News4teachers.

Der Gesundheitsschutz hat zurzeit oberste Priorität, sagt die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Stefanie Hubig. Foto: Georg Banek / Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz.

News4teachers: Spätestens seit dem 4. Mai dürfen Schülerinnen und Schüler wieder in die Schulen. Gemeinsam mit den Kultusministerinnen und Kultusministern der anderen Bundesländer haben Sie ein Rahmenkonzept für den Präsenzunterricht in Zeiten der Pandemie vorgelegt. Was sieht dieses Konzept konkret vor?

Stefanie Hubig: Die große Überschrift des Rahmenkonzeptes ist zunächst der Infektions- und Gesundheitsschutz. Der Schutz der Schulfamilie steht an erster Stelle und bei allen Planungen muss immer das Infektionsgeschehen berücksichtigt werden. Erklärter Wille aller Länder ist es aber, dass jede Schülerin, jeder Schüler vor den Ferien zumindest tage- oder wochenweise in die Schule kommt. Aufgrund der Hygienevorgaben sieht das in Rheinland-Pfalz zum Beispiel so aus, dass wir mit einem rollierenden System arbeiten. Eine Lerngruppe, eine Klasse wird geteilt, sodass der nötige Abstand in den Klassenräumen gewahrt werden kann. Der erste Teil der Klasse kommt dann zum Beispiel. eine Woche lang in die Schule, während der zweite Teil zu Hause arbeitet. In der Folgewoche wechseln die Gruppen.

News4teachers: Sie deuten es schon an: Es gibt trotz des Rahmenkonzeptes in den Ländern Unterschiede was den Fahrplan für die Schulöffnungen angeht. Daran hat es in den vergangenen Wochen immer wieder Kritik gegeben. Warum halten Sie dieses Vorgehen dennoch für zielführend?

„Wir respektieren den Föderalismus und suchen gleichzeitig nach möglichst viel Einheitlichkeit.“ Stefanie Hubig

Hubig: Es ging uns bei dem Rahmenkonzept darum, bundesweit möglichst einheitliche Leitplanken zu haben, was bei der Unterrichtsaufnahme in den Schulen zu beachten ist. Und das ist uns gelungen. Ganz klar ist auch, dass innerhalb dieser Leitplanken regionale Gegebenheiten berücksichtigt werden können. Das muss so sein – allein schon, weil die räumliche und personelle Situation der Schulen unterschiedlich ist und auch das Infektionsgeschehen sich regional unterscheidet.

Insgesamt kann ich sagen, arbeiten wir auf KMK-Ebene gerade sehr konstruktiv und gemeinschaftlich zusammen und konnten so einen großen Gleichklang der Länder erreichen. Der Schulstart wurde bundesweit auf den 4. Mai gelegt, davor sind nur diejenigen an die Schulen gekommen, die unmittelbar vor einer Abschlussprüfung stehen. Bei den Hygieneregeln haben wir ebenfalls eine große Einheitlichkeit erzielt, Grundlage war hierfür übrigens der rheinland-pfälzische Hygieneplan. Aber nochmal: Es muss auch Spielraum geben, um länderspezifischen Herausforderungen zu begegnen. Die Länder haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten Ferien und sie haben auch ein unterschiedliches Infektionsgeschehen. Nicht alles, was in dem einen Land funktioniert, ist deshalb 1 zu 1 auf jedes andere übertragbar. Wir respektieren den Föderalismus und suchen gleichzeitig nach möglichst viel Einheitlichkeit. Ich denke, das gelingt uns sehr gut.

News4teachers: Die wichtigsten Schutzmaßnahmen derzeit sind: Hygieneregeln befolgen, ausreichend Abstand halten sowie Mund- und Nasenschutz tragen. Wie sollen diese Maßnahmen in Schulen, die seit Jahren über mangelnde Hygiene, zu volle Klassen und Lehrermangel klagen, umgesetzt werden?

Hubig: Wir werden vor den Sommerferien keinen regulären Unterricht wie in Vor-Corona-Zeiten erleben, in dem alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig an den Schulen sind. Im rollierenden System ist nur die Hälfte der Schülerinnen und Schüler wirklich an den Schulen, während die andere Hälfte im Fernunterricht arbeitet, sodass ausreichend Personal zur Verfügung steht und auch der Platz da ist.

Natürlich waren die ersten Schritte hin zu den Schulöffnungen ein Kraftakt, der von den Schulen, den Schulträgern und der Schulaufsicht viel abverlangt hat – aber alle zusammen haben das sehr gut hinbekommen. Und das ist die Antwort auf Ihre Frage: Alle müssen zusammenarbeiten, sich anstrengen, verstehen, worum es geht. Für Rheinland-Pfalz kann ich sagen, das hat geklappt und dafür bedanke ich mich bei allen, die das möglich gemacht haben.

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News4teachers: Haben Sie bereits Rückmeldungen von den Schulen bekommen, wie der Präsenzunterricht mit den neuen Hygiene- und Abstandsregeln funktioniert?

Hubig: Die Rückmeldungen sind sehr gut. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler sind in dem rollierenden System an den rheinland-pfälzischen Schulen zurück und wir hören von einer großen Ernsthaftigkeit, mit der die Hygieneregeln eingehalten werden und wir erleben ganz viel Engagement aller Beteiligten. Natürlich ruckelt es hier und da auch noch, das bleibt nicht aus. Das haken wir nicht ab, sondern stehen jeden Tag mit den Schulen im Kontakt, um Hilfestellung zu geben, aus Fehlern zu lernen und noch besser zu werden.

