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Grundschulen in NRW öffnen wieder – ohne Abstandsregel. VBE ist “fassungslos”

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DÜSSELDORF. Jetzt geht doch alles schneller als gedacht: Noch vor den Sommerferien sollen alle Grundschüler in NRW täglich in ihre Schulen kommen. Das kündigte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Freitag an. Die Anfangs- und Pausenzeiten werden gestaffelt. Die Abstandsregel wird aufgehoben. Der VBE zeigt sich entsetzt. “Lehrkräfte verzweifeln an ihrer Dienstherrin”, so heißt es in einer Erklärung. Die GEW spricht von einer “gefährlichen Symbolpolitik”.

Schafft Fakten: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Martin Kraft / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 DE)

Alle Kinder im Grundschulalter sollen in Nordrhein-Westfalen ab dem 15. Juni wieder täglich zur Schule gehen. Das kündigte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Freitag in Düsseldorf an. Bis zu den Sommerferien, die bereits am 29. Juni beginnen, sollen die rund 600.000 Grundschüler an allen Wochentagen die Schule besuchen. «Wenn es um die Bildung geht, zählt jeder Tag», sagte Gebauer. Die derzeitige Entwicklung des Infektionsgeschehens ermögliche den Weg zu einem verantwortungsvollen Regelbetrieb an den Grundschulen.

Selbst wenn es ab dem 15. Juni nur noch zwei Wochen bis zu den Sommerferien seien, so erhöhe sich damit dennoch deutlich die Zahl der Tage, an denen die Schüler die Schule besuchen könnten, so Gebauer. Damit könnten die Kinder das Schuljahr mit einem «positiven Schulerlebnis» abschließen. Es könne wieder im normalen Klassenverband unterrichtet werden.

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Konstante Lerngruppen bilden und Durchmischungen vermeiden

Wörtlich heißt es dazu in einer Mail an alle Schulen im Land: “Im Mittelpunkt steht hierbei ein schon in anderen Ländern verfolgtes Konzept. Es ersetzt für die Schulen der Primarstufe die individuelle Abstandswahrung (1,50 m) durch ein Konzept, wonach konstante (Lern-)Gruppen gebildet und durch deren Trennung Durchmischungen vermieden werden. Dies ist in der Primarstufe wegen des vorherrschenden Unterrichts im Klassenverband und wegen des Klassenlehrerprinzips, das zusätzliche Fluktuation vermeiden hilft, mit pädagogischen und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen gut vereinbar.”

Für den Schulalltag bedeute dies: “Die Klassenverbände verbringen die Unterrichtszeit gemeinsam in ihrem Klassenraum. Unterrichtsangebote, die eine Durchmischung von Lerngruppen mit sich bringen würden, unterbleiben bis zum Beginn der Sommerferien. Durch gestaffelte Anfangs- und Pausenzeiten muss eine Trennung der Lerngruppen auch außerhalb des Unterrichts gewährleistet werden. Wo dies aufgrund der organisatorischen oder baulichen Gegebenheiten nicht sicherzustellen ist, gilt auf den Verkehrsflächen, auf Pausenhöfen und im Sanitärbereich weiterhin das Abstandsgebot und, sofern unvermeidbar, das Gebot zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung.”

Und weiter: “Wie bisher sollen Dritte, also auch Eltern, das Schulgelände möglichst nicht betreten. Wichtig ist die Dokumentation der Anwesenheit und der jeweiligen Gruppenzusammensetzung, um im Infektionsfall eine sofortige effektive Rückverfolgung durch die Gesundheitsbehörden zu unterstützen. Durch die Nutzung fest zugewiesener Räume sind tägliche Zwischenreinigungen nicht erforderlich. Allerdings ist auf eine regelmäßige Durchlüftung zu achten.”

Es besteht Schulpflicht für alle Schülerinnen und Schüler

Alle Schülerinnen und Schüler sind grundsätzlich verpflichtet, am Präsenzunterricht teilzunehmen. Für die Anwesenheit der Schüler gibt es laut Gebauer eine Dokumentationspflicht. Auch der Offene Ganztag werde unter diesen Voraussetzungen wieder aufgenommen. Die Notbetreuung an den Grundschulen ende damit, so Gebauer.

Für die weiterführenden Schulen ändert sich dagegen erst einmal nichts. “Im Gegensatz zu den Primarschulen ist an den weiterführenden Schulen eine Durchmischung der Lerngruppen deutlich schwieriger zu vermeiden. So erschweren die Größe der Schulen und die Organisation des Schulalltages, etwa durch Kurs- und Differenzierungssysteme sowie das Fachlehrerprinzip, ein Vorgehen wie in den Primarschulen”, so heißt es in der Mail.

