BERLIN. Wegen Corona befindet sich Deutschland im Lockdown – doch an Kitas und Schulen tummeln sich immer mehr Kinder. Eltern schicken sie seit den Weihnachtsferien verstärkt in die Notbetreuung. Daran wird zunehmend Kritik laut. Gewerkschaften schlagen Alarm. Verdi fordert, Corona-Infektionen bei Erzieherinnen und Erziehern als Berufskrankheit anzuerkennen.
Trotz Corona-Lockdowns rechnet die baden-württembergische Landesregierung mit weiter steigenden Schülerzahlen an den eigentlich geschlossenen Grundschulen. Es sei davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Notbetreuungsangeboten in den kommenden Tagen kontinuierlich zunehmen werde, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums. In der Woche nach den Weihnachtsferien seien je nach Grundschule zwischen 10 und 25 Prozent der regulär unterrichteten Schüler notbetreut worden. Das habe eine Abfrage an den Schulämtern ergeben.
Hamburg meldet aktuell: «Die Auslastung der Kitas im gegenwärtigen eingeschränkten Regelbetrieb liegt im Durchschnitt über ganz Hamburg nur bei knapp der Hälfte. In einigen Kitas ist die Auslastung erheblich geringer, in einigen jedoch auch höher», sagte ein Sprecher der Hamburger Sozialbehörde. „Nur“ bei knapp der Hälfte? In einzelnen Kitas bestünden bereits personelle Engpässe, so räumt der Sprecher ein. Zudem seien mit zu vielen Kindern in den Kitas die Hygieneanforderungen nicht mehr sicher einzuhalten. Im bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, werden aktuell etwas mehr als ein Drittel der Kinder in den Kindertagesstätten betreut – das sind mehr als 200.000 Kinder. Die Landesregierung hatte lediglich an die Eltern appelliert, ihre Kinder wenn möglich zuhause zu betreuen.
Die Eltern müssen «zwingend auf eine Betreuung angewiesen» sein – so lautet die Bedingung. Kontrolliert wird das nicht
Bund und Länder hatten Anfang des Jahres den Lockdown auch an Schulen und Kitas bis Ende Januar verlängert. Einer zunächst angedachten vorzeitigen Öffnung von Kitas und Grundschulen in Baden-Württemberg schon am 18. Januar erteilte die Landesregierung am vergangenen Donnerstag eine Absage – wegen der weiter hohen Corona-Infektionszahlen. Für Kita-Kinder und Schüler der Klassen 1 bis 7 soll es aber weiter die Möglichkeit einer Notbetreuung geben.
In Baden-Württemberg müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Die Eltern müssen «zwingend auf eine Betreuung angewiesen» sein, wie das Kultusministerium festlegt. Sie müssen erklären, «dass beide entweder in ihrer beruflichen Tätigkeit unabkömmlich sind oder ein Studium absolvieren oder eine Schule besuchen, sofern sie die Abschlussprüfung im Jahr 2021 anstreben». Ein Nachweis dafür muss jedoch nicht erbracht werden. In Hamburg gilt: Eltern, die ihre kleinen Kinder nicht zu Hause betreuen können, dürfen sie weiterhin in die Kita bringen. Es gilt ein eingeschränkter Regelbetrieb, keine Notbetreuung. Einschränkungen wird es dabei lediglich in den Randzeiten geben.
Die Folgen der lockeren Handhabung: Schon jetzt nutzen laut der GEW Baden-Württemberg deutlich mehr Kinder die Notbetreuungsangebote der Grundschulen und Kitas als in den Tagen vor Weihnachten. Zum Teil gebe es deshalb Personalengpässe, erklärte GEW-Landesgeschäftsführer Matthias Schneider. Aus Grundschulen höre er, dass zum Teil Lehrer und Lehrerinnen gleichzeitig Notbetreuung und Online-Fernunterricht sicherstellen sollen, was unmöglich sei. Vereinzelt erreiche ihn aus den Kitas auch Kritik daran, dass Eltern für ihre Kinder die Notbetreuung nutzten, obwohl diese anscheinend keinen Anspruch darauf hätten.