News4teachers: Bei allen Herausforderungen: Gibt es auch etwas Positives, das Sie aus der aktuellen Krise für die Bildung mitnehmen werden?

Hubig: Ich finde es schwierig, einer globalen Krise, der bisher schon viele Tausend Menschen zum Opfer gefallen sind, immer noch etwas Positives abgewinnen zu wollen. Wir alle hätten uns gewünscht, es wäre nie so weit gekommen und wir alle wünschen uns, möglichst schnell wieder zu einer Normalität zurück zu finden. Aber natürlich ist es trotz allem schön zu sehen, wie pragmatisch und vor allem auch solidarisch unsere Schulen dieser Herausforderung begegnen. Das Miteinander und das Füreinander ist noch stärker in den Vordergrund gerückt. Dann ist da noch die technische Seite: Für die digitale Bildung, ist diese Ausnahmesituation ein echtes Schwungrad.

News4teachers: Kann man sagen, dass in der Vergangenheit zu viel versäumt wurde, wenn es um digitale Bildung geht?

Hubig: Deutschland ist im internationalen Vergleich nicht die Nummer 1 bei der digitalen Bildung. Das ist ganz klar und das bleibt ein Thema, das weiter ganz oben auf der Agenda der Kultusministerkonferenz steht. Wir müssen besser werden. Die Krise zeigt mir aber, dass wir schon sehr viel besser sind, als es vorher vielerorts dargestellt wurde. Und das in einer Situation, mit der zu Beginn des Jahres noch niemand gerechnet hat. Ich habe noch keinen Digitalexperten oder -expertin kennengelernt, die vor einem Jahr gesagt hätte, digitale Konzepte und Infrastrukturen müssen so aufgestellt sein, dass Kinder und Jugendliche gar nicht mehr in die Schule kommen.

News4teachers: Es wird wohl noch längere Zeit dauern, bis der Unterricht wirklich regulär weitergehen kann, sodass auch Heimunterricht weiter notwendig sein wird. Wie sorgen Sie in Rheinland-Pfalz dafür, dass sich die Bildungsungerechtigkeit dadurch nicht weiter verstärkt und kein Kind abgehängt wird?

Hubig: Ja, dem Fernunterricht wird weiter eine große Bedeutung zukommen. Die Frage der Bildungsgerechtigkeit treibt uns deshalb natürlich um – und nicht erst seit gestern. Wir steuern hier auf unterschiedlichen Ebenen nach. Um mehr technische Gerechtigkeit herzustellen, haben wir gemeinsam mit den Kommunalen Spitzen mehr als 40.000 Leihgeräte bereitgestellt, die Schülerinnen und Schüler kostenfrei und unbürokratisch ausleihen können. Dazu kommen jetzt die vom Bund bereitgestellten 500 Millionen aus dem Teilhabepaket.

Es geht aber um mehr als nur um technische Ausstattung. Deswegen wollen wir Kindern aus bildungsfernen Hintergründen gesonderte Förderung zukommen lassen – und zwar schon in der Kita. Den Weg, den wir mit der erweiterten Notbetreuung an Kitas und Schulen jetzt gehen, zielt darauf ab, dass insbesondere Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf diese Unterstützung auch bekommen. Die wichtigste Rolle kommt aber auch bei dieser Frage den Lehrkräften zu: Sie wissen am besten um die Hintergründe und Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler und können entsprechende Angebote machen. Darüber hinaus prüfen wir derzeit entsprechende Angebote in den Schulferien, um Unterrichtsstoff nachzuholen, zu vertiefen und zu üben. Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

 

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2 Kommentare
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Grundschullehrer
3 Jahre zuvor

„Insgesamt kann ich sagen, arbeiten wir auf KMK-Ebene gerade sehr konstruktiv und gemeinschaftlich zusammen und konnten so einen großen Gleichklang der Länder erreichen.“ Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger das sicher anders wahrnehmen. Vor allem mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in Thüringen und Sachsen, aber tendenziell auch Sachsen-Anhalt ist zu konstatieren, dass Abstands- und Hygieneregeln nicht mehr in ausreichendem Maß gelten sollen. Im Gegensatz dazu sagt Frau Hubig: „Wir werden vor den Sommerferien keinen regulären Unterricht wie in Vor-Corona-Zeiten erleben, in dem alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig an den Schulen sind.“ Wie ist dieser Widerspruch nun zu erklären? Wenn sich die Entwicklung so weiter fortsetzt, dann wird es Bundesländer geben, in denen Abstands- und Hygieneregeln auch weiterhin (auch in öffentlichen Einrichtungen und Schulen) gelten und Bundesländer wie Thüringen, in denen diese nicht mehr gelten. Sollen also künftig Menschen mit Vorerkrankungen oder Ältere, die sich weiter vor Ansteckungen schützen zum Beispiel von Thüringen nach Bayern ziehen, um auch weiterhin besser geschützt zu sein? Die Antworten von Frau Hubig werfen leider mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Pälzer
3 Jahre zuvor

Bisher hat das Land, in dem Frau Hubig Ministerin ist, nichts organisiert, um online-Unterricht leichter zu machen. Sie haben nach 2 Wochen genug Server aufgestellt, damit Moodle dem Ansturm gewachsen war, nach vielen Wochen Cisco Webex als Video-Software empfohlen und 5 Seiten Datenschutzinfo, aber keine Schulungen, Konzepte oder Bedienungsanleitungen bereitgestellt. „Zusammen haben wir das sehr gut hinbekommen“.