DÜSSELDORF. Die coronabedingte Veränderung an den Schulen in Nordrhein-Westfalen ist chaotisch verlaufen. Positive Rückmeldungen waren nicht zu hören – stattdessen Frust, Verunsicherung, Vertrauensverlust. Auch in anderen Bundesländern herrscht ein wildes Durcheinander. In Schleswig-Holstein fragen Eltern öffentlich, was das Bildungsministerium eigentlich in den vergangenen neun Monaten seit Beginn der Pandemie gemacht hat.
Die kurzfristige coronabedingte Umstellung des Schulbetriebs für 2,5 Millionen Schüler in NRW ist am Montag nach überwiegender Einschätzung chaotisch verlaufen. Die Lehrergewerkschaft GEW forderte eine Einstellung des Unterrichts schon ab diesem Mittwoch. Dann solle nur noch eine Notbetreuung sichergestellt werden. «Alles andere ist mit den Beschlüssen zum harten Lockdown nicht vereinbar.» Auch aus der Elternschaft und von Schülervertretern kamen kritische bis frustrierte Stimmen.
Für die jüngeren Kinder der Klassen eins bis sieben habe sich die Wahlmöglichkeit zwischen Präsenz- und Distanzunterricht als «schwieriger Knackpunkt» erwiesen, sagte Anke Staar, Vorsitzende der Landeselternkonferenz. Viele Eltern hätten ihre Kinder aus Sorge vor Nachteilen doch wieder in die Klassenräume geschickt. Verwirrung habe es etwa darüber gegeben, ob Klassenarbeiten in den kommenden Tagen ausgesetzt würden oder doch geschrieben werden müssten.
Für die Lehrer sei die Lage belastend, weil sie parallel ein Angebot im Klassenraum aufrechterhalten müssten und zugleich Kinder zu Hause unterrichten sollten. «Es geht aber nur entweder, oder», unterstricht Staar. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollten nach Ansicht der LEK-Vorsitzenden auch über die Jahrgänge sieben hinaus weiter in die Schulen kommen dürfen.
Eine Doppelbelastung mit Präsenz- und Distanzunterricht ist für Lehrer nicht zu schaffen
Der GEW zufolge zeigen Rückmeldungen aus den Schulen am Montag eine äußerst schwierige Arbeitssituation. Es herrsche Verunsicherung unter Lehrkräften, Eltern und Schülern, teilte auch der NRW-Landesverband mit. Es sei unklar, wie es mit Klassenarbeiten aussehe, wie die Parallelität von Präsenz und Distanz organisiert werden solle, schilderte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern. Klassenarbeiten und andere Leistungsüberprüfungen sollten in dieser Woche grundsätzlich gar nicht mehr stattfinden, mahnte sie.
Wichtig sei es nun, die nächsten Wochen intensiv zu nutzen, um für die Zeit nach den Weihnachtsferien zu einer verlässlichen Planung zu kommen. Dabei ist aus GEW-Sicht klar, dass eine Doppelbelastung mit Präsenz- und Distanzunterricht für Lehrer nicht zu schaffen sei.
Nach der Neuregelung haben bei Schülern der unteren Jahrgänge bis Stufe sieben Eltern die Wahl, ob die Kinder in der Schule oder von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen. Für ältere Schüler ab Klasse acht ist das Lernen zunächst bis zu den Ferien vollständig auf Distanz umgestellt, wie Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) erst am vergangenen Freitag mitgeteilt hatte.
Der Vizevorsitzende des Philologen-Verbandes NRW, Patrick Albrecht, sprach von teils chaotischen Zuständen. An manchen Schulen seien 80 bis 90 Prozent der Schüler in die Klassenräume gekommen, an anderen Schulen deutlich weniger. «Das Ergebnis ist, dass die Lehrkräfte extrem belastet sind, weil sie doppelte Arbeit leisten müssen», sagte Albrecht der dpa. Jeder Lehrer müsse gleichzeitig dieselbe Lerngruppe in Präsenz und in Distanz unterrichten.
“Die Stimmung an den Schulen ist schlecht, es ist enorm viel Vertrauen verloren gegangen”
Das funktioniert dem Philologen-Verband zufolge aber oft nicht, weil die Voraussetzungen fehlen. «Weder stehen die notwendigen Endgeräte zur Verfügung noch gibt es überall funktionierende Plattformen, außerdem sind vielerorts die Leitungen überlastet.» Die Schulen seien von der Neuregelung völlig überrascht worden. Die Information sei «quasi aus heiterem Himmel» erst nach Schulschluss am Freitag gekommen. «Fazit: Die Stimmung an den Schulen ist schlecht, es ist enorm viel Vertrauen verloren gegangen.»
Die Landesschülervertretung verlangte, dass in diesem Schuljahr niemand «sitzen bleiben» dürfe. Unter diesen Umständen könnten auch keine normalen Prüfungen stattfinden. Alle Schulabschlüsse müssten an die Situation der jeweiligen Schule angepasst werden. Nachdem das Schulministerium sich immer gegen Schulschließungen ausgesprochen habe, zeige sich nun, «dass die Landesregierung interne Absprachen offenbar für überflüssig hält». Lehrer und Schüler hätten keinen einzigen Tag Zeit bekommen, um sich um sich auf die neue Situation einzustellen, kritisierte Sophie Halley vom Landesvorstand.
Das Schulministerium reagierte auf die Verärgerung über die späte Information: «Die Kritik an sehr kurzfristig übersandten Schulmails prallt nicht an uns ab», schrieb Staatssekretär Mathias Richter am Sonntag in einer Mail an alle Einrichtungen: «Aber immer wieder in dieser Pandemie konnten wir bestimmte Entwicklungen nicht verlässlich genug und so frühzeitig vorhersagen, um rechtzeitig alle Beteiligten einzubinden.» News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zu Teil zwei des Beitrags: Auch in anderen Bundesländern herscht großes Durcheinander.
Die Kultusminister haben gezockt – Schüler, Eltern und Lehrer haben verloren
