„Echtes Erleben ist eine wichtige Lernerfahrung“: Montessori Verband veranstaltet Fachtag

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KÖLN. Um die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im 21. Jahrhundert ging es beim diesjährigen Montessori Fachtag, der nun (im Rahmen der Bildungsmesse didacta) in Köln stattfand. Eingeladen waren per Live-Zuschaltung drei erfahrende Referentinnen aus Indien, Irland und Schweden, die einmal mehr deutlich machten, wie global die Montessori-Pädagogik aufgestellt ist. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Verband Montessori Deutschland.  

„Ich kann das schon alleine!“ Die Montessori-Pädagogik setzt bei den Kleinen an. Foto: Montessori Verband

Über 100 Jahre ist es her, seit die italienische Ärztin Maria Montessori begann, ihre Erfahrungen und Beobachtungen aus ihrer Arbeit mit Kindern weltweit an Pädagogen und Pädagoginnen weiterzugeben. Ihr Erbe verwaltet heute der Weltverband Association Montessori Internationale (AMI), dem auch Montessori Deutschland angehört. Entsprechend international war die Ausrichtung des Fachtags. „Wir wollten daran erinnern, dass Montessori keine deutsche Angelegenheit, sondern eine globale Bildungsbewegung ist“, erklärt Mitorganisatorin Nina Villwock. „Mit Rukmini Ramachandran, Micaela Kuh und Jenny Marie Höglund konnten wir international anerkannten Montessori Trainerinnen eine große Bühne geben – für mich persönlich der Höhepunkt der didacta“, so die Montessori-Pädagogin und Schulträgerin weiter, die sich ehrenamtlich im Vorstand von Montessori Deutschland engagiert.

Die Quintessenz der Rednerinnen: Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen haben sich nicht verändert. Wohl aber deren Lebensumstände. Die zunehmende Digitalisierung ist zum Beispiel eines der Themen, mit denen sich Familien und Pädagog*innen im Alltag auseinandersetzen müssen und auch auf dem Fachtag diskutiert wurde. „Wie würde Maria Montessori mit den technischen Veränderungen heute umgehen und wie würde sie Technik in die klassische ‚vorbereitete‘ Montessori-Umgebung integrieren?“, lautete daher eine Frage an die Referentinnen.

Nienhuis Montessori

Maria Montessori. Foto: Nienhuis Montessori

Kennen Sie Albert Nienhuis? Der niederländische Zimmermann stellte in enger Zusammenarbeit mit Maria Montessori Lernmittel her, die ihrer pädagogischen Vision entsprachen. 1929 gründete er Nienhuis Montessori, den weltweit führenden Anbieter von Montessori-Materialien.

Seit über 85 Jahren vereint das Unternehmen Handwerkskunst mit technischer Finesse. Die Produktwelt von Nienhuis Montessori ermöglicht es Kindern heute so gut wie zu Albert Nienhuis Zeiten, ihre Welt eigenständig zu erkunden. Wir nutzen nur beste Materialien, verarbeitet mit Sorgfalt, Hingabe, dem Blick fürs Detail – und einer tiefen Verbundenheit mit der Pädagogik Maria Montessoris. Seit Jahrzehnten bereits ist Nienhuis Montessori offiziell von der Association Montessori Internationale anerkannt.

Hier bekommen Sie weitere Informationen über Nienhuis Montessori.

„Maria Montessori war Wissenschaftlerin und technologischen Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen“, sagt Nina Villwock. „Aber: Technik soll dem Menschen nutzen und ihn nicht versklaven, lautete Montessoris Credo schon damals. Wir sollten uns also von der Technik nicht abhängig machen und vor allem nicht die Bedürfnisse der Kinder vergessen“, so die geschäftsführende Gesellschafterin der Freien Montessori Schule Main-Kinzig-Kreis weiter.

