BERLIN. Bildungsgewerkschaften haben die Länder nach dem Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Aufschub weiterer Anti-Corona-Maßnahmen an Schulen kritisiert. «Jetzt ist nicht die Zeit, vernünftige, zielführende Vorschläge vom Tisch zu wischen», sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie zeigte Unverständnis darüber, dass sich die Ministerpräsidenten gegen Wechselunterricht wehrten. Dieser sei für Schüler ab der Sekundarstufe I gut umzusetzen. Der Vize-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Familienminister Joachim Stamp (FDP), erteilte den Plänen Berlins derweil eine Absage.
Die Lage: Der Bund hatte vor dem Gespräch mit den Ländern weitreichende Einschränkungen im Schulbetrieb vorgeschlagen, scheiterte damit aber zunächst an deren Widerstand. Die Zuständigkeit für die Schulpolitik liegt bei den Landesregierungen. Das heißt aber nicht, dass die Vorschläge alle vom Tisch sind. «Bund und Länder werden auf der nächsten Konferenz darüber beraten, wie Ansteckungsrisiken im Schulbereich in Hotspots reduziert werden können», heißt es im gemeinsamen Beschlusspapier.
Bundesregierung: Unterricht “ausnahmslos” in festen Gruppen – im Wechsel
Ginge es nach der Bundesregierung, würden «ausnahmslos» feste Gruppen eingerichtet und die Klassen halbiert, was in der Konsequenz auch wieder Wechselunterricht bedeuten würde. Alternativ könnten zwar auch «größere Räumlichkeiten» für den Schulbetrieb genutzt werden, heißt es von der Regierung, allerdings war schon im Sommer ergebnislos darüber diskutiert worden, ob Unterricht nicht auch in Messegebäuden, Kulturhäusern oder Hotels abgehalten werden könnte. Inwieweit das diesmal regional ernsthaft erwogen wird, ist offen. Der Bund plädiert außerdem dafür, dass alle Schüler und Lehrer auch im Unterricht Masken aufsetzen und dass der Schulbusverkehr entzerrt wird.
Es gehe nicht um eine Schließung, sagte Merkel nach den Beratungen am Montag. Regierung und Länder hatten nach den Erfahrungen mit Schließungen und Schichtbetrieb und mit Blick auf die Zukunft der Schülerinnen und Schüler immer wieder gesagt: Die Schulen sollen möglichst offen bleiben. Lehrergewerkschaften hatten zuletzt den Druck erhöht und zumindest eine Rückkehr zum Wechselmodell bei hohem Infektionsgeschehen gefordert. Sie warnen davor, die gesundheitlichen Risiken für Lehrer und Schüler durch Corona auszublenden.
VBE-Chef Beckmann: Lehrer und Schulleitungen rechtzeitig informieren – nicht von Jetzt auf Gleich
Entsprechend kritisch äußerte sich auch VBE-Chef Udo Beckmann nach dem Gipfel. «Von Lehrkräften, Eltern und Schülern dringend erwartete Entscheidungen und mehr Klarheit über das weitere Vorgehen sind zwar nicht aufgehoben, aber mal wieder aufgeschoben.» Er kritisierte zudem die Kommunikation: «Es geht einfach nicht an, dass Schulleitungen und Lehrkräfte aus der Zeitung oder Montagfrüh um 7 Uhr erfahren, wie sie in dieser Woche zu unterrichten haben.»
Der Vorstoß der Bundesregierung zu verschärften Corona-Maßnahmen an Schulen stieß bei Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) derweil auf Ablehnung. Das Bundeskanzleramt sei nicht Koalitionspartner der Landes-FDP, so der Liberale. «Dieser Passus kann nicht beschlossen werden.» Nach Darstellung von Stamp fehlt das Personal, um die Klassen zu halbieren und im Wechsel in den Schulen zu unterrichten und daheim lernen zu lassen. «Wie weit weg ist das Bundeskanzleramt von unseren Kindern und Familien?», fragte er auf Twitter.
