BERLIN. Pfeifen im Walde? Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) sowie mehrere weitere Bildungsminister haben bekräftigt, dass die Schulen nach den Sommerferien wieder vollständig öffnen sollen. «Der Regelbetrieb ist kein Wunschdenken. Der Regelbetrieb ist das Ziel, dass wir haben», sagte Hubig am Dienstag in Berlin. Lehrergewerkschaften hatten sich skeptisch gezeigt, ob das wirklich gelingt, nicht zuletzt wegen vieler Lehrkräfte, die zur Risikogruppe zählen und nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden können. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bezeichnete die Rückkehr in den Regelbetrieb im Herbst deshalb als unrealistisch.
Die KMK hatte die Rückkehr zum Regelbetrieb ohne Abstandsregel nach den Ferien in der vergangenen Woche beschlossen – mit der Einschränkung: «sofern es das Infektionsgeschehen zulässt.» Hubig zufolge laufen Planungen für drei verschiedene Szenarien, die eintreten könnten, je nachdem, wie sich die Pandemie weiter entwickelt: Regelbetrieb, rollierender Betrieb mit abwechselndem Unterricht in der Schule und zu Hause, so wie momentan üblich, und auch mögliche Komplettschließungen von Schulen. «Für diese drei Szenarien planen wir und geben den Schulen entsprechend Leitlinien an die Hand.» Sie hoffe aber, dass sehr maßvoll und sehr verantwortungsvoll mit Schulschließungen umgegangen werde.
Es soll so viel Präsenzunterricht wie möglich geben
In Düsseldorf trat NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit einer ähnlichen Botschaft vor die Presse. Sie kündigte an, dass alle rund 5500 Schulen in Nordrhein-Westfalen nach den Sommerferien zum neuen Schuljahr wieder in einen Normalbetrieb nach Stundenplan zurückkehren. Sollte an einzelnen Schulen wegen des Corona-Infektionsschutzes phasenweise kein Präsenzunterricht möglich sein, finde Unterricht auf Distanz statt. Es solle aber so viel Präsenzunterricht wie möglich geben. «Schule in NRW darf nicht von vorneherein vor der Corona-Pandemie zurückschrecken», forderte Gebauer. In NRW gibt es rund 2,5 Millionen Schüler.
Zurückhaltender äußerte sich Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) in München. «Ziel ist es, einen Regelbetrieb mit Hygienemaßnahmen im September zu starten. Das bedeutet so viel Normalität wie möglich bei so viel Gesundheitsschutz wie nötig», sagte er nach einer Kabinettssitzung. Voraussetzung für den Regelbetrieb mit allen Schülern, bei dem dann der derzeitige Mindestabstand von eineinhalb Metern aufgehoben werden müsste, sei eine weiterhin positive Entwicklung der Corona-Fallzahlen im Freistaat, sagte Piazolo. Entsprechende Hygieneauflagen würden in einem neuen Hygieneplan mit dem Gesundheitsministerium festgelegt.
Schulschließungen im Kreis Gütersloh: “Flexibilität gefragt”
«Auf der anderen Seite heißt es, auch auf Alternativszenarien vorbereitet zu sein», mahnte Piazolo. Wie das aktuelle Beispiel abrupter Schulschließungen im Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen wegen eines erneuten massiven Corona-Ausbruchs zeige, sei in der Planung für das neue Schuljahr vor allem Flexibilität gefragt. Bei einem deutlichen Anstieg der Neuinfektionen im Freistaat müsse eventuell weiterhin Präsenzunterricht im Wechsel mit Distanzunterricht stattfinden, im schlimmsten Falle könnten auch erneute flächendeckende Schulschließungen nötig werden, so der Kultusminister.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin überraschte mit einer neuen Wortschöpfung. Zum Schulstart nach den Ferien am 10. August kehren Schleswig-Holsteins Schulen ihr zufolge wieder zum regulären Unterricht zurück – allerdings unter Corona-Bedingungen. «Das kommende Schuljahr wird zum Schuljahr im Corona-Regelbetrieb.» In allen Schularten und Jahrgängen finde dann wieder Unterricht nach der Stundentafel statt. Den Schülern soll das Erreichen aller Abschlüsse ermöglicht werden.
In Baden-Württemberg hatte – News4teachers berichtete – Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Verweis auf die hohe Zahl an Lehrern, die zu Risikogruppen gehören, den Regelbetrieb nach den Ferien in Zweifel gezogen («So kann man keinen Regelbetrieb wie vor der Corona-Pandemie machen») – und Widerspruch von CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann geerntet («Eine pauschale Absage eines Regelbetriebs zu diesem frühen Zeitpunkt halte ich für falsch»). Heute versuchte die grün-schwarze Regierungskoalition nun, Einigkeit zu demonstrieren.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung heißt es: «Unser gemeinsames Ziel ist es, dass alle Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg nach den Sommerferien wieder unterrichtet werden, und natürlich wollen wir dabei auch so nah wie möglich an den Schulalltag in Vor-Corona-Zeiten anschließen.» Kretschmann lässt sich darin allerdings auch mit der Aussage zitieren: «Mir ist es dabei ganz wichtig, keine Missverständnisse und falschen Erwartungen bei Eltern und Schülern aufkommen zu lassen.» Bis es einen Impfstoff gegen das Coronavirus gebe, könne es «hier und da» Abweichungen vom normalen Schulbetrieb geben.
