BERLIN. Kanzleramtschef Helge Braun ist überzeugt davon, dass die mutierte Form des Coronavirus in Deutschland die Oberhand gewinnen wird – und die Infektionszahlen umso dringender gesenkt werden müssen. Was heißt das für die Schulen? Möglicherweise dauert der Lockdown länger als bislang erwartet.
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) geht davon aus, dass die bislang vor allem in Großbritannien verbreitete Mutation des Coronavirus auch in Deutschland zur dominanten Form werden wird. «Wir sehen ja momentan, dass wir jetzt in mehreren Krankenhäusern auch schon mit der Mutante zu tun haben. Das heißt, das ist bei uns im Land angekommen, und deshalb wird sie irgendwann so wie in anderen Ländern auch dann die Führung übernehmen und wird Probleme machen», sagte Braun in der ARD-Talkshow «Anne Will». «Da bin ich sehr sicher», ergänzte er auf Nachfrage.
Umso wichtiger sei es nun, die Infektionszahlen «sehr stark» zu senken und damit eine weiteren Verbreitung der Mutation die Grundlage zu entziehen, fügte Braun hinzu. «Wir wollen sie so lange wie möglich aus dem Land raushalten und da, wo sie schon ist, eben sehr niedrig halten. Das wird man auf Dauer nicht schaffen», sagte Braun.
Der Virus-Typ B.1.1.7 war bisher vor allem in Großbritannien aufgetreten. Die Variante ist Experten zufolge leichter übertragbar als die bislang vorherrschende. Ob sie auch tödlicher ist, lässt sich bislang nicht gesichert sagen. Auch in Brasilien und Südafrika kursieren Virus-Mutationen mit wohl besonderem Risiko.
“Man muss davon ausgehen, dass auf einen Monat betrachtet diese drei Varianten sechs- bis achtfach so ansteckend sind”
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte dazu im «Bild»-Format «Die richtigen Fragen»: «Man muss davon ausgehen, dass auf einen Monat betrachtet diese drei Varianten sechs- bis achtfach so ansteckend sind. Und wenn ich dann die jetzigen Zahlen hochrechne, dann bin ich schnell bei dem Szenario, das Christian Drosten vorgerechnet hat.»
Wenn 1 Lehrer Covid hat und einen Ausbruch in Schule mit 30 Schülern und Eltern über den nächsten Monat verursacht, wäre dieser Ausbruch bei B117 180-240 Kinder gross. Ausbruch 30 Personen kann man kontrollieren. Bei 240 kommt Lockdown, wie jetzt in UK. Das ist die Gefahr
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) January 20, 2021
Der Virologe hatte im «Spiegel» mit im schlimmsten Fall 100.000 Neuinfektionen pro Tag bei einem zu frühen Lockdown-Ende gerechnet. Bei den binnen 24 Stunden registrierten Neuinfektionen war bislang mit 33 777 am 18. Dezember der höchste Wert gemeldet worden – darin waren jedoch 3500 Nachmeldungen enthalten. Seitdem sind die Zahlen deutlich gesunken.
Angesichts der Situation waren vereinzelte Forderungen nach einem Lockdown-Ende Mitte Februar am Wochenende abgeblockt worden. Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet sagte: «Wenn Infektionszahlen nachhaltig und deutlich sinken, muss man Grundrechtseingriffe auch wieder zurücknehmen, muss man Schulen und Kitas wieder öffnen. Nur wir sind in dieser Phase jetzt nicht.»
Lauterbach warnte ebenfalls: «Wir werden einen sehr harten und sehr gut funktionierenden Lockdown brauchen, weil die neuen Varianten von einem ganz anderen Kaliber sind. Die haben noch einmal ein ganz anderes Bedrohungspotenzial.» Lauterbach geht – genau wie Drosten – nicht davon aus, dass der Sommer die Ausbreitung des Virus weitgehend stoppen wird.
