BERLIN. Das Gutachten der sogenannten Sachverständigenkommission des Bundes – eines politisch besetzten Gremiums, das zusätzlich zum ExpertInnenrat der Bundesregierung eingesetzt worden war – war mit Spannung erwartet worden, weil die FDP ihre Zustimmung zu Corona-Schutzmaßnahmen auch in Schulen daran knüpft. Jetzt liegt es vor. Und: Die Ergebnisse sind dünn und für den Bildungsbereich faktisch wertlos. Was zu erwarten war.
„Die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen“, heißt es in dem Bericht des Sachverständigenausschusses, „auch, weil im schulischen Bereich eine Reihe von Maßnahmen gleichzeitig eingesetzt wurden und damit der Effekt von Einzelmaßnahmen nicht evaluiert werden kann. Die deutlichen wissenschaftlichen Beobachtungen und Studien zu nicht-intendierten Wirkungen sind wiederum nicht von der Hand zu weisen. Da Kinder durch Schulschließungen besonders betroffen sind, sollte eine Expertenkommission die nicht-intendierten Auswirkungen dieser Maßnahme unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls genauer evaluieren.” Nichts Genaues weiß man also nicht.
Statistiker des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, über deren Studie News4teachers berichtet hat, wurden (unter Einbeziehung internationaler Daten) unlängst konkreter: Schulschließungen senkten die Reproduktionszahl – den sogenannten R-Wert –, also die Anzahl an Menschen, die eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt, um 0,24 und stellten (nach Informationskampagnen) die effektivste nicht-pharmazeutische Maßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie dar, wirksamer als Tests, Kontaktnachverfolgungen und die Absage öffentlicher Veranstaltungen.
Die KMK hat keinerlei Stichproben in Auftrag gegeben, um die Wirkung von Schutzmaßnahmen in Schulen zu untersuchen
Auch beim Thema Maskenpflicht sind die Erkenntnisse der Sachverständigenkommission banal: „Die Kombination von epidemiologischen Erkenntnissen und tierexperimenteller Bestätigung lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Tragen von Masken ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung sein kann”, so heißt es in dem Bericht. Entscheidend sei aber, dass Masken richtig getragen würden – und das müsse in der Öffentlichkeit viel deutlicher betont werden als bisher geschehen. „Eine schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske hat jedoch einen verminderten bis keinen Effekt.“ Ob die Schutzwirkung von FFP2-Masken gegenüber medizinischen Masken (OP-Masken) wirklich besser sei, könne man nicht sagen.
Kritisiert wird von dem Gremium vor allem die dürftige Datenlage. „Während in anderen Ländern Möglichkeiten zur Einschätzung der Wirkung von nicht-pharmazeutischen Maßnahmen genutzt wurden, ist eine koordinierte Begleitforschung während der Corona-Pandemie in Deutschland weitgehend unterblieben“, so heißt es in dem Bericht. Es gebe keinerlei Forschungskonzept, „um (…) auf Grundlage besserer Daten und darauf aufbauender Analysen die anstehenden Entscheidungen in der Pandemie zu fällen“. Zudem habe die Politik keine der bereits geplanten oder laufenden Studien „zur Lösung der brennendsten Bekämpfungsfragen auf nationaler Ebene angestrengt“. So gebe es keine gemeinsam koordinierten Forschungsinitiativen. Das Angebot der Gesetzlichen Krankenkassen, „ihre enormen Datenbestände“ zur Verfügung zu stellen, habe zudem niemand angenommen.
Tatsächlich wurden niemals von staatlicher Seite Analysen darüber angestellt, welche Berufe besonders hohen Infektionsrisiken ausgesetzt sind – Kita-Fachkräfte und Lehrkräfte zum Beispiel. Auch hat die Kultusministerkonferenz keinerlei Stichproben in Auftrag gegeben, um die Wirkung von Schutzmaßnahmen in Schulen zu untersuchen. Infektionszahlen von Schülern und Lehrkräften, die auf den unvollständigen Angaben der Gesundheitsämter beruhten, wurden von der KMK erst ab Dezember 2020 (auf öffentlichen Druck hin) veröffentlicht.
Nach Einschätzung der Autorinnen und Autoren hat der Abschlussbericht deshalb nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Es fehlten Daten und eine fachübergreifende begleitende Forschung, um die Wirkung einzelner Regelungen genau untersuchen zu können, schreiben sie. Außerdem habe die Kommission zu wenig Zeit gehabt und zu wenig Personal bekommen, um eine „umfassende Evaluierung“ vornehmen zu können.
Die Sachverständigenkommission war auch aufgrund der Besetzung kritisiert worden – so vom Chef-Virologen der Berliner Charité, Prof. Christian Drosten, der deshalb das Gremium verließ. Gegenüber dem „Spiegel“ erklärte er: „Einer der Hauptgründe, warum ich gegangen bin, war, dass die Aufgabe mit dem Personenkreis dort nicht zu schaffen war. Wenn man das wissenschaftlich ernsthaft machen will, braucht man Leute, die die Literatursuche übernehmen, beim Schreiben helfen, zusätzliche wissenschaftliche Expertise einbringen. Die Epidemiologie zum Beispiel war gar nicht vertreten. Die Kommission ist politisch und nicht nach wissenschaftlichen Kriterien zusammengesetzt.“ Die meisten der Kommissionsmitglieder sind Juristen.
“Bild” titelt schon: “Viele Maßnahmen hatten kaum Wirkung – Corona-Klatsche für ‘Team Vorsicht'”
Externe Hilfe einzubeziehen, sei abgelehnt worden, so Drosten. „Mir wurde gesagt, das ginge nicht, weil nur persönlich Berufene mitarbeiten könnten. Später lese ich dann in der »Süddeutschen Zeitung«, dass mein Kollege Hendrik Streeck bestätigt hat, dass nicht namentlich erwähnte, externe Experten an dem neuen Text mitgewirkt haben, der nach meinem Rückzug entstanden war. Da fühle ich mich schon etwas verschaukelt. Hinzu kommt: Es sollte schon transparent gemacht werden, welche Experten hier konkret ins Boot geholt wurden.“
Für Drosten rückte auf Vorschlag der Union der Virologe und freie Berater Prof. Klaus Stöhr in die Sachverständigenkommission nach, ein Kritiker jeglicher Schutzmaßnahmen und „Bild“-Kolumnist. Dem Boulevard-Medium lagen die Ergebnisse des Gutachtens auch schon vor Veröffentlichung vor. Und es interpretiert die Ergebnisse bereits eigenwillig – Titelzeile: “Viele Maßnahmen hatten kaum Wirkung – Corona-Klatsche für ‘Team Vorsicht'”. News4teachers
Hier geht es zum vollständigen Bericht des Sachverständigenausschusses.
Stark-Watzinger: Schulschließungen (die Tausende Menschenleben gerettet haben) „waren ein Fehler“