Umfrage: Vor allem Lehrer wünschen sich Präsenzunterricht zurück
In Hamburg veröffentliche die Schulbehörde Ergebnisse einer Online-Umfrage, der zufolge es nach gut drei Monaten Corona-bedingtem Fernunterricht den meisten Hamburger Schülern, Lehrern und Eltern reicht. Alle Gruppen hätten die Zeit seit den Märzferien überwiegend als «anstrengend» empfunden. Während Kinder und Jugendliche die Situation noch etwas positiver bewertet hätten, fühlten sich vor allem Eltern von Grundschülern und Lehrkräfte am stärksten belastet. Insgesamt gaben die Schüler dem derzeitigen Unterrichtsangebot nach Behördenangaben die Schulnote 3,3, die Pädagogen bewerteten es mit 3,6 und die Eltern mit 3,9.
«Wie zu erwarten, ist die Zufriedenheit der Eltern mit dem Fernunterricht nach so langer Zeit zurückgegangen», erklärte Schulsenator Ties Rabe (SPD). Der Anfangselan der Eltern habe mit der Zeit deutlich nachgelassen. «Von allen Gruppen wünschen sich die Lehrkräfte am stärksten den Präsenzunterricht zurück, die Schülerinnen und Schüler sind hier etwas zurückhaltender. Dennoch bin ich zusammen mit der großen Mehrheit aller Gruppen froh, dass die Schule nach den Sommerferien wieder öffnet», erklärte Rabe.
“Es muss dann gelten: die Schulen zuletzt”
Schulschließungen schließt er weitgehend aus. Am Wochenende war ein Interview mit ihm in der „Welt am Sonntag“ erschienen, in dem er erklärt hatte: «Wenn die Wissenschaftler recht haben, dass Kinder und Jugendliche in einem wesentlich geringeren Maße zu einer Verbreitung der Krankheit beitragen, dann muss bei einem möglichen Anstieg der Infektionen nicht automatisch die Schule als Erstes geschlossen werden, sondern dann muss über andere Maßnahmen nachgedacht werden. Es muss dann gelten: die Schulen zuletzt.» (News4teachers berichtete ausführlich über Rabes Statement, das im Zusammenhang mit einer kurz zuvor erschienenen Studie der Hamburger Kinderkliniken merkwürdig erscheint – hier geht es zum Bericht.) News4teachers / mit Material der dpa
Der “Spiegel” widmet sich in seiner aktuellen Titelstory (“Schulen sind weit entfernt vom Regelbetrieb – ‘Auch nach den Sommerferien bleiben wir im Krisenmodus'”) dem Thema Schulöffnungen – und kommt darin zu folgendem Schluss:
“Wie fragil die neue Normalität selbst in einem Bundesland mit sehr geringen Infektionszahlen sein kann, vermag die sachsen-anhaltinische Hauptstadt Magdeburg seit dieser Woche zu bezeugen. Elf Schulen befinden sich für 14 Tage in Zwangspause, nachdem Dutzende Corona-Infektionen entdeckt wurden.
Die Fälle zeigen, was die Kultusministerinnen und -minister meinen, wenn sie von ‘Unterricht unter Pandemiebedingungen’ sprechen. Solange es keine Impfung gibt, wird es wohl auch keine Normalität geben – das hat Chinas Metropole Peking diesen Dienstag erfahren und aufgrund eines neuen Ausbruchs alle Schulen geschlossen.
Womit ist also zu rechnen? Mit einem Lehrbetrieb im Stop-and-go-Modus? Einer 180-Grad-Wende mit der Bereitschaft, Risiken einzugehen? Oder Ferien für immer? Wenn man das, was Schüler und Lehrer gerade erleben, zu Ferien umdeutet.
Solange es in Deutschland – obwohl von Virologen empfohlen – für Schulen nicht mal eine nationale Teststrategie gibt, mit der man mehr über die Dunkelziffer von Infektionen lernen würde, bedeutet das Hü und Hott der Regeln für alle Betroffenen Unsicherheit und Stress. Auch weil nicht die Schulleitungen über konkrete Maßnahmen befinden können, sondern die örtlichen Gesundheitsämter. Und die entscheiden, je nach Region und Einzelfall, mal so, mal so.”
Hier geht es zur vollständigen Story auf Spiegel-online (kostenpflichtig).
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Planlos ins nächste Schuljahr: Wie die Kultusminister sich in Corona-Zeiten blamieren