Für die 2,5 Millionen Schüler in NRW war nach längerer Corona-Zwangspause vor einigen Wochen wieder nach und nach tageweise der Präsenzunterricht aufgenommen worden. Um in größerem Umfang Unterricht in den Klassenräumen anbieten zu können, braucht es entsprechend viel Personal. Vor einigen Tagen hatte Gebauer daher bereits angekündigt, dass ältere oder vorerkrankte Lehrer nicht mehr grundsätzlich vom Unterricht in den Klassenräumen ausgenommen werden sollen. Den Kurswechsel hatte sie mit neuen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) begründet, die keine grundsätzlichen Einsatzbeschränkungen für bestimmte Altersgruppen oder Vorerkrankungen vorsehen.

Kritik an den Schutzbestimmungen war unter anderem vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte gekommen: Die Gruppe der Lehrer nehme ein «Schutzprivileg» in Anspruch, das es in anderen Berufen nicht gebe. Das Schulministerium wies darauf hin, dass die neue Regelung zum Lehrkräfte-Einsatz ab dem 3. Juni gilt.

Eltern sollen darauf achten, dass Kinder keine Corona-Symptome zeigen

In der E-Mail an die Schulen schreibt das Ministerium: «Die Erziehungsberechtigten müssen darauf achten, dass die Kinder vor dem Schulbesuch keine der bekannten Symptome einer Covid-19-Erkrankung aufweisen.» Sofern Schülerinnen und Schüler eine Corona-relevante Vorerkrankung haben «oder mit Angehörigen mit entsprechenden Vorerkrankungen in häuslicher Gemeinschaft leben» entfalle die Pflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht bis zum Ende des Schuljahres. In Zweifelsfällen könne die Schule von den Eltern ein Attest verlangen und ein schulärztliches oder amtsärztliches Gutachten einholen.

Massive Kritik kommt von Lehrerseite. „Mal wieder erfahren Schulen erneut zuerst aus der Presse und nicht vom Ministerium selbst, wie es weitergehen soll. Mal wieder wird die Praxis ignoriert”, erklärt VBE-Landesvorsitzender Stefan Behlau. Sein Verband habe in allen Gesprächen deutlich gemacht, dass viele aktive und engagierte Lehrkräfte und Schulleitungen auf Anweisung des Ministeriums mit hohem Zeitaufwand ihre Pläne bis zu den Sommerferien erstellt haben.

“Dies geschah, um allen Kindern und Eltern während der Corona-Pandemie eine verlässliche Planung zu geben. Diese Pläne enthalten genaue Angaben zum Präsenzunterricht, zum Lernen auf Distanz, zur Notbetreuung und zum offenen Ganztag. Der immense Aufwand für wenige Tage die hart erarbeiteten Pläne erneut umzuschmeißen und sich neu zu organisieren, steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Wir sind fassungslos über den Umgang mit den Schulen in Nordrhein-Westfalen.“

GEW sieht Gefährdung von Schülern und Lehrern

Die GEW sieht in Gebauers Initiative “reine Sym­bolpolitik auf dem Rücken von Schüler*innen und Lehrer*innen”. Die Gefährdung ihrer Gesundheit für drei oder vier Tage zusätzlichen Un­ter­richt, die nun auf einmal durch eine neue Risikobewertung möglich gemacht werden sollen, ist aus Sicht der Bildungsgewerkschaft ein zu hoher Preis. „Schul­mi­nisterin Gebauer gibt dem gesellschaftlichen Druck nach und will offenbar un­bedingt Handlungs­fähigkeit demonstrieren. Die Vorgaben für die Grundschulen gaukeln vor, sicheren Schulbetrieb zu ermöglichen“, sagt Landesvorsitzende Maike Finnern.

Die Gewerkschafterin betont: „Das ist schlechte Politik zu Lasten der Beschäftigten. Schulleitungen und Lehrkräfte an den Grund­schulen fühlen sich nicht ernst genommen. Wie soll der Gesundheitsschutz gewährleistet werden, wenn bis zu 30 Kinder in schlecht gelüfteten Räumen unterrichtet werden sollen?“ News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Immer mehr Länder streichen die 1,50-Meter-Abstandsregel in Grundschulen – Spahn: Sichere wissenschaftliche Grundlage fehlt

 

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