Trotzdem hält die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst, erste Schulöffnungen Anfang Februar für möglich. «Sicher nicht vollständig», schränkte die brandenburgische Bildungsministerin in der «Rheinischen Post» ein. «Aber ich halte das bei entsprechender Infektionslage beispielsweise mit Wechselunterricht für möglich.» Anfangs könne das auch nur für Abschlussklassen und die ersten Klassenstufen gelten. «Kein Land sollte auf ein anderes warten müssen, um seine Schulen zu öffnen», sagte die SPD-Politikerin und verwies auf ein sehr unterschiedliches Infektionsgeschehen in den Bundesländern. «Ich finde es richtig, wenn die Länder die Spielräume, die ihnen die Beschlüsse bieten, unterschiedlich nutzen.»
Einen einheitlichen Maßstab – etwa in Form bundesweit geltender Grenzwerte, die festlegen, wann welche Schutzmaßnahmen in Kitas und Schulen zu ergreifen sind – lehnt die KMK ab. „Die Kultusminister möchten nicht gerne einen Automatismus haben, dass bei einer bestimmten Inzidenz Schulen geschlossen werden. Wir haben in den vergangenen Monaten Situationen, wo der Grund in Pflegeheimen liegt, in Krankenhäusern, in Schlachtbetrieben und wir möchten einfach genau hingucken und die Gesamtsituation beurteilen. Man kann auch nicht, wenn man zwei Tage über einer Inzidenz ist, Schulen schließen und wieder öffnen, insofern machen wir eine Gesamtbetrachtung, aber natürlich spielen die Inzidenzen eine große Rolle“, so hatte Ernst vor zwei Wochen erklärt.
Bundesbildungsministerin: «Je besser wir die Zahlen herunterkriegen, umso früher können wir die Schulen öffnen»
Woher die Kultusminister allerdings die Daten nehmen wollen, um eine seriöse Gesamtbetrachtung vorzunehmen, blieb dabei offen – in Schulen finden Reihenuntersuchungen von Schülern und Lehrern auch nach Corona-Infektionen nur äußerst selten statt. Die Gesundheitsämter können die Infektionsketten längst nicht mehr nachvollziehen. Der bundesweit größte Massentest an Schulen, der nach den Weihnachtsferien in Bremen lief, ergab unter 18.495 auswertbaren Tests 58 zuvor unbekannte Positiv-Fälle unter Schülern und Lehrern. Das entspricht einem Inzidenzwert von 313, hochgerechnet auf 100.000 Menschen. (News4teachers berichtet ausführlich über die Untersuchung.)
Zum Vergleich: In Bremen liegt die Gesamt-Inzidenz bei aktuell 75,2 Neuansteckungen binnen sieben Tagen bezogen auf 100.000 Einwohner.
Auf die Frage, ob die Schulen bis Ostern geschlossen bleiben, sagte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gegenüber «Bild»: «Je besser wir die Zahlen herunterkriegen, umso früher können wir öffnen.» Und weiter: «Wichtig ist, dass wir uns jetzt Konzepte überlegen und uns dann an den Infektionszahlen orientieren. Dort wo die Zahlen runtergehen, können wir Präsenzunterricht machen.» Der Gesundheitsschutz habe gerade höchste Priorität.
Ähnlich äußerte sich Regierungssprecher Steffen Seibert: «Jetzt sind wir in einer sehr schwierigen Situation.» Es gebe zwar im Moment ein erfreuliches Sinken der Infektionszahlen und der Zahl der Covid-19-Intensivpatienten, so Seibert. So meldeten die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut (RKI) 6729 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. «Das sind erste Erfolge für uns alle in dieser zweiten Welle», sagte Seibert. «Gleichzeitig haben wir die große und sehr reale Gefahr, dass sich die Virusmutante auch bei uns wie in anderen Ländern immer weiter durchsetzt und dass die Zahlen wieder stark in die Höhe getrieben werden könnten.» Deshalb gelte: «Wir müssen möglichst schnell zu deutlich niedrigeren Infektionszahlen kommen.» Den guten Weg jetzt zu unterbrechen – «das wäre gerade falsch». News4teachers / mit Material der dpa