DÜSSELDORF. Auch in Nordrhein-Westfalen geht eine turbulente Schulwoche ohne Präsenzpflicht zu Ende. Für die meisten Schüler ist heute der letzte Unterrichtstag vor den Ferien. Die Frage, die Eltern und Lehrer allerdings umtreibt, lautet: Wie geht es im Januar mit dem Unterricht weiter? Schulministerin Gebauer gibt, wie gewohnt, keine Antwort. Transparente Kriterien, wann welche Schutzmaßnahmen für Schüler und Lehrer greifen sollen, soll es wohl auch in den nächsten Monaten nicht geben.
Fast zwei Drittel der rund 2,5 Millionen Schüler in NRW sind nach einer kurzfristigen Neuregelung in dieser Woche auf Distanz unterrichtet worden. Zum Stichtag 16. Dezember hätten nur noch 38 Prozent der Schüler am Präsenzunterricht teilgenommen, sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Freitag auf Anfrage. Zugleich seien in den Schulen mit fast 94 Prozent erfreulich viele Lehrkräfte für Organisation und Erteilung des Präsenz- und Distanzunterrichts im Einsatz. Die coronabedingt ausgesetzte Präsenzpflicht habe allen am Schulleben Beteiligten am Ende eines «ohnehin kräftezehrenden Jahres» noch einmal viel abverlangt.
“Wir erwarten, dass der so genannte ‘harte Lockdown’ die erhoffte Wirkung erzielt”
«Die dynamische, sich mitunter überschlagende Entwicklung der Coronavirus-Pandemie hat von uns in diesem Jahr viele, oft kurzfristige Entscheidungen gefordert», betonte Gebauer. Der weitere Infektionsverlauf werde den Hintergrund der nächsten Beratungen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 5. Januar bilden, bei dem es um das weitere Vorgehen nach dem 10. Januar «in allen Lebensbereichen» gehe. Damit die Schulen sich auf den Betrieb im neuen Jahr vorbereiten können, sollten diese «zeitnah» informiert werden.
In einem offenen Brief, den Gebauer an die Eltern im Land richtet, schreibt sie: «Diese besonderen Regelungen lassen sich auf den Unterrichtsbetrieb nach den Weihnachtsferien jedoch nicht übertragen. Wir erwarten, dass der so genannte „harte Lockdown“ die erhoffte Wirkung erzielt und es gelingt, die Infektionszahlen bis zum Wiederbeginn des Unterrichts am 11. Januar 2021 deutlich zu reduzieren.» Weiter heißt es: «Wird dieses Ziel nicht erreicht, müssen Sie sich als Familien mit schulpflichtigen Kindern leider darauf einstellen, dass erneut besondere Maßnahmen zur Gestaltung des Schulbetriebs ergriffen werden müssen. Dies kann in Abhängigkeit vom regionalen Infektionsgeschehen, aber auch von Schule zu Schule unterschiedlich sein.»
Gebauer behauptet: «Schulen sind keine Infektionsherde, das haben das Robert-Koch-Institut und andere Wissenschaftler wiederholt festgestellt.« Im aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (17. Dezember) werden dagegen Schulen ausdrücklich als Orte genannt, in denen verstärkt Ausbrüche registriert werden. Wörtlich heißt es darin: «In den meisten Kreisen handelt es sich zumeist um ein diffuses Geschehen, mit zahlreichen Häufungen in Haushalten, aber auch in Gemeinschaftseinrichtungen, Schulen und Alten- und Pflegeheimen.»
Gebauer ist offenbar weiterhin nicht gewillt, den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für die Schule zu folgen
Das Robert-Koch-Institut sieht zudem vor, ab einem Inzidenzwert von 50 Neuansteckungen innerhalb von einer Woche auf 100.000 Einwohner (NRW liegt im Schnitt aktuell bei 176,5) in den Wechselunterricht mit kleineren Lerngruppen zu gehen, um die Abstandsregel in den Klassenräumen einhalten zu können. Außerdem empfiehlt das RKI eine generelle Maskenpflicht im Unterricht aller Jahrgänge – die in NRW nur in weiterführenden Schulen gilt. Nach wie vor ist Gebauer offenbar nicht gewillt, den Empfehlungen zu folgen.
Weiterhin verzichtet das Schulministerium nicht darauf, herausgegebene Daten zum Infektionsgeschehen an Schulen zu relativieren. Heißt: Sie werden (anders als bei Informationen der Landesregierung zum Corona-Geschehen insgesamt, die hier zu finden sind) in Bezug zu Gesamtzahlen gesetzt, um sie kleiner erscheinen zu lassen. Nach aktuellstem Stand wurde laut Ministerium offiziell bei 0,4 Prozent der Lehrkräfte – 662 Personen – eine Corona-Infektion bestätigt. Rund 1,5 Prozent der Lehrer – 2332 Personen – befinden sich in Quarantäne. Unter den Schülern ist bei rund 0,26 Prozent – 5.272 Kindern und Jugendlichen – eine Infektion nachgewiesen. Wegen des umgestellten Schulbetriebs gebe es zu Quarantäne bei Schülern keine genauen Zahlen.
Zum Vergleich (den nicht das Schulministerium zieht): Das Robert-Koch-Institut hat am 17. Dezember in Deutschland rund 334.000 aktive Corona-Fälle gemeldet – das sind 0,4 Prozent, bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland. Schulkinder werden seltener getestet als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht, wie eine Recherche der tagesschau unlängst ergab. Bei den Positivraten bewegen sich Schulkinder danach tatsächlich in etwa auf dem gleichen Level wie Erwachsene.
Zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie hatten Eltern bei Schülern der unteren Jahrgänge bis Stufe sieben seit Montag die Wahl, ob ihre Kinder in der Schule oder von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen. Für ältere Schüler ab Klasse acht war das Lernen vollständig auf Distanz umgestellt worden. Der Unterricht endet zwei Tage früher schon an diesem Freitag und beginnt zwei Tage später als ursprünglich geplant am 11. Januar. Nur bei unverschiebbaren Klassenarbeiten und Klausuren müssen Schüler auch am 21. und 22. Dezember in die Schulen kommen.
GEW: Illusorisch zu glauben, dass ab dem 11. Januar wieder Präsenzunterricht für alle Schüler stattfindet
Die Lehrergewerkschaft GEW verlangte klare Konzepte und verlässliche Perspektiven für die Schulen bis zu den Osterferien. Die Doppelbelastung der Lehrkräfte aus gleichzeitigem Präsenz- und Distanzunterricht müsse ein Ende haben, sagte die Landesvorsitzende Maike Finnern. Es sei illusorisch zu glauben, dass ab dem 11. Januar wieder Präsenzunterricht für alle Schüler stattfinde. Die Landesregierung muss noch vor dem Jahreswechsel ein tragfähiges Rahmenkonzept vorlegen, das das gesamte restliche Schuljahr 2020/21 in den Blick nehme», forderte Sven Christoffer, Vorsitzender von Lehrer NRW. Auch Landeselternkonferenz und Philologen-Verband mahnten eine Langzeitstrategie für die Schulen an, statt kurzfristiger Anweisungen. News4teachers / mit Material der dpa
