BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht Druck auf die Bundesländer, die Regeln für den Unterricht in Schulen drastisch zu verschärfen. Im urprünglichen Entwurf der Beschlussvorlage für die Video-Konferenz von Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten an diesem Montag, der vom Bund stammt und wohl nicht zufällig bereits unter Hauptstadt-Journalisten kursierte, war die Halbierung der Lerngruppen vorgesehen. Darüber hinaus sollte eine generelle Maskenpflicht im Unterricht – also auch für Grundschüler – erlassen werden. Aus Reihen der Länder-Chefs kam allerdings massiver Widerstand. Die Folge: Der Entwurf wurde offenbar kurzfristig geändert.
Merkel begründete nach Informationen der Deutschen Presse Agentur die Forderungen des Bundes nach neuen drastischen Kontaktbeschränkungen mit der weiterhin zu hohen Zahl von Corona-Neuinfektionen. In der Sitzung des CDU-Präsidiums machte Merkel laut dpa klar, dass die getroffenen Corona-Maßnahmen seit dem 2. November – der sogenannte Lockdown-Light – zwar zu einer Stabilisierung geführt hätten, das jedoch nicht ausreichend wäre. „Die Zahlen stabilisieren sich etwas. Aber zu langsam“, wurde die Kanzlerin zitiert.
Bei Über-12-jährigen Schülern ist das Infektionsrisiko laut Beschlussvorlage vergleichbar mit dem von Erwachsenen
Trotz der bereits geltenden Bestimmungen zum Infektionsschutz würden die Ansteckungen weiterhin „im privaten Umfeld und außerhalb des öffentlichen Raumes stattfinden“, so hieß es in der urprünglichen Beschlussvorlage des Bundes für den heutigen Gipfel. Zur Senkung der Gefahr sollten Kinder und Jugendliche angehalten werden, sich nur noch mit einem festen Freund in der Freizeit zu treffen. Auch private Zusammenkünfte mit Freunden und Bekannten sollten sich generell nur noch auf einen festen weiteren Hausstand beschränken.
Wie im Teil-Lockdown sollten die Schulen zwar grundsätzlich weiter offen gehalten werden. Zum Schutz vor Ansteckungen sollten aber auch hier die Maßnahmen verschärft werden. Ein besonderer Fokus liege dabei auf Kindern und Jugendlichen, die älter als zwölf Jahre sind. Bei ihnen sei das Infektions- und Übertragungsrisiko vergleichbar mit dem von Erwachsenen. Daher sollte nach dem Willen des Bundes das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für Schüler aller Jahrgänge und für Lehrer auf dem Schulgelände und während des Unterrichts vorgeschrieben werden – also auch für Grundschulen. Eine Maskenpflicht im Unterricht der Grundschulen gilt bislang lediglich in Bayern; im Unterricht der Sekundarstufe I sitzen in einigen Bundesländern die Schüler ohne Masken. Lediglich für die Oberstufen gilt bundesweit eine Maskenpflicht auch im Unterricht.
Unterrichtet werden sollte in festen Lerngruppen – auch in Schulbussen sollte der Mindestabstand gelten
Zudem sah der Entwurf vor, die Klassen – sofern keine größeren Räume zur Verfügung stehen – zu halbieren und in festen Gruppen eingeteilt zu unterrichten. Auch in Schulbussen sei der Mindestabstand von 1,5 Metern sicherzustellen. Im Falle von Quarantänemaßnahmen solle für alle betroffenen Schüler Distanzunterricht angeboten werden. Mit der Veröffentlichung der Beschlussvorlage steigt der Druck auf die Ministerpräsidenten. Sollten sie die von Merkel geforderten Maßnahmen ablehnen, liegt die Verantwortung für die möglichen Konsequenzen allein bei ihnen.