Das Kita-Alter: Technik darf Bedürfnissen nicht im Weg stehen

Als Expertin für die Altersgruppen 0-3 sowie 3-6 Jahre erinnerte Rukmini Ramachandran daher an die universalen, menschlichen Grundbedürfnisse von Kindern in der ersten Entwicklungsphase. Kinder in diesem Alter bräuchten unter anderem Sicherheit, Zuwendung und Nähe. Sie wollen sich ausprobieren und verbunden fühlen und entwickeln ihre Sprache, so die Direktorin am Ausbildungszentrum der Navadisha Montessori Foundation in Chennai, Indien. Im Umgang mit Technologie sollten wir Erwachsenen in dieser Entwicklungsphase nicht vergessen, dass wir Vorbilder sind, die die Kinder imitieren. Wenn unser Blick also morgens als erstes aufs Handy geht, so Ramachandran, müssen wir uns dieser Tatsache bewusst sein. Des Weiteren sollten sowohl Eltern als auch Pädagog*inen sich immer wieder klarmachen, dass sich sprachliche Fähigkeiten nur entwickeln können, wenn wir auch viel mit den Kindern sprechen.

Solche „echten Erfahrungen“ ganz nach Maria Montessoris Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“ bilden die Grundlage der Montessori-Pädagogik. Sie fundieren auf dem Bedürfnis nach Selbstständigkeit. Nicht umsonst ist der Satz „Ich kann das schon alleine!“ in dieser Altersklasse so oft zu hören. Viele Eltern machten sich Sorgen, wenn die Kinder im Kita-Alter noch nicht rechnen können, berichtete Ramanchandran. Aber sich machten sich keine Sorgen, wenn sich die Kinder noch keinen Tee kochen könnten. Dabei seien solche alltäglichen Dinge doch eigentlich wirklich wichtig im Leben. Hinzu komme, dass Bewegung und Gehirn in der heutigen Zeit oft voneinander separiert würden, sagte die Montessori-Expertin. Wie wichtig das Zusammenspiel sei, sehe man beispielsweise bei Spitzensportlern wie Tennis-Star Roger Federer. Wäre er nicht in der Lage, seine Gedanken und Bewegungen so gut aufeinander abzustimmen und zu kombinieren, könnte er folglich auch nicht so gut Tennis spielen.

Pädagogik braucht Bewegung

Zahlreiche Studien haben den Zusammenhang zwischen Bewegung und Gehirnaktivität beziehungsweise kognitiver Leistungsfähigkeit inzwischen bestätigt und finden beispielsweise in Konzepten wie „Bewegte Schule“ Eingang. In der Montessori-Pädagogik war die Verknüpfung von Erfahrungen – und damit sind auch Bewegungserfahrungen gemeint – schon immer ein wichtiger Bestandteil. Die speziellen Montessori-Materialien helfen deshalb insbesondere in der ersten Entwicklungsphase bestimmte Bewegungsabläufe wie zum Beispiel den Dreifingergriff, um die Feinmotorik der Kinder zu unterstützen.

„Wir stellen immer wieder fest, dass noch viel Wissen darüber fehlt, was Kinder in diesem Alter brauchen, um sich gut und selbstständig entwickeln zu können. Montessori hat hier viel beizutragen und zu erzählen“, ist Nina Villwock überzeugt, zu deren Grund- und Sekundarschule auch ein Kinderhaus gehört.

Grundschule als „Mind Temple“

Auch im Grundschulalter und der frühen Jugend bleiben die echten Erfahrungen Grundbestandteil der Montessori-Pädagogik. Die Interessen und Bedürfnisse verändern sich allerdings im Alter zwischen 6 und 12 Jahren. Buchstaben, Zahlen und Hintergrundwissen werden interessant. Micaela Kuh, Leiterin des Children’s House Primary Montessori School, einer Schule für Kinder bis 12 Jahren in Irlands Hauptstadt Dublin, machte beim Fachtag noch einmal deutlich: Im 21. Jahrhundert sind die Bedürfnisse der Kinder auch in dieser Altersgruppe unverändert geblieben.

Sie hätten große Lust am Lernen und wollten viel Weltwissen aufnehmen. „Wie ist die Erde entstanden und wie ist der Mensch auf die Erde gekommen, wie kann man große Zahlen miteinander multiplizieren, wie funktioniert das E-Auto oder ein Computer?“, sind zum Beispiel Fragen, die Kinder ab 6 Jahren beschäftigen. Das Bedürfnis nach Wissen beziehe sich lediglich auf veränderte Inhalte, die auch kulturell unterschiedlich seien.