«Es ist doch eine naive Vorstellung zu glauben, ich kann mal einfach eine Klasse teilen», hatte der für die Kitas in NRW verantwortliche Familienminister im «heute-journal» am Montagabend erklärt. Die Landesregierung stehe in engem Austausch mit Kinderärzten und -psychologen. Von ihnen komme der dringende Rat, am Präsenzunterricht festzuhalten. «Sie können nicht einfach sagen, wir machen jetzt mal halbe Klassen. Sie brauchen dann im Grunde genommen fast das Doppelte an Lehrerinnen und Lehrern, die wir nicht haben», argumentierte Stamp zudem.
ZDF-Moderator Claus Kleber widersprach: Nötig seien vor allem die digitalen Voraussetzungen – und führte das vielbeachtete, aber von der NRW-Regierung untersagte «Solinger Modell» an. Die bergische Stadt hatte vor zwei Wochen angekündigt, dass in allen weiterführenden Schulen wechselweise eine Hälfte einer Klasse im Präsenz-, die andere Hälfte daheim im Distanzunterricht lernen soll. Die Kommune sei dafür digital gut gerüstet, habe im Vorfeld mit den Schulen beraten, die bereits Vorbereitungen getroffen hätten.
Stamp sagte dagegen: «Solingen wollte eine flächendeckende Maßnahme treffen, die so auch nicht in Ordnung war, weil das auch gar nicht alle Schulen dort wollten.» Der Landesregierung gehe es um die Bildungschancen derjenigen Schüler, die Zuhause nicht auf Unterstützung bauen könnten, «wenn sie da allein vor dem Gerät sitzen». Beim Lockdown im Frühjahr seien viele Kinder unter die Räder gekommen.
Stadt Solingen hat gegen das Verbot des Wechselunterrichts “remonstriert”
Die Stadt Solingen sieht sich unterdessen von der Bundesregierung in ihrem Konzept der Klassenteilung für weiterführende Schulen bestätigt. Das Signal von Bundeskanzlerin Angela Merkel sei ermutigend, sagte ein Solinger Stadtsprecher vor dem Ende der Bund-Länder-Runde. «So schlecht kann unser Vorschlag also nicht gewesen sein.»
Laut dem Solinger Stadtsprecher hatte sich die Kommune über das Veto der Landesregierung – federführend dabei: FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer – in einer sogenannten «Remonstration» beschwert und ihre abweichende Auffassung noch einmal klargestellt. Als Reaktion darauf habe die Bezirksregierung Düsseldorf der Kommune mitgeteilt, dass sie ihr Modell nicht für alle Schulen der Stadt habe anordnen dürfen, sondern nur im Einzelfall. Solingen habe in seinem Modell die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts aufgegriffen und halte das Konzept weiter für geeignet, um breite Schulschließungen zu vermeiden, erklärte der Stadtsprecher.
Weil verteidigt Haltung der Länder in der Schulpolitik: Die Infektionslagen in den Regionen sei unterschiedlich
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verteidigte unterdessen den Kurs der Länder, die den Wunsch des Bundes nach weitergreifenden Maßnahmen an den Schulen zurückgewiesen hatten. Zum einen sei die Infektionslage in den Regionen unterschiedlich. Andererseits habe sich in Niedersachsen der bisherige Kurs bewährt. An 80 Prozent der Schulen habe in der vergangenen Woche Präsenzunterricht stattfinden können. Unabhängig davon werde Niedersachsen sich auch in den nächsten Wochen intensiv für die Sicherheit in den Kitas und Schulen einsetzen.
Der Ministerpräsident kritisierte, dass der Bund seine Vorschläge für weitere Einschränkungen an Schulen am späten Sonntagabend an die Länder übersandt habe. Das habe die Beratungen am Montag nicht erleichtert. «Aber ich setze drauf, dass wir im nächsten Anlauf auch die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen.» News4teachers / mit Material der dpa

