BERLIN. Bei der Wiederaufnahme des Schulbetriebs nach dem Lockdown soll das Motto gelten: die Jüngeren zuerst. Doch den genauen Zeitplan lässt ein Beschluss der Kultusminister vorerst offen – ebenso Grenzwerte, ab denen womöglich gelockert werden könnte. Also alles wie gehabt: Das Durcheinander geht weiter. Die Uneinigkeit der KMK lässt für die morgige Ministerpräsidentenkonferenz nichts Gutes erwarten.
Viele Schülerinnen und Schüler in Deutschland müssen sich zur Eindämmung der Corona-Pandemie voraussichtlich länger als bisher geplant auf Fernunterricht einstellen. Allerdings soll es stufenweise Öffnungen für untere Klassen und Abschlussklassen geben. Das beschlossen die Kultusminister der Länder am Montag in einer Schaltkonferenz, wie die Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin mitteilte. Der Schul-Lockdown war von Bund und Ländern Mitte Dezember als Teil des Herunterfahrens des gesamten öffentlichen Lebens ursprünglich bis Ende dieser Woche vereinbart worden.
Allen Ernstes: Die KMK “bekräftigt die große pädagogische Bedeutung des Präsenzunterrichts für die Schülerinnen und Schüler”
Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz und brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) erklärte: „Die Kultusministerkonferenz bekräftigt die große pädagogische Bedeutung des Präsenzunterrichts für die Schülerinnen und Schüler. Wenn sich in den Ländern Spielräume für Lockerungen ergeben, sollen die Grundschülerinnen und Grundschüler bzw. die unteren Jahrgänge als erstes wieder die Schule besuchen können. Für die Abschlussklassen sollen mit Blick auf die Abschlüsse und Prüfungen weiterhin Ausnahmen vom Distanzunterricht möglich sein.“
Konkrete Aussagen? Fehlanzeige. Aufgrund der nach wie vor hohen Inzidenzwerte und der nicht sicheren Einschätzung des Infektionsgeschehens nach den Feiertagen müssen laut dem Beschluss «unter Umständen die im Dezember beschlossenen Maßnahmen in Deutschland oder in einzelnen Ländern fortgeführt werden».
Die Wiederaufnahme des Schulbetriebs sei in Stufen möglich – «sollte es die Situation in den einzelnen Ländern zulassen». Zuerst sollten dann die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 6 wieder Präsenzunterricht haben und die weiteren Jahrgänge im Distanzunterricht bleiben. Durch eine Halbierung der Klassen solle in einer zweiten Stufe dann ergänzend Wechselunterricht für Schülerinnen und Schüler höherer Klassen ermöglicht werden.
Präsenzunterricht für alle Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen soll es demnach erst in einer Stufe drei geben. Für Abschlussklassen soll aber weiterhin eine Ausnahme von den Beschränkungen gelten, so dass sie sich angemessen auf Prüfungen vorbereiten können.
Wie es aus Kreisen der Kultusminister hieß, soll es mit diesem Beschluss möglich werden, dass Länder ihre Schulen in der kommenden Woche für die Klassen 1 bis 6, 10 und 12 öffnen. Das wäre aber ohnehin möglich: Die Bundesländer entscheiden jeweils eigenständig über ihre Schulpolitik.
Der heute beschlossene “Stufenplan” ist auch nicht der erste seiner Art – bereits im August hatte die KMK auf ein “Vier-Stufen-Modell zur jeweiligen Corona-Lage” verabschiedet: unverbindlich und ohne jeglichen Schwellenwert. Das Papier, das seinerzeit auf Drängen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erstellt wurde (die allerdings verbindliche Grenzwerte hatte haben wollen – News4teachers berichtete entsprechend über den Affront), blieb entsprechend seinem Gehalt bis heute folgenlos. Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, ab einem Inzidenzwert von 50 Wechselunterricht in kleineren Lerngruppen und damit die Abstandsregel in den Klassenräumen sowie eine generelle Maskenpflicht im Unterricht einzuführen, lehnen alle Bundesländer ab.
Einige Länder sind mit Ansagen für die Schulen vorgeprescht – mit sehr unterschiedlichen Aussagen
Die Videokonferenz der Kultusminister heute sollte vor allem der Vorbereitungen erneuter Beratungen der Regierungschefs der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Dienstag dienen. Einzelne Länder waren mit eigenen Ansagen für die Schulen vorgeprescht – mit sehr unterschiedlichen Aussagen. Dabei stehen sich Landesregierungen, die einen vorsichtigen Kurs bei Kitas und Schulen fahren wollen, und Landesregierungen, die auf schnelle Öffnungen drängen, gegenüber.
Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), die die Kitas und Schulen unabhängig vom Infektionsgeschehen weit öffnen möchte, begrüßte in einer Mitteilung den Beschluss. «Der Präsenzunterricht ist und bleibt die beste Option für den Lernerfolg. Ich hoffe, dass die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundeskanzlerin bei der bevorstehenden Entscheidung dies ebenfalls berücksichtigen.» Im Vorfeld der KMK-Sitzung hatte sie gefordert, Kindergärten und Grundschulen auf jeden Fall schon ab dem 11. Januar wieder zu öffnen. «Gerade mit kleineren Kindern in der Grundschule ist digitaler Unterricht nur sehr schwer bis gar nicht möglich», sagte sie.
In Hamburg sollen wegen der weiteren zahlreichen Corona-Neuinfektionen viele Schüler noch bis voraussichtlich Ende Januar zu Hause lernen. Der Senat der Hansestadt hatte die Anwesenheitspflicht für eine weitere Woche ausgesetzt und nicht ausgeschlossen, dass es auch in den letzten beiden Januarwochen keinen regulären Präsenzunterricht geben wird. Für weitere Einschränkungen hatte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gefordert, „dass der Bund darlegt, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage beziehungsweise Datengrundlage er eine weitere pauschale Schließung von Kitas und Schulen fordert.“
Söder: “Es hat sich gezeigt, dass auch in der Schule Ansteckung und Verbreitung stattfinden”
Bayerns Ministerspräsident Markus Söder (CSU) mahnte dagegen zur Vorsicht: «Es darf keine überstürzte Öffnung von Schulen und Kitas geben. Es wäre angesichts der hohen Infektionszahlen verantwortungslos, Lehrer und Schüler einfach wieder komplett in die Schulen zu schicken. Es hat sich gezeigt, dass auch in der Schule Ansteckung und Verbreitung stattfinden. Gerade nach den Ferien ist die Gefahr am höchsten.»
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte bei SWR Aktuell, der Fernunterricht an den Schulen in Rheinland-Pfalz solle auf jeden Fall mindestens bis zum 15. Januar weiterlaufen. «Wir hoffen, dass wir dann aber auch Stück für Stück wieder mehr Schule in der Schule machen können.» Allerdings sei das abhängig von den Corona-Zahlen. Möglich sei Wechselunterricht. Wichtig sei, dass die Abschlussklassen ihre Prüfungen ablegen könnten. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sagte: «Angesichts des Infektionsgeschehens und der unsicheren Datenlage bin ich Schulöffnungen im Präsenzunterricht zum 11. Januar gegenüber sehr skeptisch.»
Mit dem Verzicht der KMK auf jegliche Festlegungen ist eine Einigung der Ministerpräsidenten morgen auf einen gemeinsamen Kurs in der Schulpolitik unwahrscheinlicher geworden. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo hatte bereits im Vorfeld der KMK-Sitzung von der Möglichkeit eines bayerischen Sonderwegs an, sollten die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz am morgigen Dienstag nicht den bayerischen Vorstellungen entsprechen. «Bildung ist Ländersache, es kann durchaus sein, dass Bayern am Ende eigene schulpolitische Vorstellungen umsetzt.» News4teachers / mit Material der dpa
Diesen Beschluss hat die KMK in ihrer Videokonferenz heute getroffen:
“1. Die Kultusministerinnen und Kultusminister bekräftigen, dass die Öffnung von Schulen höchste Bedeutung hat. Ausgesetzte Präsenzpflicht bzw. der Distanzunterricht in den Schulen über einen längeren Zeitraum bleibt nicht ohne negative Folgen für die Bildungsbiographien und die soziale Teilhabe der Kinder und Jugendlichen. Die Kultusministerinnen und Kultusminister betonen daher die Bedeutung einer schnellen Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts an den Schulen in Abwägung mit Fragen des Gesundheitsschutzes. Sollte es zu Lockerungen der im Dezember 2020 beschlossenen Maßnahmen kommen, müssen die Schulen von Anfang an dabei sein.
2. Die Kultusministerinnen und Kultusminister stellen fest, dass aufgrund der nach wie vor hohen 7-Tage-Inzidenzwerte und der nicht sicheren Einschätzung des Infektionsgeschehens in Folge der Feiertage u. U. die im Dezember beschlossenen Maßnahmen in Deutschland oder in einzelnen Ländern fortgeführt werden müssen.
3. Sollten es die Situationen in den einzelnen Ländern zulassen, ist die Rückkehr der Schülerinnen und Schüler aus dem momentan praktizierten Distanzunterricht bzw. der Aufhebung der Präsenzpflicht an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen entsprechend folgenden Stufen möglich:
Stufe 1:
Präsenzunterricht für Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 1 bis 6. Die weiteren Jahrgänge der weiterführenden Schulen bleiben im Distanzunterricht.
Stufe 2:
Ergänzend Hybridunterricht (Wechselmodelle) für Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden und beruflichen weiterführenden Schulen ab Jahrgangsstufe 7 (durch Halbierung der Klassengrößen).
Stufe 3:
Präsenzunterricht für alle Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen.
4. Für Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen gilt weiterhin (Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 13.12.2020) eine Ausnahme, um die Vorbereitung auf Prüfungen angemessen begleiten zu können.”