Auch hier kommt wieder das Thema Technik ins Spiel. Robotik-AGs und Computer zum selbstständigen Recherchieren sind deshalb auch an Montessori-Schulen zu finden. Allerdings finden die Grundlagen der Montessori-Pädagogik auch hier Anwendung: Es steht immer nur ein Material zur Verfügung, also zum Beispiel ein feststehender Rechner mit Internetzugang zum Recherchieren oder ein Tablet zum Programmieren, damit Kinder miteinander kooperieren und sich absprechen lernen.

Micaela Kuh setzt an ihrer Schule darüber hinaus Montessori-Material ein, durch das Kinder in verschiedenen Zahlensystemen rechnen lernen – vom Dezimalsystem bis zum binären System, was wiederum schnell zum ersten Programmieren führt. Die Montessori-Umgebung mache den Klassenraum zu einem „Mind Temple“, in dem ganz viel Wissen steckt.

Technik im Klassenraum muss Sinn machen

„Wenn im Montessori-Klassenraum Technik eingesetzt wird, dann, weil sie gegenüber analogen Möglichkeiten Vorteile hat oder aber andere Erfahrungen ermöglicht“, ergänzt Nina Villwock. Einen Brief an die Großeltern würden die Grundschulkinder immer noch gerne mit der Hand schreiben, was nebenbei die Motorik schule. Die Öffnungszeiten der Bücherei ließen sich schnell im Internet finden und per E-Mail oder Videochat könnten die Kinder Kontakt zur Partnerschule aufnehmen.

Die Kinder an der Dubliner Grundschule treffen sich beispielsweise regelmäßig per Videokonferenz mit Kindern aus anderen Ländern, erzählt Micaela Kuh. Und auch die Schüler*innen im Main-Kinzig Kreis haben sich bereits mit Gleichaltrigen aus Berlin online ausgetauscht.

Weniger sinnvoll, da sind sich die Montessori-Expertinnen einig, sei es, mit der Freundin aus der Klasse zu chatten – es sei denn es gibt wie während der pandemiebedingten Lockdowns keine andere Möglichkeit, sich zu treffen. „Das echte Erleben, Konflikte von Angesicht zu Angesicht zu lösen, ist gerade für die Jüngeren eine wichtige Lernerfahrung und erfüllt ihr zunehmendes Bedürfnis nach Gemeinschaft“, erklärt Villwock. Sie beobachte allerdings, dass Kindern immer weniger zugetraut wird, auch einmal selbständig ohne die Begleitung Erwachsener rauszugehen. Das sei zum einen sicherlich der enormen Zunahme des Straßenverkehrs geschuldet. Andererseits sei vielleicht auch ein Stück Intuition verlorengegangen. „Wir müssen es schaffen, wieder eine Balance von Wissen und Intuition herzustellen“, sagt sie. „Als Erwachsene könnten wir uns dabei an einem bewährten Montessori-Prinzip orientieren: Zurücktreten, wertneutral beobachten und schauen, was das Kind gerade braucht.“

Jugendliche brauchen ihre „Community“

Im jugendlichen Alter wächst das Bedürfnis nach Gemeinschaft weiter. Sie brauchen darüber hinaus Erfahrungen, die sie auf das eigenständige Leben vorbereiten und Einblicke in die Berufswelt. Jenny Marie Höglund, Leiterin des Montessori Center for Work and Study im schwedischen Rydet, beschäftigt sich mit der Altersgruppe der 12- bis 16-Jährigen und weiß, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Heranwachsenden zu verstehen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Für Jugendliche sei es wichtig zu erfahren, wie Gesellschaft funktioniert. Es gehe darum, vielfältige Aspekte von sozialen Beziehungen sowie die eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen und ihren Platz innerhalb einer Gemeinschaft zu finden, so Höglund. Gerade jetzt, nach den Einschränkungen der Pandemie, seien Erwachsene in der Verantwortung, gemeinsame Erlebnisse und Begegnung wieder möglich zu machen.

