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Streit um Schulen auf dem Bund-Länder-Gipfel: Die Geduld der Kanzlerin mit den Kultusministern ist am Ende – eine Analyse

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Von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

BERLIN. Der Kanzlerin geht die Geduld aus. Wenn die gewiefte Verhandlerin, die am liebsten im stillen Kämmerlein wirkt, zum Megafon greift, dann muss es um die Sache schlecht stehen. Das ist jetzt der Fall: Die Landesregierungen haben sich in ihrer Position „Wir halten am Regelunterricht fest“ so tief eingegraben, dass Angela Merkel schon – bildlich gesprochen – mit Dynamit werfen muss, um die Ministerpräsidenten und ihre Kultusminister in Bewegung zu bringen. Indem sie ihren ursprünglichen Entwurf für die Beschlussvorlage zum Bund-Länder-Gipfel vorab öffentlich machte, sorgte die Bundeskanzlerin nun für den entsprechenden Knall.

Schluss mit lustig. Foto: Armin Linnartz / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 DE)

Denn mit dem veröffentlichten Forderungskatalog der Bundeskanzlerin ist praktisch offiziell: Die schier endlos in Schleife wiederholten Behauptungen „Die Schulen sind sicher“, „Schulen sind keine Hotspots“ oder „Infektionen werden von außen in die Schulen hereingetragen“ sind bloße Beschwörungsformeln verunsicherter Landespolitiker – und haben mit der Realität herzlich wenig zu tun. Entsprechend kläglich wirken die Versuche von Ministerpräsidenten, dem Eindruck entgegenzuwirken, sie wüssten besser über Corona Bescheid als Merkel und die sie beratenden Wissenschaftler von der Leopoldina bis hin zum Robert-Koch-Institut.

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Hat sich das Kanzleramt nicht korrekt über die Infektionen in den Schulen informiert?

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) etwa bezweifelt allen Ernstes öffentlich, „dass das Kanzleramt sich über die Infektiosität in den Schulen korrekt informiert“ habe. „Das Problem sind nicht die Infektionen in den Schulen, sondern außerhalb der Schulen!“, so verkündet sie via „Bild“-Zeitung.

Doof nur, dass Prof. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, erst vor vier Tagen das Gegenteil erklärte – und damit sämtliche Landesregierungen in den Senkel stellte: „Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Schulen.“ Das Infektionsgeschehen werde in die Schulen und auch aus ihnen heraus getragen. Wieler: „Wir wissen ja schon seit langer Zeit, dass natürlich auch Kinder infiziert werden können.“ Ach, wissen wir das?

So machen sich die Ministerpräsidenten lächerlich – und folgen der aberwitzigen Linie, die ihre Kultusminister seit Monaten vorgeben. Die behaupteten monatelang, Kinder seien gar nicht ansteckend. Davon ist jetzt nicht mehr viel zu hören; eine Korrektur hat aber noch kein Amtsträger über die Lippen gebracht.

Dann legten die Länder weder Schwellenwerte für Maßnahmen im Schulbetrieb fest – wie Merkel von ihnen gefordert hatte –, noch beachteten sie die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für den Schulbetrieb. Die Gesundheitsämter dehnen stattdessen lieber die Quarantäne-Vorgaben für Schulklassen bis zur Sinnlosigkeit (vielerorts muss nur noch der Infizierte selbst zu Hause bleiben). Getestet werden Schüler ohnehin nur noch im Ausnahmefall, so scheint es. Dass Daten über Ausbrüche an Schulen von den Kultusministern allenfalls sporadisch veröffentlicht werden, passt ins Bild.

Gesundheitsämter sollen festgestellt haben: Es gibt weniger Ansteckungen in Schulen als andernorts

Jetzt heißt es (Ministerpräsidentin Malu Dreyer und KMK-Präsidentin Stephanie Hubig laut Pressemitteilung am Sonntag im Duett): Das Übertragungsrisiko sei in Schulen geringer als an vielen anderen Orten. Als Beleg verweisen die beiden auf Meldungen der Gesundheitsämter von Rheinland-Pfalz. Dabei wurde bereits auf der „Lockdown-light“-Pressekonferenz der Kanzlerin Anfang November festgestellt, dass drei von vier Infektionsketten für die Gesundheitsämter gar nicht mehr nachvollziehbar sind. Für wie dumm wollen Landesregierungen die Bürger in Deutschland eigentlich noch verkaufen?

Bereits am 27. Juli titelte News4teachers: „Spiel mit dem Feuer – Wenn sich die Schulen als Infektionstreiber erweisen, steht Deutschland ein schlimmer Corona-Herbst bevor.“ Darin kritisierten wir die Unlust der Kultusminister, sich mit einem Plan B zu beschäftigen, sollte die Position „Wir halten am Regelunterricht fest“ nicht haltbar sein. Und genau vor dieser Situation steht Deutschland jetzt.

Die Warnungen seriöser Wissenschaftler vor einem schutzlosen Schulbetrieb wurden ignoriert

Nun sind wir keine Hellseher. Die Warnungen, auf die wir uns bezogen, stammten von seriösen Wissenschaftlern und waren bereits seit Mai öffentlich, wurden von den Landesregierungen aber schlicht ignoriert. Deshalb sind die Schulen heute nicht auf das vorbereitet, was Merkel nun fordert: die Einhaltung der AHA-Regeln im Unterricht (und damit der RKI-Empfehlungen) nämlich. Aus Angst, dieses – zugegeben: auch wirklich krasse – Versagen einzugestehen, haben sich die Länder in ihrer Position „Regelunterricht!“ eingegraben. Die Geduld der Kanzlerin damit ist aber nun erkennbar am Ende. Eine Woche Frist. Mehr war sie heute nicht bereit zu geben (hier geht es zu einem Bericht über den Streit um Schulen auf dem Bund-Länder-Gipfel). News4teachers

Der Autor

Der Journalist und Sozialwissenschaftler Andrej Priboschek beschäftigt sich seit 25 Jahren professionell mit dem Thema Bildung. Er ist Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus – eine auf den Bildungsbereich spezialisierte Kommunikationsagentur, die für renommierte Verlage sowie in eigener Verantwortung Medien im Bereich Bildung produziert und für ausgewählte Kunden Content Marketing, PR und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Andrej Priboschek leitete sieben Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit des Schulministeriums von Nordrhein-Westfalen.

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek, Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus. Foto: Tina Umlauf

In eigener verlegerischer Verantwortung bringt die Agentur für Bildungsjournalismus tagesaktuell News4teachers heraus, die reichweitenstärkste Nachrichtenseite zur Bildung im deutschsprachigen Raum mit (nach Google Analytics) im Schnitt mehr als einer Million Lesern monatlich und einer starken Präsenz in den Sozialen Medien und auf Google. Die Redaktion von News4teachers besteht aus Lehrern und qualifizierten Journalisten. Neben News4teachers produziert die Agentur für Bildungsjournalismus die Zeitschriften „Schulmanager“ und „Kitaleitung“ (Wolters Kluwer) sowie „Die Grundschule“ (Westermann Verlag). Die Agentur für Bildungsjournalismus ist Mitglied im didacta-Verband der Bildungswirtschaft.

Hier geht es zur Seite der Agentur für Bildungsjournalismus.

Schulen sind sicher? Wie wäre es mal mit der Wahrheit, Kultusminister?

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