VBE: Weil das Betreuungsangebot so niederschwellig angesetzt sei, wird es von Eltern häufig genutzt
An Grundschulen gibt es laut dem VBE Baden-Württemberg dasselbe Phänomen. «Wir wissen von Eltern, die zuhause sind, kein Home-Office haben und trotzdem ihre Kinder in die Notbetreuung schicken», erklärte der stellvertretende VBE-Landesvorsitzende Oliver Hintzen. Gerade weil das Angebot so niederschwellig angesetzt sei, werde es häufig genutzt. An Standorten mit viel Platz und wenigen Kindern in der Notbetreuung funktioniere das System gut. «Bei Standorten mit großen Gruppen hingegen haben wir aber genau das Gegenteil von dem erreicht, was mit einer Schulschließung bewirkt werden soll», bemängelte er. In Landkreisen, Städten und Gemeinden mit hohen Infektionszahlen müsse überlegt werden, ob Schulen überhaupt für Notbetreuung geöffnet werden müssten.
Und die Zahlen steigen – auch in anderen Bundesländern. Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Trotz der Appelle der Landesregierung schicken mehr Eltern ihre Kinder wieder in die Schule. Nach Erhebungen des Schweriner Bildungsministeriums waren am Dienstag vor einer Woche 31,2 Prozent der Grundschüler in der Schule. Von den Fünft- und Sechstklässlern waren es demnach 16,4 Prozent. Heute kam die Meldung: Fast die Hälfte aller Kita- und Hortkinder wird trotz der Corona-Pandemie derzeit im Land außer Haus betreut.
Ähnlich verläuft die Entwicklung in Thüringen – dem Bundesland mit dem bundesweit höchsten Inzidenzwert (274). Auch dort ist die Zahl der Familien, die die Notbetreuung für ihre Kinder wegen der pandemiebedingt geschlossenen Schulen und Kindergärten in Anspruch nehmen, gestiegen. Zum Stichtag 14. Januar wurden knapp zwölf Prozent der Erst- bis Sechstklässler in Schulen betreut, wie das Bildungsministerium mitteilte. Das sind rund 13.000 Mädchen und Jungen. In die Kindergärten kamen 34.000 Kinder, was einem Anteil von 36 Prozent der Kita-Kinder entspricht. Die Notbetreuung ihrer Kinder können nach der aktuellen Corona-Landesverordnung Eltern in Anspruch nehmen, die aus beruflichen Gründen keine Alternative haben. Zu Beginn des Monats (Stichtag 4. Januar) waren laut Ministerium an den Schulen erst 8,8 Prozent der Kinder aus den Klassenstufen 1 bis 6 und 24,6 Prozent der Kindergartenkinder notbetreut worden.
Verdi fordert einen konsequenten Schutz der Kita-Beschäftigten – und will, dass Corona-Infektionen als Berufskrankheit anerkannt werden
In Hamburg reagiert die Sozialbehörde nun auf den Andrang. Bei Einrichtungen mit deutlich mehr betreuten Mädchen und Jungen geht sie mit einem Schreiben auf die Eltern zu. «Wir bitten in diesen Fällen darum, zu prüfen, ob die Betreuung an einzelnen Tagen nicht bereits ausreicht», so berichtet der Sprecher. Sollte das auf diesem Weg nicht gelingen, dürfe die Kita-Leitung die Betreuung weiter einschränken, um wieder sicher arbeiten zu können. «Ziel ist es, sichere und angemessene Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.»
Die Gewerkschaft Verdi hat angesichts des Notbetriebs in Kindertagesstätten und der Mutation des Coronavirus konsequenten Schutz der Beschäftigten angemahnt. Während viele Menschen im Homeoffice arbeiteten, hätten die Kita-Beschäftigten täglich viele Kontakte, teilte die Gewerkschaft mit. Notbetrieb bedeute, dass bis zu 50 Prozent der Kinder in den Kitas seien – die ansteckenderen Virus-Mutationen bereiteten vielen Beschäftigten deshalb Sorgen. Verdi forderte, Covid-19 grundsätzlich als Berufskrankheit bei Kita-Beschäftigten anzuerkennen.
Der Braunschweiger Verdi-Gewerkschaftssekretär Bruno Gerkens empfahl, die Kita-Teams zu teilen. Eine Hälfte übernehme die Betreuung, die andere befasse sich im Homeoffice mit Vorbereitungen oder Dokumentation, sagte er. «Nach einer Woche kann gewechselt werden. So muss im Falle einer Ansteckung nicht die ganze Kita dichtgemacht werden.» Regelmäßige Corona-Tests und künftig auch Impfangebote in der Arbeitszeit «sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein». Sollten die Infektionszahlen nicht bald sinken, müsse der Notbetrieb reduziert werden. News4teachers / mit Material der dpa
