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Bürokratie, Fachkräftemangel, Datenschutz: Scheitert die Digitalisierung der Schulen, bevor sie richtig begonnen hat?

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BERLIN. Ein großer Haufen Geld liegt seit zwei Jahren bereit, damit Deutschlands Schulen in digitale Technik investieren können. Doch immer noch wird der Milliardenfördertopf nur zögerlich angezapft. Dringend notwendige Schuladministratoren fehlen – Fachkräftemangel. Als wäre das nicht genug, brechen Datenschutzbeauftragte der Länder jetzt auch noch eine Diskussion darum vom Zaun, ob die Software-Lösungen von US-Konzernen – ohne die in Deutschland kaum eine Behörde oder ein Unternehmen laufen würde – aus Schulen verbannt werden sollen. Scheitert die Digitalisierung der Schulen, bevor sie richtig begonnen hat?

Bei der Digitalisierung der Schulen sieht’s nach wie vor nicht so gut aus. Foto: Shutterstock

Satte 6,5 Milliarden Euro stehen bereit, aber nur ein kleiner Teil davon ist bisher abgerufen: Die Fördergelder aus dem «Digitalpakt Schule» kommen auch zwei Jahre nach dessen Start nur tröpfchenweise an den Schulen an. Wie aus dem halbjährlichen Bericht des Bundesbildungsministeriums hervorgeht, der die Rückmeldungen der Länder zum Abruf der Gelder zusammenfasst, waren zum Stichtag 30. Juni nur 852 Millionen Euro abgerufen. Beantragt und bewilligt, aber noch nicht abgerufen waren rund 1,4 Milliarden Euro. Zwei Drittel des Fördertopfes sind damit bisher ungenutzt und unverplant.

Beim Digitalpakt handelt es sich um ein Förderprogramm zur digitalen Modernisierung der Schulen, das seit Mai 2019 und noch bis 2024 läuft. Der Bund hatte zunächst fünf Milliarden Euro bereitgestellt für digitale Lernplattformen, den Aufbau von schuleigenem Wlan, die Anschaffung von interaktiven Tafeln (Smartboards) und für andere Investitionen. Im Zuge von Corona wurde das Förderprogramm dreimal aufgestockt: 500 Millionen Euro für Laptops für bedürftige Schüler kamen dazu, 500 Millionen für Dienstlaptops für Lehrkräfte und 500 Millionen für Schuladministratoren, die sich um die Technik kümmern.

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Von den ursprünglich fünf Milliarden Euro des Bundes aus dem Basis-Digitalpakt wurden bisher nur 189 Millionen Euro abgerufen. Dienstlaptops für Lehrkräfte werden offensichtlich auch nur zögerlich nachgefragt: Von den 500 Millionen Euro dafür wurden erst 192 abgerufen. Und aus dem 500-Millionen-Topf für Schuladministratoren ist bisher so gut wie gar kein Geld geflossen (8.800 Euro abgerufen, beantragt und bewilligt: 6,8 Millionen Euro). Die Mittel für Leihlaptops für bedürftige Schülerinnen und Schüler sind dagegen mit 470 Millionen Euro so gut wie ausgeschöpft.

«Die Digitalisierung der Schulen ist noch längst nicht da, wo sie sein sollte. Das Tempo ist mir insgesamt zu langsam»

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte sich bereits vor wenigen Tagen in der «Augsburger Allgemeinen» kritisch geäußert: Die Länder nutzten in letzter Zeit die Mittel aus dem Digitalpakt mehr. «Aber insgesamt muss ich gut zwei Jahre nach Start des Digitalpakts sagen: Die Digitalisierung der Schulen ist noch längst nicht da, wo sie sein sollte. Das Tempo ist mir insgesamt zu langsam.»

Woran liegt es, dass das Geld solange liegenbleibt? Nach Ansicht der Bildungsgewerkschaft VBE sind die Antragsverfahren, die zwar im Zuge von Corona vereinfacht wurden, immer noch zu kompliziert. Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann verwies auf die vielen Aufgaben, die die Schulen ohnehin schon zu leisten hätten und schlug eine Vereinfachung und mehr Unterstützung der Schulen vor, damit das Geld dort ankommt.

Grundsätzlich gilt, dass Schulen und ihre Träger – in der Regel die Kommunen – sogenannte technisch-pädagogische Einsatzkonzepte erstellen müssen, um Digitalpakt-Mittel zu bekommen: Wie ist die Schule ausgestattet? Was wird gebraucht und warum? Wie sollen Lehrkräfte für die Nutzung der Technik qualifiziert werden? Wegen der Belastungen in der Corona-Krise wurde das aber ausgesetzt und kann später nachgereicht werden.