Je älter die Schüler*innen werden, desto mehr stünden akademische Aspekte im Fokus und die Nutzung von Technik könne in einem sinnvollen Rahmen zunehmen. Vorzugsweise allerdings, um echte Erfahrungen mit Menschen machen zu können. „Wenn wir Jugendliche nur übers Handy kommunizieren lassen, dann lernen sie nicht miteinander zu kommunizieren“, meint auch Nina Villwock. „Wir können ein Kleinkind auch nicht den ganzen Tag herumtragen, denn dann wird es nicht laufen lernen.“ Es gehe aber um noch mehr: „Jugendliche müssen Verantwortung lernen und das ist in einem abstrakten Raum nicht möglich.“

Im Montessori Center for Work and Study entwickeln die Teenager ihr Verantwortungsbewusstsein deshalb ganz praktisch, indem sie zum Beispiel gemeinsam kochen. Wer vergisst, eine Zutat mitzubringen, spürt die Konsequenzen wortwörtlich am eigenen Leib, und wer beim Abwasch nicht hilft, wird in der Gruppe auf wenig Gegenliebe stoßen.

In Deutschland gibt es bislang nicht genügend konsequent auf das Jugendlichenalter weiter führende Montessori-Schulen, oftmals fehlen angemessene vorbereitete Umgebungen für die ab 12-Jährigen. „Es gibt zurzeit große Bestrebungen in unserem Verband, die Ideen, die Montessori für die Jugendlichen entwickelt hat, umzusetzen“, sagt Nina Villwock. Helfen sollen dabei die Erkenntnisse der soeben im Beltz Verlag unter dem Titel „Man lernt Sachen, die man wirklich braucht.“ erschienene Absolventenstudie, an der Montessori Deutschland beteiligt war. „Wir bekommen auf diese Weise von ehemaligen Schülern zurückgespiegelt, was in ihrer Montessori-Schullaufbahn gut war und woran wir weiter arbeiten sollten“, so Villwock. Dass die Montessori-Pädagogik Kindern und Jugendlichen auf jeden Fall weiterhin viel zu bieten hat, fasst die Bildungsinnovatorin Margret Rasfeld in ihrem Vorwort zur Studie so zusammen: „Die Pädagogik von Maria Montessori ist vor dem Hintergrund der ökologischen, der sozialen und der Sinnkrisen hochaktuell.“ Sonja Mankowsky, Agentur für Bildungsjournalismus

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Alx
1 Jahr zuvor

Ich würde ja gerne mal in einer Montessorischule reinschnuppern. Das hört sich ja alles theoretisch super an. Mind Temple.

Bisher habe ich nur Kinder unterrichtet, die von Montessorischulen auf die Regelschule gewechselt sind weil es dort nicht „gepasst“
hätte. Ich habe dann in einem einfachen Klassenzimmer mit ihnen gearbeitet und sehr positive Rückmeldungen erhalten.

Christina
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alx

An den meisten Montessorischulen kann man hospitieren. Das funktioniert zum Beispiel gut, wenn im eigenen Bundesland Ferien sind, in einem anderen aber nicht. Die Landesverbände oder Montessori Deutschland geben sicher gerne Auskunft, welche Schule der eigenen Region dafür gut geeignet ist. Nicht alle Schulen/ Lehrer arbeiten gleich, nicht an allen Tagen läuft es gleich gut. Das muss man bei einer Hospitation immer im Hinterkopf behalten. Ansonsten gibt es noch Tage der offenen Tür u.ä. Eine gute Montessorischule ist i.d.R. auch nach außen gut vernetzt. Und es hilft, wenn man unvoreingenommen an die Sache herangeht. 😉

https://www.montessori-deutschland.de/ueber-uns/mitgliedsorganisationen/

Sonja
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alx

So ist es eben ganz unterschiedlich. Ich kann über genau das Gegenteil berichten. Kinder die von der Regelschule oft schon nach wenigen Monaten oder nach dem ersten Jahr zu uns in die LernART Montessorischule gewechselt haben. Manche sind nach wenigen Tagen ganz andere Kinder gewesen und manchen brauche ein paar wenige Wochen um wieder neues Vertrauen in das eigene Können und Lernen, aber auch in uns Pädagogen zu haben.
Schön finde ich, dass sich immer wieder Menschen bei uns zur Hospitation anmelden.