HAMBURG. Seit einem Jahr haben Schüler coronabedingt deutlich weniger Unterricht. Das schafft Wissenslücken. Manche Mädchen und Jungen hat es dabei besonders zurückgeworfen. Die sollen nun auch mit dem neuen Hamburger Mentorenprogramm «Anschluss» unterstützt werden, bei dem Studierende oder pensionierte Lehrkräfte zum Einsatz kommen sollen – ein Modell, das dann auch bundesweit umgesetzt werden soll. Studierende als Förderlehrer? Der Verband bak Lehrerbildung, in dem Lehrerausbilder organisiert sind, zeigt sich skeptisch. Der Philologenverband hat eine andere Idee.
Damit Hamburgs Schüler trotz des coronabedingten massiven Schulausfalls keine Nachteile haben, sollen ihnen künftig Mentoren beim Schließen der Wissenslücken helfen. Von generellen Lernschwierigkeiten seien den Erfahrungen nach bis zu 20 Prozent der Schüler betroffen, wie Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Donnerstag in Hamburg sagte. Das seien in der Hansestadt etwa 30.000 bis 40.000 Mädchen und Jungen.
Das neu aufgelegte Mentoring-Programm «Anschluss» richte sich zunächst an 4000 bis 5000 Schülerinnen und Schüler. Als Mentoren sollen sowohl Lehramtsstudierende als auch pensionierte Lehrer oder Volkshochschullehrer zum Einsatz kommen. Insgesamt würden dafür etwa 1000 Menschen dafür gebraucht. Das Programm haben die Schulbehörde und die Zeit-Stiftung gemeinsam auf die Beine gestellt.
«Das wird insgesamt zu einer Qualitätsverstärkung von Förder- und zusätzlichem Unterricht an unseren Schulen beitragen»
Es sei ein wichtiger Baustein der Lernförderung in Hamburg, die zudem auf Lernferien und eine verbindliche Lernförderung bei schlechten Noten in den Hauptfächern setzt, sagte Rabe weiter. Mit Blick auf die Lerndefizite vieler Kinder aufgrund der Corona-Krise sagte der Schulsenator: «Wir müssen diese Programme alle ausbauen und vermutlich noch weitere auflegen.»
Konkret sind im Rahmen von «Anschluss» von August an in Kleingruppen mit je vier Mädchen und Jungen entweder in einem Schuljahr zwei Extra-Stunden oder in einem halben Schuljahr vier Extra-Stunden pro Woche geplant. Im Fokus sollen dabei die Schüler stehen, die am Ende der Grundschulzeit, am Anfang Sekundarstufe I oder beim Übergang von der Jahrgangsstufe 6 in die Jahrgangsstufe 7 sind. Dabei gehe es nicht nur darum, die teils enormen Lernrückstände insbesondere in Mathe und Deutsch aufzuholen. Gleichzeitig sollen die Kinder und Jugendlichen durch eine persönlichere Beziehung zu ihren Mentoren wieder zum Lernen motiviert, ihnen die Angst vor Schule genommen und gleichzeitig mehr Selbstvertrauen gegeben werden.
Zudem würden so die Lehramtsstudenten deutlich besser auf ihren Berufsalltag nach dem Studium vorbereitet, sagte Reiner Lehberger, pädagogischer Leiter des Zeit-Stiftung-Projekts «Weichenstellung», auf dem das neue Projekt «Anschluss» basiert. «Das wird insgesamt zu einer Qualitätsverstärkung von Förder- und zusätzlichem Unterricht an unseren Schulen beitragen.» Schulsenator Rabe hofft zudem, dass auf diese Weise auch pädagogischer Nachwuchs in der Stadt gehalten werden kann.
„In den Schulen werden professionell ausgebildete Lehrkräfte benötigt, welche auf die persönlichen Lernbedürfnisse reagieren können“
Ein ähnliches Lernförderprogramm ist bundesweit unter Federführung von Rabe geplant. Es soll für alle Länder voraussichtlich bis zu einer Milliarde Euro kosten.
Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des bak Lehrerbildung, sieht es allerdings kritisch, Lehramtsstudentinnen und -studenten für den Unterricht heranzuziehen. „In den Schulen werden professionell ausgebildete Lehrkräfte, welche auf die persönlichen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler professionell reagieren können, benötigt“, sagt er – gerade wenn es um Kinder und Jugendliche mit Lernrückständen gehe. Das Referendariat als Grundlage qualifizierter Lehrtätigkeit sei dabei unverzichtbar.
Klaßen: „Eine qualitativ hochwertige Lehrerausbildung wird vor allem durch die Zweite Phase gesichert, da die kohärente Verschränkung von Theorie und Praxis von hoher Bedeutung ist.“ Studierende könnten das Maß an Professionalität nicht aufbringen, das notwendig sei. „Gerade jetzt.“
Dazu passt ein aktueller Vorstoß des Philologenverbands Baden-Württemberg. Der fordert zur Aufarbeitung der Corona-bedingten Lernlücken vier zusätzliche Wochenstunden in allen weiterführenden Schulen über drei Jahre hinweg. «Die geplanten Lernbrücken in den Ferien reichen nicht, um die Defizite auszugleichen», sagte Verbandschef Ralf Scholl. Für Schülerinnen und Schüler in Haupt- und Realschulen würde das wohl einen Nachmittag in der Woche mehr bedeuten. News4teachers / mit Material der dpa