«Der Abfluss im Digitalpakt ist eine blanke Katastrophe und die Bildungsministerin trägt dafür die volle Verantwortung»

Nach Ansicht der stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Katja Suding, ist die Antragstellung trotzdem immer noch zu bürokratisch. «Der Abfluss im Digitalpakt ist eine blanke Katastrophe und die Bildungsministerin trägt dafür die volle Verantwortung», erklärte sie. «Nicht mal im Ansatz war in den letzten Monaten zu erkennen, dass Anja Karliczek sich bemüht, die Antragsverfahren zu entbürokratisieren und den Mittelabfluss so endlich zu beschleunigen.»

Im Bericht werden noch andere Gründe für das schleppende Tempo bei der Digitalisierung genannt: «Fortlaufende Einschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie wie Verzögerungen bei Handwerks- bzw. Installationsarbeiten oder Lieferengpässe bei IT-Beschaffungen stellen Länder und Schulträger weiterhin vor große Herausforderungen bei der Umsetzung des Digitalpakts Schule», heißt es. Bei Schuladministratoren, gehe es um Personalgewinnung, die langwierig sei. Gerade in diesem Bereich herrsche massiver Fachkräftemangel.

Als wären das noch nicht genug Bremsklötze für die Digitalisierung der Schulen, taucht nun ein neues Problem auf: Die nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Bettina Gayk kritisiert nach einem Bericht der „Rheinischen Post“ die Nutzung von Software von Microsoft, Google, Apple und Co. in Schulen. „Das ist faktisch ein Bereich, in dem wir tolerieren, dass rechtswidrig gearbeitet wird“, stellt sie in ihrem Jahresbericht fest. Es sei nicht zulässig, wenn IT-Unternehmen personenbezogene Daten in die USA übermittelten, obwohl sie diese nicht vor einem Zugriff der Sicherheitsbehörden schützen könnten. Sie forderte die Konzerne auf, datenschutzgerechte Produkte für den europäischen Markt anzubieten.

Tatsächlich tut das zum Beispiel Microsoft längst: Das Unternehmen hat Garantien abgegeben, die europäischen Datenschutz-Standards einzuhalten, wie der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink in einer Pressemitteilung anerkennt.  „Es ist gut und notwendig, dass das Unternehmen sich nach dem europäischen Datenschutz richtet und seine Vertragsklauseln entsprechend ändert“, so sagt er. Trotzdem empfiehlt er, die Produkte nicht in Schulen zu nutzen. Denn: „Verantwortliche – und das sind die Schulen – haben beim gewählten System keine vollständige Kontrolle über das Gesamtsystem und den US-amerikanischen Auftragsverarbeiter.“

Wie Schulleitungen bei den möglichen Alternativen, das sind für den jeweiligen Bedarf einer Schule anzupassende sogenannte Open Source-Lösungen, „vollständige Kontrolle“ haben sollen, ohne Informatik zu studieren und/oder auf persönliche IT-Administratoren zugreifen zu können, erklärt Brink nicht. Dazu kommt, dass diese Lösungen in der Corona-Krise meist nicht gut funktioniert haben – im Gegensatz zu den kommerziellen Software-Produkten.

«Zu Hause nutzen die Schüler munter Software von US-Herstellern. Wenn wir das nicht anerkennen, bekommen wir ein Problem»

Dass die Schulen womöglich mit ihrer Digitalisierung an solchen Ansprüchen scheitern, besorgt zunehmend auch die Politik. „Wir brauchen dringend einen Datenschutzgipfel, auf dem Bund, Länder und Datenschutzzentren zusammenkommen“, forderte unlängst der Saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Datenschutz sei sehr wichtig, „aber man kann ihn nicht über alles stellen“, sagte Hans. „Und man darf auch nicht die Augen verschließen vor der gesellschaftlichen Realität. Zu Hause nutzen die Schülerinnen und Schüler munter Software von amerikanischen Herstellern. Wenn wir das in der Schule nicht anerkennen, bekommen wir ein Problem.“ Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern halte der Datenschutz in Deutschland Schulen davon ab, Standardsoftware einzusetzen, „obwohl die Schülerinnen und Schüler sie später in ihrem Berufsalltag sowieso einsetzen werden“. Hans: „Ziel muss sein, eine schnelle Digitalisierung unserer Schulen zu erreichen – auch mit der Software, die auf dem Markt zur Verfügung steht.“

Sonst steht es schlecht um die Digitalisierung der Schulen, wohl auf lange Zeit. News4teachers / mit Material der dpa

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