HANNOVER. Müssen Kinder und Jugendliche in den nächsten Monaten kräftig pauken, um entstandene Lernlücken zu schließen? Die Bundesregierung legt ein Zwei-Milliarden-Euro-Paket auf, mit dem die Folgen der Corona-Krise für Schülerinnen und Schüler gemindert werden sollen. Die GEW lehnt einen Teil dieser Pläne allerdings ab. Statt für Wochenend-Unterricht, „Sommerschule“ oder private Nachhilfeinstitute Geld auszugeben, sollten besser die öffentlichen Schulen gestärkt werden, fordert der Landesverband Niedersachsen – und statt „Lernferien“ sollten lieber ganzheitliche Bildungsangebote für die Sommerwochen aufgelegt werden.
Zwei Milliarden Euro, darüber hat sich die große Koalition in Berlin nun geeinigt, soll der Bund dafür aufwenden, um die Schäden der Corona-Krise für Kinder zu mildern. Die Hälfte der Summe ist für Nachhilfe- und Förderprogramme für Schüler in den Ländern gedacht, zum Beispiel unter Mithilfe pensionierter Lehrer, aber auch durch kommerzielle Anbieter. Die zweite Milliarde ist für die Aufstockung verschiedener sozialer Programme vorgesehen, um die sozialen und psychischen Krisenfolgen für Kinder und Jugendliche abzufedern. Hier geht es zum Beispiel um mehr Geld für Sprachförderung an Kitas in sogenannten sozialen Brennpunkten, weil Kinder lange nicht in ihren Einrichtungen waren.
„Auch dieses Schuljahr wird für viele Schülerinnen und Schüler kein vollwertiges Schuljahr sein”
Auch eine stärkere Förderung von Schulsozialarbeit, Freizeitangeboten und kostengünstigen Ferienfahrten ist geplant. Einzelne Bundesländer planen in diesem Rahmen „Lernferien“. Baden-Württemberg zum Beispiel hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass schwächere Schüler in den Sommerferien in speziellen Förderkursen Corona-bedingte Wissenslücken schließen können. Diese Lernbrücken seien wichtig, da viele Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten mit dem Fernunterricht hätten, teilte das Kultusministerium in Stuttgart mit. Zudem konnten manche von ihnen nur sehr schwer für das Online-Lernen erreicht werden.
„Auch dieses Schuljahr wird für viele Schülerinnen und Schüler kein vollwertiges Schuljahr sein, wie wir es gewohnt waren“, erklärte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Der Bund wird daher den Ländern eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen, um Nachhilfe im kommenden Schuljahr zu fördern. Zudem wird der Bund eine Fülle an Maßnahmen ergreifen, um die Kinder und Jugendlichen wieder in ihrer Entwicklung insgesamt stärken. Ich denke da an unser Programm ‚Kultur macht stark‘, mit dem wir etwa über Theaterprojekte oder Museumsbesuche den Kindern und Jugendliche neue Welten erschließen wollen. Aber auch die Schulsozialarbeit ist ein wichtiger Punkt. Auch für diese zweite Säule denken wir an einen ähnlichen Betrag wie beim Nachhilfeprogramm.“
Weiter betonte sie: „Mit Blick auf das Nachhilfeprogramm lege ich Wert darauf, dass jetzt durchaus niedrigschwellig Lernstandserhebungen gemacht werden. Der Lehrerverband geht davon aus, dass 20 bis 25 Prozent der Schüler größere Lücken haben. Diese Schüler wollen wir mit der Hilfe erreichen. Starten soll das Nachhilfeprogramm unmittelbar mit Beginn des kommenden Schuljahres. Damit das klappt, müssen Nachhilfeinstitute, pensionierte Lehrer und auch Lehramtsstudenten einbezogen werden.“ Tatsächlich hatte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, unlängst geschätzt, dass etwa ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler im vergangenen Corona-Jahr „stark abgehängt“ wurde.
„Im Klartext: Wir brauchen mehr Beschäftigte in den Schulen und zudem ganzheitliche Bildungsangebote in den Ferien“
Die Kritik der GEW entzündet sich vor allem am ersten Teil des Pakets. „Bundesmittel dürfen keinesfalls dazu dienen, privaten Nachhilfe-Unternehmen Millionensummen in die Kassen zu spülen. Unsere Schulen benötigen diese Ressourcen, um die Kinder und Jugendlichen bei der Aufarbeitung des Erlebten unterstützen zu können“, sagt die niedersächsische Landesvorsitzende Laura Pooth mit Blick.
„Im Klartext: Wir brauchen mehr Beschäftigte in den Schulen und zudem ganzheitliche Bildungsangebote in den Ferien“, forderte sie. In Niedersachsen etwa habe sich 2020 das Programm „LernRäume“ bewährt. Dabei handelt es sich um ein freiwilliges, außerschulisches Bildungs- und Freizeitangebot für Schülerinnen und Schüler, die aufgrund der Pandemie besondere Unterstützung brauchen. Dieses solle erneut eingerichtet und vom Kultusministerium gefördert werden, so Pooth.
Mehr als 6.500 Kinder und Jugendliche konnten im vergangenen Jahr während der Sommerferien landesweit Angebote in mehr als 600 LernRäumen nutzen: unter anderem in Kirchengemeinden, Schulbauernhöfen, Jugendherbergen und ähnlichen Einrichtungen. Diese reichten von Abenteuer-Touren durch den Wald bis zum Trickfilmstudio im Phaeno, einem Mitmach-Wissenschaftszentrum in Wolfsburg – fast immer gepaart mit schulischen Übungs- und Lerneinheiten. „Insbesondere gilt es nun, emotional-soziale Defizite aufzuarbeiten. Und das wird Monate dauern. Es ist ein falsches Bildungsverständnis zu glauben, Wissen könne nun rasch eingetrichtert werden. Nachsitzen und pauken, um eventuell versäumten Lernstoff aufzuholen, wäre für die Schülerinnen und Schüler kontraproduktiv“, betont Pooth.
“Der Blick muss weit über die sogenannten Kernfächer hinausgehen und die ganzheitliche Entwicklung in den Fokus nehmen”
Das aktuelle Schuljahr solle zudem nur freiwillig wiederholt werden, um Benachteiligte nicht weiter zu stigmatisieren. Grundsatz müsse das automatische Übergehen in die nächste Jahrgangsstufe sein. „Noten können in dieser Ausnahmesituation lediglich als Orientierung für die Eltern und ihre Kinder dienen. Sie sagen über die aktuellen psychischen Belastungen jedoch nur wenig aus. Die Schulsozialarbeit muss daher ebenso ausgebaut werden wie das gesamte Beratungs- und Unterstützungssystem. Außerdem brauchen die Schulen ausreichend Freiheiten, um flexibel mit den Stundentafeln umzugehen. Der Blick muss dabei weit über die sogenannten Kernfächer hinausgehen und die ganzheitliche Entwicklung der jungen Menschen in den Fokus nehmen“, führt die GEW-Landesvorsitzende aus. News4teachers
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