SAARBRÜCKEN. Eine der Aufgaben von Schule ist es, Schülerinnen und Schüler in ihrer Berufswahl zu unterstützen. Ganze Netzwerke haben sich um diese Herausforderung herum entwickelt. Der Saarbrücker Neuroradiologe Christoph Krick hat nun messbare Zusammenhänge zwischen Hirnanatomie und beruflichen Neigungen bei Berufsschülern ermittelt.
„Was willst Du später einmal werden?“, ist eine zentrale Frage im Leben junger Menschen, nicht nur, weil sich ihr wohl die meisten von ihnen auch seitens besorgter Eltern oder Großeltern ausgesetzt sehen. Auch für die Schule gehört die Berufsvorbereitung zu den wichtigen Arbeitsfeldern. Praktiker, Theoretiker und Stakeholder unterschiedlicher Couleur ringen geradezu um die Gewichtung von Bildung und Ausbildung.
Zur Berufsvorbereitung gehört naturgemäß die Ermittlung der beruflichen Neigungen und anknüpfbaren Fähigkeiten und Charaktereigenschaften. Berufliche Neigungen werden dabei meist über psychologische Interessenstests bestimmt. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der berufsbildenden Schule Zweibrücken und ihrem Lehrer Stefan Gurres hat der Saarbrücker Neuroradiologe Christoph Krick einen anderen Weg ausprobiert. Mit MRT-Messungen haben Krick und Gurres herausgefunden, dass es einen messbaren Zusammenhang zwischen diesen per Test gemessenen beruflichen Neigungen und den dafür benötigten Hirnregionen gibt.
Bei ihrer Untersuchung orientierte sich das Team am Situativen Interessenstest (SIT) des österreichischen Psychologen Werner Stangl. Dieser stellt ein etabliertes psychologisches Verfahren dar, um mittels einfacher Fragen ein Interessenprofil einer Person erstellen. Er klassifiziert die Menschen, die seinen Test durchlaufen haben, in sechs Bereiche ein: realistisch, intellektuell, künstlerisch, sozial, unternehmerisch und konventionell. Je nachdem, welche Bereiche dominieren, neigt ein Teilnehmer des Tests also zum Beispiel eher in Richtung Ingenieur oder Krankenpfleger.
Christoph Krick und Stefan Gurres sind nun der Frage nachgegangen, ob die Testergebnisse durch physische Messungen überprüfbar sind oder ob es auch mit psychologischen Tests Auslegungssache bleibt, welche Neigung ein Proband hat. „Die Forschungsfrage wurde dabei von den Schülerinnen und Schülern selbst aufgeworfen, die sich über das Wesen von ‚Begabung‘ für unterschiedliche Fächer die Köpfe zerbrachen“, erläutert Krick die Entstehung der Studie. So hatten sich Berufsschullehrer Gurres und seine Schützlinge schließlich an die „Gehirnwerkstatt“ von Christoph Krick gewandt, in welcher der Biologe seit vielen Jahren Kindern und Jugendlichen die Geheimnisse des menschlichen Denkorgans erklärt.
Gemeinsam haben Krick und Gurres dann 104 Schülerinnen und Schüler im Magnetresonanztomografen (MRT) untersucht, nachdem alle zuvor den SIT gemacht hatten. „Dabei haben wir festgestellt, dass zu berufstypischen Aufgaben passende Gehirnregionen anatomisch stärker ausgeprägt sind, wenn die Schülerinnen und Schüler zu bestimmten Interessensgruppen nach Stangl gehören“, sagt Lehrer Gurres. “Magnetresonanztomografen sehen, was jemandem liegt“, formuliert Hirnforscher Krick.
