DORTMUND. Bislang haben sich längst nicht alle in den massiven Ausbau des Ganztagsunterrichts gesetzten Hoffnungen erfüllt. Gerade bei den fachlichen Kompetenzen zeigen Untersuchungen kaum Effekte durch eine Ganztagsbetreuung. Dortmunder Wissenschaftler konnten nun Lernzuwächse belegen, wenn an Ganztags-Grundschulen das Lesen gezielt gefördert wird.
Wenn es um Lernzuwächse bei fachlichen Kompetenzen geht, gilt die (ungebundene) Ganztagsschule unter Bildungsforschern bislang als weitgehend wirkungslos. Messbare Effekte im fachlichen Lernen konnten offenbar bislang nicht nachgewiesen werden, trotz einer Vielzahl von Studien. In nahezu allen Untersuchungen zeigten sich auch keine nennenswerten Gewinne zugunsten sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher. Ändern könnten dies kompetenzorientierte Förderprogramme, zeigen nun Wissenschaftler der TU Dortmund.
Im Rahmen der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“ führten die Dortmunder Wissenschaftler zwischen 2016 und 2019 auch eine Reihe von Interventionsstudien durch, in denen neue Organisations- und Lernansätze für Ganztagsschulen erprobt wurden. In der Teilstudie „Lesen“ entwickelte etwa ein Team um Heinz Günter Holtappels mit Expertinnen und Experten aus der Praxis ein Leseförderprogramm zum Einsatz im Ganztagsbetrieb von Grundschulen.
Die Forscher konzipierten unter anderem mit kindgerechten Kriminalgeschichten und Aufgaben eine außerunterrichtliche Arbeitsgemeinschaft als „Detektiv-¬Club“ für Schülergruppen der vierten Jahrgangsstufe. Die dabei eingesetzten Materialien waren dabei gezielt so gestaltet, dass sie nicht nur für Lehrer, sondern auch für pädagogische Fachkräfte, außerhalb des eigentlichen Unterrichts anwendbar waren. Das Leseförderprogramm könne nach Angaben der Wissenschaftler auch schon in dritten und noch in fünften Klassen eingesetzt werden.
Die Wirkungen des Förderprogramms auf die Entwicklung des Leseverständnisses und der Lesestrategien von Grundschulkindern der vierten Klasse untersuchte das Team hauptsächlich mit Kompetenztests und Befragungen. Im Vorher-nachher-Vergleich kamen sie zu dem Ergebnis, dass bereits mit einem zeitlich begrenzten Förderprogramm – über etwa vier Monate mit 60 bis 90 Minuten pro Woche – im Ganztag von Grundschulen beträchtliche Wirkungen in der Entwicklung des Leseverständnisses erzielt werden konnten.
So erreichten in den längsschnittlich eingesetzten VERA-Kompetenztests innerhalb eines Jahres die Schulkinder, die an dem Leseförderprogramm teilnahmen, deutlich höhere Lernzuwächse im Leseverständnis als jene, die nicht teilnahmen. Dabei profitierten durchgängig alle verglichenen Gruppen von Schülerinnen und Schülern: Mädchen wie Jungen ohne und mit Migrationshintergrund sowie mit hohem oder niedrigem Bildungshintergrund. Allerdings wurden mit der Programmteilnahme keine Wirkungen in Bezug auf Lesestrategien oder Lesemotivation erzielt.
Laut Studienleiter Holtappels profitierten vor allem „Lernende mit zuvor geringen Ausgangskompetenzen im Leseverständnis von der Teilnahme am Förderprogramm mit spürbar größeren Lernzuwächsen gegenüber den lesestarken Gruppen.“ Auch wenn sie diese nicht einholten, erreichten die vorher leseschwächeren Kinder immerhin zumeist eine Steigerung um eine Kompetenzstufe. „Besonders erfreulich ist“, betont Projektleiterin Karin Lossen, „dass Kinder, die einen Migrationshintergrund haben, durch die Teilnahme doppelt so hohe Lernzuwächse erzielten wie ohne Förderprogramm.“
„Wünschenswert, aber auch erforderlich wäre es“ nach Meinung von Holtappels, „wenn nun die Landesinstitute gemeinsam mit Schulen ähnliche Lern-Elemente für verschiedene Fachgebiete und Jahrgangsstufen entwickeln und die Schulen entsprechend auch mehr lernwirksame und kompetenzorientiert ausgerichtete Lernangebote mit Fachbezug in den Ganztagsschulbetrieb aufnehmen würden. Ganztag muss mehr leisten als Freizeit und Betreuung.“ Die pädagogischen Chancen und Potenziale eines recht teuren Ganztagsbetriebs würden damit effektiver zugunsten besserer Lernerfolge von Kindern und Jugendlichen ausgeschöpft. (zab, pm)
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