KÖLN. Die Infektionszahlen unter Kindern und Jugendlichen liegen in Nordrhein-Westfalen auf Rekordniveau. Gestritten wird nun aber nicht darüber, wie der Schutz der Schülerinnen und Schüler erhöht werden kann. Debattiert wird vielmehr darüber, ob eine Schutzmaßnahme gelockert werden soll: Gibt es einen Corona-Fall in einer Klasse, müssen enge Kontaktpersonen in NRW für 14 Tage in Quarantäne. An dieser Regelung gibt es viel Kritik. Die Stadt Köln will sie deshalb im Rahmen eines „Modelversuchs“ außer Kraft setzen.
Kinder und Jugendliche sind offenbar Treiber der Pandemie – in Nordrhein-Westfalen jedenfalls. Ihre Inzidenzwerte liegen aktuell bei 232,3 (bis neun Jahre) und 316,4 (zehn bis 19 Jahre). Über alle Altersgruppen hinweg meldete das Landeszentrum Gesundheit NRW am Montag eine Inzidenz von 124,9.
Politisch diskutiert wird nun aber nicht darüber, wie der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Infektionen erhöht werden kann – gestritten wird darüber, ob die Quarantäne zu lang und zu umfangreich ist. Die Stadt Köln will mit einem Modellversuch vorpreschen und nur noch positiv getestete Schüler nach Hause schicken. Selbst direkte Banknachbarn sollen prinzipiell in der Klasse bleiben dürfen. Die SPD-Fraktion im Landtag plädiert dafür, für die ganze Schulklasse nur noch fünf Tage Quarantäne anzuordnen. Bislang muss in Nordrhein-Westfalen die ganze Klasse für 14 Tage nur dann in Quarantäne, wenn das Gesundheitsamt vor Ort aufgrund besonderer Umstände entsprechend entscheidet.
Auch bei Eltern von Kita-Kindern gibt es massive Kritik an der aktuell geltenden 14-tägigen Quarantäne. «14 Tage Quarantäne für alle Kontaktpersonen sind nicht verhältnismäßig», kritisierte der Landeselternbeirat (LEB) der Kindertageseinrichtungen in NRW.
Am Donnerstag wird der Landtag auf Antrag der SPD in einer Sondersitzung über die Situation der Jugendlichen und Kinder in der Corona-Krise diskutieren. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Jochen Ott, warf der Landesregierung am Dienstag eine fehlende Strategie in der vierten Corona-Welle vor. Er forderte mehr Tests an den Schulen. Bei einem Corona-Fall solle zunächst die gesamte Klasse in Quarantäne geschickt werden – allerdings müsse für die Schüler die Möglichkeit bestehen, mit einem negativen Test nach fünf Tagen in den Präsenzunterricht zurückzukehren.
«Infektionen bei Kindern und Jugendlichen nehmen nur äußerst selten einen schweren Verlauf»
Die Stadt Köln – Inzidenz unter Fünf- bis 14-Jährigen: 367,5 – will mit einem Schul-Modellversuch einen anderen Weg einschlagen. In Quarantäne sollen dort nur noch positiv getestete Schülerinnen und Schüler. Direkte Sitznachbarn der Infizierten sollen stattdessen täglich getestet werden und nicht mehr mit in Quarantäne müssen, wie ein Sprecher mitteilte. Die Stadt führe wegen des Modellversuchs Gespräche mit der Uniklinik Köln.
«Infektionen bei Kindern und Jugendlichen nehmen nur äußerst selten einen schweren Verlauf», teilte die Stadt mit. Durch das Verfahren sollen demnach die psycho-sozialen Folgen der Quarantäne gemindert werden. Unter welchen Voraussetzungen der Modellversuch starten könnte, blieb zunächst offen. Über Einzelheiten solle bald informiert werden, hieß es. Vom NRW-Gesundheitsministerium hieß es lediglich, der Vorschlag der Stadt Köln sei eingegangen und werde geprüft.
Am Freitag gab es in Köln laut Stadtverwaltung 742 infizierte Schülerinnen und Schüler, von denen 337 im infektiösen Zeitraum in der Schule waren sowie 107 infizierte Mitarbeitende (von denen 35 im infektiösen Zeitraum in der Schule waren). Zudem gab es den Angaben zufolge 92 infizierte Kita-Kinder, von denen 37 im infektiösen Zeitraum in der Kita waren und 33 infizierte Mitarbeitende, von denen zwölf im infektiösen Zeitraum in der Kita waren.
Aktuell müssen Kinder, die engen Kontakt mit einem Infizierten hatten, 14 Tage in Quarantäne. Als enge Kontaktpersonen gelten nach einem Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums Schüler und Schülerinnen, die vor, hinter, rechts oder links vom Infizierten gesessen haben. Geimpfte ohne Symptome sind davon ausgenommen.
«Nur die positiv Getesteten in Quarantäne zu schicken, greift unseres Erachtens viel zu kurz»
Nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Ott kommt das geplante Projekt in Köln viel zu spät. Der Sprecher der Elterninitiative «Mobile Raumluftfilter NRW», Franz-Josef Kahlen, kritisierte den Modellversuch. Es sei ein «äußert riskantes Spiel». Durch die hochansteckende Delta-Variante sei das Risiko, sich in einem Klassenraum anzustecken, sehr groß. «Nur die positiv Getesteten in Quarantäne zu schicken, greift unseres Erachtens viel zu kurz.»
Die Initiative (die nach eigenen Angaben 260.000 Eltern vertritt) fordert, alle Klassenräume zum Schutz der Kinder mit Luftreinigern auszustatten. Sie war der Landesregierung vor, nicht die notwendigen Voraussetzungen für den Präsenzunterricht nach den Sommerferien geschaffen zu haben. «Die altersbezogenen Inzidenzwerte gehen durch die Decke, nur wenige der 53 Kreise und kreisfreien Städte in NRW liegen bei den 5- bis 14-Jährigen noch unter 200; in der Spitze lagen wir bereits über 700. Hier sind die Ergebnisse des Schulbetriebs noch gar nicht enthalten, der läuft ja gerade erst zwei Wochen lang. Und trotzdem sind heute schon über 30.000 Kinder in NRW in Quarantäne», erklärt Kahlen. Tatsächlich befanden sich nach Angaben des Schulministeriums von Montag befanden sich in NRW mit Stichtag 26. August 30.018 Schüler und Schülerinnen in Quarantäne. Bei 6.561 Schülern wurde eine Corona-Infektion bestätigt.
Kahlen: «Angesichts dieser vorhersehbaren Entwicklung hat sich die Landesregierung entschieden, beim Schutz der Jüngsten den Elternwillen zu ignorieren. Sie kapituliert beim Generationenvertrag von Alt und Jung und diskutiert die Abschaffung der letzten Schutzmaßnahmen in Schulen: In den letzten sieben Tagen hat Ministerin Gebauer Bestrebungen befeuert, Quarantänezeiten zu reduzieren, und die Maskenpflicht in Schulen in Frage gestellt. Programme für mobile Raumluftfilter sind aufgrund der Bedingungen fast nutzlos.» Sein Fazit: «Die Landesregierung gibt damit die Kinder der Durchseuchung preis.» News4teachers / mit Material der dpa