Um die Neigungen der Berufsschülerinnen und -schüler zu ermitteln haben Krick und Gures mit dem MRT die Verteilung und die Dichte der Grauen und Weißen Substanz im Gehirn bestimmt. Vereinfacht, so erläutern sie dazu, säßen in der Grauen Substanz vor allem die eigentlichen Nervenzellen, wo die Rechenoperationen im Gehirn ablaufen, die Weiße Substanz bilde hingegen die „Autobahnen“, über die die Impulse zwischen den einzelnen Hirnarealen hin- und her sausten. Je mehr Graue Substanz und je dichter diese in einem entsprechenden Areal sei, desto stärker sei also eine intellektuelle oder berufliche Neigung, die im Zusammenhang mit diesem bestimmten Hirnareal stehe. „Zum Beispiel haben wir beobachten können, dass eine höhere Dichte an Grauer Substanz um eine Hirnregion namens Sulcus temporalis superior mit einer stärkeren Neigung für soziale Interessen einhergeht“, erklärt Stefan Gurres. In dieser Hirnregion sitzt auch unsere Fähigkeit, Emotionen in Gesichtern zu erkennen, was für die soziale Interaktion von großer Bedeutung ist.
Bei den 104 Probanden konnten Christoph Krick und Stefan Gurres eine deutliche Korrelation zwischen den Testergebnissen des Situativen Interessenstests und den anatomischen Eigenheiten jedes einzelnen Schülergehirns feststellen. Stefan Gurres warnt aber davor, nun nach dem Schema „Ich steck dich in die Röhre, und dann sag ich dir, was du machen sollst“ vorzugehen: „Wir können lediglich Momentaufnahmen bieten, denn schließlich verändern sich die Interessenslagen der Menschen im Lauf der Zeit möglicherweise noch.“ Zudem wisse man ja nicht, was zuerst da war: Die Henne oder das Ei. Oder in diesem Fall: eine bestimmte Neigung oder die ausgeprägte Hirnregion, die wichtig ist, um diese Neigung erfolgreich umzusetzen und zum Beispiel ein guter Musiker zu werden. „Wenn man viel übt, verändern sich Hirnregionen ja ebenfalls“, so Christoph Krick.
Jungen Menschen dürfte die Forschungsarbeit aber gewichtige Argumente etwa in familiären Diskussionsrunden bieten. „Denn das Ergebnis“, so Christoph Krick „bedeutet, dass ein dezidiert geäußerter Berufswunsch tatsächlich mehr zu sein scheint als eine Laune. Denn die jeweils ausgeprägten Hirnregionen sind zugleich typischerweise in den Berufsbildern gefragt, die die jungen Leute als Wunsch im Interessenstest angeben“. (zab, pm)
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Jetzt fehlen nur noch Medikamente, die auf bestimmte Hirnregionen in bestimmter Weise wirken, und dann noch eine autoritäre, gewissenlose Regierung wie in China oder Nordkorea, schon ist der Albtraum perfekt. Was die Nazis noch nicht vermochten — jetzt wird es Wirklichkeit. Schöne neue Welt. George Orwell lässt grüßen.
Ich verstehe den Impuls – aber wir brauchen in den meisten Bereichen unterschiedliche Begabungen und Persönlichkeiten und nicht nur den dominierenden Typus. Dies zu ermöglichen ist die wichtigere Herausforderung. Das sieht man sehr schön am Beispiel der Politik …
Woher die höhere Dichte an grauer Substanz kommt, haben die Forscher wohl nicht untersucht. Der Schritt dorthin ist aber definitiv nicht mehr weit, allerdings durch einige so heiße Eisen versperrt, dass sie kaum jemand auch nur anzuschauen wagt.
Endlich gibt es eine sehr viel aufwändigere und teurere Alternative zu einem Papiertest, den jeder mit einem Bleistift durchführen könnte.
Daumen hoch…
Guten Morgen Alx,
Ihren mit humoristischer Ironie vorgetragenen Einwand höre bzw. lese ich in ähnlicher Weise öfters, wenn es um die Beweggründe zur aufwändigen Gehirnforschung geht. Den beteiligten Schülern waren aber die individuellen Performanzunterschiede des eigenen Lernorgans schon bewusst, als es ihnen dann um das Errätseln deren Erklärungsmodells ging.
