BERLIN. Die Kultusminister der Länder beharren darauf, die Schulen grundsätzlich offenzuhalten. Sie räumen nach Informationen des Nachrichtenportals «ThePioneer» und der Deutschen Presse-Agentur lediglich Ausnahmen ein: Nach einem Beschluss vom Freitag sollen in Hotspot-Gebieten mit sehr vielen Infektionen besonders betroffene Schulen ab der 11. Klasse auf einen „rollierenden Präsenzunterricht“ in verkleinerten Lerngruppen umstellen können, also einen Wechsel von Lernen in der Schule und zuhause. In einem zweiten Schritt ist das auch für untere Klassenstufen weiterführender Schulen vorgesehen. Den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts entspricht das nicht. Kritik an den Bundesländern kommt aus der Wissenschaft.
Die Abschlussklassen sollen in jedem Fall in der Schule bleiben, so heißt es in dem KMK-Beschluss. In einem zweiten Schritt sollen diese Ausnahmen auf untere Klassenstufen der weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I) ausgeweitet werden können. Eine feste Zahlengröße, ab welcher Infektionszahl das gelten soll, haben die Minister ausdrücklich nicht festgelegt. Zur Eindämmung des Infektionsgeschehens schlagen die Kultusminister eine Maskenpflicht im Unterricht vor, wie sie bereits in einigen Ländern gilt – zunächst für die gymnasiale Oberstufe und berufsbildende Schulen, gegebenenfalls aber auch für die Sekundarstufe I. Der Unterrichtsbeginn könne gestaffelt erfolgen, um die Infektionsgefahr im Nahverkehr zu reduzieren, heißt es weiter. Die Kommunen sollen spezielle Schülertransporte mit Hilfe privater Unternehmen anbieten.
Wechselunterricht für ältere Schüler ab einem Inzidenzwert von 200?
An besonders coronabetroffenen Schulen sollen vermehrte, zeitnahe Tests durchgeführt werden. «Die Schulen tragen so weit wie möglich zur Nachverfolgung der Infektionsketten bei», heißt es. Nach Zulassung eines Impfstoffes müsse die Möglichkeit sichergestellt werden, dass das schulische Personal vorrangig ein Impfangebot erhält.
Die von der Union geführten Bundesländer sind offenbar bereit, sich auf einen Schwellenwert festzulegen: In Corona-Hotspots mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 200 soll es ab der 7. Klasse Wechselunterricht geben.
Den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) enspricht das alles nicht. Das RKI sieht bereits ab einem Inzidenzwert von 50 für alle Schulen des betroffenen Gebiets eine generelle Maskenpflicht im Unterricht (also auch in Grundschulen) sowie eine Verkleinerung der Lerngruppen vor, damit die Abstandsregel in den Klassenräumen eingehalten werden kann (News4teachers berichtet ausführlich über die Empfehlungen des RKI für den Schulbetrieb – hier geht es hin). Kein Bundesland beachtet bislang diese Empfehlungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Ministerpräsidenten auf dem Bund-Länder-Gipfel in der vergangenen Woche gedrängt, die Empfehlungen einzuhalten – eine Entscheidung darüber wurde auf kommenden Mittwoch vertagt.
RKI-Präsident Prof. Lothar Wieler appellierte am Donnerstag noch einmal an die Länder, sich an die Vorgaben zu halten. «Die Message, die ich hier schicke, ist die: Es gibt Empfehlungen, von denen wissen wir, dass sie funktionieren, und wenn sie umgesetzt werden, dann kann man das Geschehen in Schulen auch kontrollieren», so sagte er.
Schulen sind keine Treiber der Pandemie? “Das ist nicht mehr haltbar”
Die bisherige Haltung der Länder, dass Schulen generell keine Treiber der Pandemie seien, sei «nicht mehr haltbar», sagt der Direktor des virologischen Universitätsinstituts in Düsseldorf, Prof. Dr. Jörg Timm, der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» (FAS). Kleinere Kinder steckten sich zwar seltener mit dem Virus an, könnten es aber weitergeben. Kinder ab zwölf seien «genauso ansteckungsfähig wie Erwachsene»: «Daher spielen Schulkinder definitiv eine Rolle.»
Auch vom Bildungsforscher Prof. Olaf Köller, der in einer Langzeitstudie die Folgen von Corona auf die Schulen untersucht, kam Kritik. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass es keinen Plan B für den Winter gebe. „Im Grunde ist der Konsens: Augen zu und durch“, sagte er der FAS. Dabei sei Unterricht aus der Distanz nicht nur aus virologischer, sondern auch aus pädagogischer Sicht vertretbar. „Jüngere brauchen persönlichen Kontakt, aber für Ältere ist es kein großes Problem, selbständig zu lernen.“
Schon in der Vorwoche hatte Köller für Distanzunterricht für die höheren Stufen plädiert. Wenn die älteren Jahrgänge von zu Hause aus lernten, gebe es zudem in den Schulen mehr Räume, um die jüngeren Jahrgänge zu verteilen, argumentierte der Wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik. Auch mit Blick auf die Ausbreitung des Virus ist es aus seiner Sicht sinnvoll, Jugendliche aus den Schulen zu nehmen. Die Hoffnungen, dass Schüler weniger infektiös seien, habe sich nicht erfüllt. Vielmehr gebe es gerade bei jungen Menschen eine hohe Dunkelziffer, weil sie infiziert seien, ohne Krankheitssymptome zu zeigen. News4teachers / mit Material der dpa
