Unicef mahnt Politiker: Nicht nur Verzicht auf Schulschließungen versprechen – sondern auch etwas dafür tun!

7

BERLIN. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef Deutschland appelliert an die Politik, das versprochene Offenhalten der Schulen in einer möglichen Corona-Herbstwelle jetzt vorzubereiten. «Bund und Länder haben zwar versichert, Schulen und Kitas offen zu halten, doch es kommt jetzt darauf an, rechtzeitig alles dafür zu tun, dieses Versprechen auch einhalten zu können», erklärte der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Georg Graf Waldersee. Es seien Investitionen in die bauliche, digitale und personelle Ausstattung der Einrichtungen nötig.

Tun die Kultusminister genug, um die Kitas und Schulen bei einem Aufflammen der Pandemie offenhalten zu können? Zweifel sind erlaubt. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

«Für viele Schülerinnen und Schüler beginnt jetzt das vierte Schuljahr unter Pandemiebedingungen, viele jüngere Kinder kennen bisher nur einen Schulalltag im Ausnahmezustand», so Graf Waldersee. Deutschland muss nach seiner Einschätzung ringend eine langfristige Strategie entwickeln, um die negativen Auswirkungen der Pandemie und künftiger Krisensituationen für Kinder und Jugendliche zu minimieren. Dabei sollen auch die Anstrengungen zum Schutz und zur Förderung der psychischen Gesundheit von Heranwachsenden gestärkt werden.

Der Fachkräftemangel im Kita und Grundschulbereich sowie der Lehrermangel könnten zu Kita- und Schulschließungen führen

Seit März 2020 wurden Kitas und Schulen in Deutschland zumindest teilweise 38 Wochen geschlossen, so rechnet Unicef vor – länger als beispielsweise in Frankreich (12 Wochen) oder Spanien (15). Das Aussetzen des Präsenzunterrichts, aber auch lange Phasen häuslicher Quarantäne bedeuteten erhebliche Belastungen für die Familien. Untersuchungen belegten, dass sie bei Kindern Empfindungen wie Angst und Einsamkeit verstärkt hätten – vielfach mit negativen Auswirkungen auf ihr Sozial- oder Schlafverhalten sowie ihr psychisches Wohlbefinden. Aber auch die während der Pandemie zunehmend hohe psychische Belastung vieler Eltern und familiäre Spannungen beeinträchtigen die Entwicklung von Kindern.

In den kommenden Monaten drohen jedoch laut Unicef unter Umständen erneute Kita und Schulschließungen. Der Expertenrat der Bundesregierung gehe von einer weiteren Welle mit vielen CoronaInfektionen aus. Vor allem jüngere Kinder und ihre Eltern würden demnach belastet sein. Auch der Fachkräftemangel im Kita und Grundschulbereich sowie der Lehrkräftemangel könnte laut UN-Kinderhilfswerk, bedingt durch die Erkrankung von Fachkräften und Lehrern, zu erneuten Schließungen von Kitagruppen und Schulen führen. Unicef befürchtet, dass Kinder und Jugendliche mit ihren Bedarfen und Rechten bei einer weiteren Infektionswelle erneut zu wenig berücksichtigt werden könnten.

«In mehr als zwei Jahren Pandemie wurden die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zu wenig gehört»

Die Schließungen von Schulen und Kitas müssen deshalb aus Sicht von Unicef (in Deutschland wie weltweit) vermieden und die psychischen Folgen der Pandemie und weiterer Krisen dringend stärker adressiert werden. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung mit den Bundesländern eine langfristige Strategie entwickeln und umsetzen, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen robuster abzusichern. «In mehr als zwei Jahren Pandemie wurden die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zu wenig gehört und immer wieder hintangestellt. Dies zeigt, dass die Rechte von Kindern in Deutschland dringend stärker ins Zentrum der Politik gerückt werden müssen. Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist dafür der erste wichtige Schritt», so Georg Graf Waldersee. News4teachers / mit Material der dpa

Hintergrund

Konkrete Empfehlungen des UN-Kinderhilfswerks:

  • «Bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen sollten die Gesundheit und das
    Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen die oberste Priorität für Politik und Gesell-
    schaft sein.
  • Unicef empfiehlt, dass Kitas und Schulen geöffnet bleiben. Vertreter*innen des Bundes
    und der Länder haben zuletzt immer wieder versichert, dass Schließungen im Herbst und
    Winter vermieden werden sollen. Derzeit sehen die Entwürfe zu gesetzlichen Regelungen
    keine Schulschließungen vor. Damit dieses Vorhaben umgesetzt werden kann, müssen
    Vorbereitungen für den Herbst und Winter getroffen werden. Für mögliche Engpässe im
    Gesundheitssystem, beim Lehrpersonal oder beim Infektionsschutz in den Kitas und Schulen muss schon jetzt Vorsorge getroffen werden. Dazu gehört, dass Strategien zum Umgang mit hohen Infektionszahlen für die Planung des Schul und Kitaalltags sowie passende Hygienekonzepte weiterentwickelt und mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf kommuniziert werden. Die digitale, bauliche und personelle Ausstattung der Schulen sollte in einem ersten Schritt konkret überprüft und darauf aufbauend gezielt verbessert werden.

  • Programme wie das auslaufende Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ sollten geprüft und gezielt weiterentwickelt werden. Der Aufholbedarf vieler Kinder und Jugendlicher ist weiterhin hoch. Die Ständige wissenschaftliche Kommission der KMK wies schon im vergangenen Jahr darauf hin, dass die eingesetzten Mittel nicht ausreichen, um die Folgen der Pandemie bei Kindern zu kompensieren. Es bedarf weiterer wirksamer Investitionen, damit Kinder und Jugendliche bei der Verarbeitung der Folgen der Pandemie unterstützt werden.
  • Einige Kinder und Jugendliche sind besonders von den Folgen der Pandemie betroffen und werden bisher zu wenig unterstützt. Dazu gehören z. B. Kinder mit Fluchthintergrund, von Obdachlosigkeit betroffene Kinder oder Kinder, die in einer Einrichtung der Kinder und Jugendhilfe leben. Besonders betroffen sind auch Familien mit Kindern mit Vorerkrankungen oder Behinderungen, für die bei einer Infektion ein besonders hohes gesundheitliches Risiko besteht. Für diese Kinder und mit ihnen müssen auf ihre Bedürfnisse und Lebenslagen ausgerichtete Strategien entwickelt werden, wie die Folgen der Pandemie gelindert werden können.
  • Kinder haben ein Recht auf Bildung von Anfang an, unabhängig vom Bestehen einer Schulpflicht, dem Aufenthaltsstatus und der Länge des Aufenthalts. Vor dem Hintergrund des aktuellen Kriegs in der Ukraine ist es besonders wichtig, Schulen finanziell und personell ausreichend auszustatten. Alle Kinder in Deutschland einschließlich neu aus der Ukraine oder anderen Teilen der Welt ankommender Kinder müssen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können.
  • Die Vorhaben können nur gelingen, wenn alle Betroffenen einbezogen werden. Unicef
    empfiehlt, dass Kinder und Jugendliche als Expert*innen für ihre eigenen Belange anerkannt werden. Konzepte zur Bewältigung der Pandemie werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie unter Einbeziehung von Kindern erstellt und mit ihnen gemeinsam kindgerecht umgesetzt werden.»

Neue Spitze im Luftfilter-Skandal: Länder lassen knapp 80 Prozent der Bundesmittel für mobile Luftfilter in Schulen verfallen

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

7 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Andre Hog
1 Jahr zuvor

Wenn man bedenkt, dass bei einer langfristig angelegten Konzeption zur Sicherstellung des Schulunterrichts bei gleichzeitiger maximaler Anstrengung zur Wahrung der Gesundheit aller an Schule Beteiligten vor satt 2 Jahren einen erheblichen Teil des angerichteten Ungemachs hätte vermieden werden können, dann macht das Herumgehampel, das Lügen, das Ignorieren wissenschaftlicher Prognosen, das Vertuschen von politisch unerwünschten Realitäten einfach fassungslos und wütend.

Man könnte auch sagen „Billlig kauft man immer mehrfach“ , was dazu führt, dass man letztendlich massenhaft mehr Geld ausgibt, weil man am falschen Ende gespart hat und dabei während der gesamten Zeit der „Nutzung“ sich mit einer miesen, unfunktionalen oder unzureichenden Version herumschlagen muss, die Allen alles abverlangt – ohne letztlich gut zu werden.