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Ich finde es prinzipiell unterstützenswert, wenn sich junge Leute um die Beziehung zwischen dem eigenen Lernorgan und dessen Rolle in der Ausbildung oder im mentalen Reifeprozess interessieren. Ich mache nicht nur in diesem Fall die Beobachtung, dass das Interesse an der Aufklärung dieser Beziehung seitens der Schüler und noch mehr bei Schülerinnen wesentlich höher ist als seitens der Lehrerschaft. Ich denke, das hängt am Prizip unseres Schulsystems, das Leistung eher zu bemessen als dessen neuronale Basis zu erhellen strebt. Daher nimmt die neuronale Basis der Kulturleistungen auch eher wenig Eingang in die Lehrerbildung.
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Letztlich ist es aber interessant zu wissen, dass sich das menschliche Genom (und damit der Bauplan unseres Lernorgans) seit der Steinzeit wenig geändert hat – ganz im Gegensatz zur modernen Gesellschaft mit der Fülle an kulturellen Errungenschaften, die nun aber in dasselbe Steinzeitgehirn implementiert werden müssen. Tatsächlich weiß man noch wenig darüber, wie dies je nach individueller Lernkurve geschieht. Offensichtlich ist nur, dass Punkte jagen an der Konsole oder Likes sammeln in digitalen Plattformen auch heute noch ein attraktiv wirkendes Erbe aus unserer archaischen Vergangenheit zu sein scheint. Wenn sich nun umgekehrt eine ganze Schülerschar aufmacht, das neuronale Fundament der schulischen Ausbildung zu erforschen, sollte dies denn nicht mehr als eine ironische Bemerkung wert sein…?
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Mit freundlichen Grüßen von
Dr. Christoph Krick
Sehr geehrter Herr Dr. Krick,
ein Link zur Veröffentlichung würde helfen, die Seriosität der Studie zu beurteilen. Beeindrucken würden mich insbesondere Vorhersagen statt post-hoc Analysen.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Marcus Rutschmann
Sehr geehrter Herr Rutschmann,
den Link zur Veröffentlichung hatte der Autor des oben stehenden Berichts vorausschauend schon angeführt. Aber gerne hier nochmals der Link:
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/feduc.2021.633962/full
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Die Vorhersagen der beruflichen Zufriedenheit aufgrund einer individuellen Passung zwischen Berufsfeld und persönlichen Merkmalen gehört zum Lebenswerk des Psychologen John L. Holland, dessen Modellvorstellung aus dem Jahr 1977 der hier diskutierten Studie zugrunde gelegt wurde.
Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/RIASEC
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Allerdings sind Vorhersagemodelle umso unsicherer je länger der Vorhersagezeitraum ist. Wir kennen das alle von der Wettervorhersage. In analoger Weise können sich berufliche Ziele von Jugendlichen durch Schlüsselerlebnisse (z.B. Praktikum) oder veränderte Rahmenbedingungen (z.B. Lehrerwechsel) mit der Zeit noch ändern. Daher beschreibt die Veröffentlichung die Ergebnisse der Studie als “Schnappschuss” zur Zeit der Messung. Allen Vorhersagen ist jedoch genau dieses vorausgehende Beobachten und Post-hoc-Analysieren als wesentlicher Aspekt gemein: erst der Weg über das genaue Messen der beobachtbaren Einflüsse kann zu einer Modellvorstellung und hieraus zu einer etwaigen Projektion in die nahe Zukunft führen – mit entsprechender Unschärfe aufgrund nicht fassbarer Faktoren…
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Mit Dank für Ihren klugen Einwand und vielen Grüßen,
Dr. Christoph Krick
,, Berufsberatung mittels Hirnscan? Wissenschaftler können Neigungen bei Schülern erkennen” als ich dies laß, war ich sehr erfreut. Für Jemanden, der nicht weiß, was er später machen will, wäre dies eine perfekte Lösung aus der Ahnungslosigkeit rauszukommen, wie mir zum Beispiel.