Zwei Ministerpräsidenten hatten gestern bereits öffentlich gemacht, dass sie von Einschränkungen beim Regelunterricht wenig halten. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) erklärte unter Verweis auf Daten der Gesundheitsämter in ihrem Bundesland, vorliegende Untersuchungen zeigten, dass die Schulen gerade nicht die Orte seien, an denen sich Menschen ansteckten. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verwies auf die Praxis in seinem Land, den Regelbetrieb in Schulen erst dann einzuschränken, wenn dort Ansteckungen unter Schülern und Lehrern festgestellt werden. „Dieser Kurs hat sich bislang bewährt, und wir sollten ihn fortsetzen, solange das Infektionsgeschehen dies zulässt“, erklärte Weil.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) meldete sich heute via “Bild”-Zeitung zu Wort. „Die Schulen müssen offen bleiben für Präsenzunterricht, das hat für mich absolute Priorität“, so sagte sie dem Blatt. Schwesig bezweifelte, dass das Kanzleramt sich über die Infektiosität in den Schulen korrekt informiert habe: „Das Problem sind nicht die Infektionen in den Schulen sondern außerhalb der Schulen!“ Auch via Twitter äußerte sich Schwesig: Das Vorgehen des Kanzleramts “führt zur Verunsicherung” der Bevölkerung, postete sie.
KMK-Präsidentin Hubig: Maskenpflicht für Grundschüler ist nicht notwendig – Kinder stecken niemanden an
Auch die vorgesehene Maskenpflicht im Unterricht ist umstritten. So erklärte Stefanie Hubig, rheinland-pfälzische Bildungsministerin und Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), noch in der vergangenen Woche, sie halte eine Maskenpflicht für Grundschüler im Unterricht derzeit nicht für notwendig. Kleine Kinder seien nicht die Überträger der Corona-Infektionen, sagte die SPD-Politikerin.
Das ist leider so. Das ist kein Vorschlag, der mit den Ländern besprochen oder abgestimmt ist. Im Gegenteil. Mit Blick auf Kinder, Jugendliche & Schule unverhältnismäßig. Vorgehen des Kanzleramtes führt zur Verunsicherung anstatt zur gemeinsamen Orientierung für die Bevölkerung. https://t.co/hRlpmaEvzK
— Manuela Schwesig (@ManuelaSchwesig) November 16, 2020
Das scheint die Kanzlerin, die sich vom Robert-Koch-Institut beraten lässt, anders zu sehen. Erst am Donnerstag hatte RKI-Präsident Prof. Lothar Wieler erklärt: „Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Schulen.“ Das Infektionsgeschehen werde in die Schulen und auch aus ihnen heraus getragen. Wieler: „Wir wissen ja schon seit langer Zeit, dass natürlich auch Kinder infiziert werden können.“
Jetzt gilt: Länder sollen Vorschläge vorlegen, wie sie Ansteckungsrisiken in Schulen reduzieren
Der Widerstand aus den Bundesländern zeigt offenbar trotzdem Wirkung. Nach Informationen der tagesschau wurde der Beschlussvorschlag des Bundes kurz vor Beginn des Gipfels noch einmal verändert: Nun sollen die Länder bis zur kommenden Woche einen Vorschlag vorlegen, wie Ansteckungsrisiken im Schulbereich “weiter reduziert” werden können. Pikant allerdings: In der neuen Version wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für den Schulbetrieb – die von allen Bundesländern bislang ignoriert werden.
Das RKI empfiehlt ab einem Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen innerhalb einer Woche auf 100.000 Einwohner für alle Schulen des betroffenen Gebiets eine generelle Maskenpflicht im Unterricht (also auch in Grundschulen) sowie eine Verkleinerung der Lerngruppen, damit die Abstandsregel in den Klassenräumen eingehalten werden kann (News4teachers berichtet ausführlich über die Empfehlungen des RKI für den Schulbetrieb – hier geht es hin). News4teachers / mit Material der dpa
Im Netz kursiert die (angeblich) neue Version der Beschlussvorlage für den Bund-Länder-Gipfel am Nachmittag. Hier der Passus zu den Schulen:
