FRANKFURT/MAIN. Wer ist stärker belastet – Gymnasiallehrkräfte oder Grundschullehrkräfte? Dass der seit Langem schwelende Streit nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Reputation ist, sondern konkrete finanzielle Auswirkungen mit sich bringt, verdeutlicht die Debatte um „A13 für alle“: Sollen Lehrerinnen und Lehrer auf gleicher Grundlage bezahlt werden? Oder gibt es einen Unterschied zwischen der pädagogischen Arbeit am Gymnasium und an der Grundschule, der das in immer noch vielen Bundesländern bestehende Gefälle (zulasten der Primarstufe) begründet? Eine Arbeitsbelastungsstudie im Auftrag der GEW bringt nun Licht ins Dunkel.
„Im schulischen Alltag bewältigen Grundschullehrkräfte auffallend hohe Anforderungen und Belastungen, vor allem mit Blick auf ihr Wissen und Können sowie auf psychosoziale Herausforderungen. Die Arbeit der Lehrkräfte an Grundschulen wird oft unterbrochen, deshalb müssen sie hoch konzentriert arbeiten“, sagt Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied für Frauenpolitik.
Sie beruft sich dabei auf die Ergebnisse einer repräsentativen arbeitswissenschaftlichen Studie zur Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze an allgemeinbildenden Schulen, die die GEW in Auftrag gegeben hatte. Grundschullehrkräfte arbeiteten häufig in Teams, so Gützkow, benötigten stets viel Einfühlungsvermögen und bewältigten in erheblichem Maße belastende psychosoziale Anforderungen.
„Tätigkeiten von Lehrkräften können unter verschiedenen Gesichtspunkten beurteilt und bewertet werden”
Ebenfalls stark belastet seien die Lehrkräfte an Schulen, die alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse vergeben. „Außer hohen psychosozialen Belastungen fallen bei ihnen vor allem die Anforderungen an ihre Verantwortung für die Jugendlichen an der Schwelle zu Ausbildung und Beruf ins Gewicht“, erklärt die Gewerkschafterin mit Blick auf die repräsentative Untersuchung, für die 15.000 GEW-Mitglieder befragt worden waren.
Tatsächlich stellen die Forscherinnen und Forscher des Instituts für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES Berlin) fest, dass Lehrkräfte – je nach Schulform – unterschiedlich belastet sind. Dabei spielt allerdings eine Rolle, welche Belastungsfaktoren betrachtet werden.
„Tätigkeiten von Lehrkräften können unter verschiedenen Gesichtspunkten beurteilt und bewertet werden, mit jeweils unterschiedlichem Ergebnis“, so heißt es in der Studie. Der Gesamtindex zur Arbeitsbewertung, den die Forscherinnen und Forscher verwendet haben, umfasst deshalb vier Dimensionen: „Wissen und Können“ (1), „Psychosoziale Anforderungen“ (2), „Anforderungen an Verantwortung“ (3) und „Physische Anforderungen“ (4). Mittelwertvergleiche nach einzelnen Merkmalen sowie multivariate Regressionsanalysen hätten sowohl Unterschiede zwischen Lehrkräftegruppen untersucht als auch den Effekt verschiedener Faktoren wie Arbeitszeit, Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand gemessen.
Und? „Die Ergebnisse der Analysen belegen unterschiedliche Anforderungen und Belastungen für verschiedene Gruppen von Lehrkräften. Auf der einen Seite weisen Vollzeitlehrkräfte an Gymnasien und solche mit überwiegender Tätigkeit in der Sekundarstufe II die höchste tatsächliche Gesamtarbeitszeit auf. Sie benötigen insbesondere mehr Arbeitszeit für Korrekturen, aber auch für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts und sonstige schulische Tätigkeiten im Vergleich zu Lehrer:innen der Sekundarstufe I und in stärkerem Ausmaß zu Lehrkräften der Primarstufe. Auf der anderen Seite sind Anforderungen und Belastungen, gemessen am Index zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Tätigkeiten, bei Grundschullehrkräften und solchen mit Tätigkeit an Schulen, die den Haupt- und mittleren Schulabschluss vergeben, am höchsten.“
Anders ausgedrückt: Mit einem Fokus auf die Arbeitszeit seien vor allem gymnasiale Lehrkräfte und solche mit überwiegender Tätigkeit in der Sekundarstufe II verstärkt gefordert. „Werden hingegen pädagogische Aspekte und spezifische Facetten von Anforderungen und Belastungen bei der Arbeitsbewertung berücksichtigt, sind vor allem bei Lehrkräften an Schulen, die den Haupt- und mittleren Schulabschluss vergeben, sowie bei Grundschullehrkräften hohe Anforderungen und Belastungen in der Arbeit (Arbeitsbewertung) festzustellen, die mindestens als gleichwertig zu Tätigkeiten von Lehrkräften der Sekundarstufe II zu beurteilen sind.“
„Eine schlechtere Bezahlung der Lehrkräfte der Primarstufe ist aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unverständlich“
Bei Differenzierung nach Schulstufen anstelle von Schulformen seien leichte, aber statistisch signifikant höhere Anforderungen und Belastungen bei Lehrkräften der Primarstufe gegenüber Lehrkräften der Sekundarstufe I und vergleichsweise deutlichere Unterschiede zu Lehrkräften der Sekundarstufe II festzustellen. „Auch Lehrkräfte der Sekundarstufe I dokumentieren in leichtem Ausmaß höhere Anforderungen und Belastungen als Lehrer:innen, die überwiegend in der Sekundarstufe II tätig sind. Das Ergebnis der Grundschullehrkräfte geht im Wesentlichen auf höhere Werte in den Dimensionen „Wissen und Können“ (1) und „Psychosoziale Anforderungen“ (2) des Gesamtindexes zurück.“
Neben der Art der Schulform hätten noch weitere Faktoren statistisch signifikante Einflüsse auf den Index für Anforderungen und Belastungen. Mit steigender tatsächlicher Arbeitszeit, mit schlechterem Gesundheitszustand und niedrigerer Arbeitszufriedenheit stiegen Anforderungen und Belastungen. Unter den soziodemografischen Faktoren spielten Alter und Geschlecht eine Rolle.
Fazit der Forscher: „Eine schlechtere Bezahlung der Lehrkräfte der Primarstufe und teilweise auch einzelner Lehrämter der Sekundarstufe I ist vor diesem Hintergrund aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unverständlich.“ News4teachers
Hier geht es zu der Studie des INES Berlin.