Dass eine weltweite Pandemie nicht nach ein paar Monaten zuende ist, hat man auch in den KuMis und den daran gekoppelten Behörden prinzipiell gewusst….aber die notwendigen Konsequenzen klar, unmissverständlich, unter Einsatz aller Möglichkeiten zu Bedenken und die Folgen zu bekämpfen … dazu hatte man nicht den Mumm oder den Willen.

Der Scherbenhaufen soll nun von den eigentlichen Leidtragenden dieser Fehlpolitik aufgekehrt werden….die Versntwortlichen sind sich zu fein zum Bücken…ubd brauchen die freien Hände, um Champagnergläser und Häppchen zu halten, während sie sich genüsslich zuprosten.

Last edited 1 Jahr zuvor by Andre Hog
GS in SH
1 Jahr zuvor

Das fordern die GS-Lehrer schon seit vielen Jahren!

Glaubt irgendjemand wirklich, dass es reicht, Strategien zu entwickeln um Schulen offen zu halten, wenn die Infektionszahlen steigen? Wo kein Personal vorhanden ist nützt auch die beste Strategie nichts. Schon jetzt kann doch die Stundentafel an so gut wie keiner GS abgedeckt werden.

Bei uns fehlen langfristig (wahrscheinlich bis Schuljahresende) 42 Lehrerstunden, was – umgerechnet auf 12 Klassen – 3,5 Fehlstunden pro Klasse/Woche ausmacht (rein statistisch). Sollte auch nur einer der Ü60 Vollzeitlehrer ausfallen, erhöht sich das nochmal um mehr als 2 Stunden pro Klasse/Woche.
Das Schulamt hat niemanden, den man uns schicken könnte.
Zusammenlegen von Klassen geht auch nicht, bei 24-27 Kindern pro Klasse. Die Räume sind so schon proppevoll. Und jede Woche kommen auch noch ukrainische Kinder dazu.

Im Moment behelfen wir uns mit einer Pensionärin, die den Deutschunterricht in einer ersten Klasse erteilt (7h), dann haben wir fast alle DaZ Stunden gestrichen und heute hat sich eine Mutter für einige Sportstunden zur Verfügung gestellt. Geld ist da, das Schulamt bezahlt Vertretungskräfte, aber keine Menschen, die eigenverantwortlich unterrichen können! Für Betreuung von Aushilfslehrern haben wir kein Personal!
Für 10 Stunden haben wir noch niemanden gefunden. Und die Pensionärin wird ausfallen, sobald sie einen Termin für eine immer wieder verschobene größere OP bekommt.

Zu glauben, dass es noch bis zum Herbst klappt bauliche Maßnahmen umzusetzen, ist naiv! Würde uns aber auch nicht helfen, es sei denn es wäre eine Lüftungsanlage.

Eigentlich haben wir gerade so die Nase voll von Anforderungen, die wir erfüllen sollen: Förderung, Aufholen, Bildungsgerechtigkeit…..

Mit MUSS uns SOLL ist uns als Schulen so gar nicht geholfen!

Sorry für den Rant, UNICEF kann ja auch nicht dafür!

Last edited 1 Jahr zuvor by GS in SH
Alla
1 Jahr zuvor
Antwortet  GS in SH

Und noch wichtig: Die Lehrerstelle gilt natürlich offiziell als BESETZT, auch wenn sie der Schule PRAKTISCH nicht zur Verfügung steht!

Last edited 1 Jahr zuvor by Alla
TaMu
1 Jahr zuvor

Das Bedürfnis und Interesse der weitaus meisten Kinder und Jugendlichen ist es, zu Hause bei ihren Eltern nicht als Stressfaktor Nummer 1 gesehen zu werden, weil Betreuung außerhalb aus welchem Grund auch immer nicht gewährleistet ist. Genau diese Erfahrung mussten sehr viele Kinder und Jugendliche aber seit Corona machen. Ob UNICEF sich auf dieses Bedürfnis einlassen und die Kinder wirklich vertreten wird?

Alla
1 Jahr zuvor
Antwortet  TaMu

Das ist ein guter Hinweis, TaMu!

In den insgesamt 10 Wochen Notbetreuung hatten wir nur relativ wenige Kinder aus den „systemrelevanten“ Gruppen, ca 20%.
Etwa 50% der Kinder haben wir einbestellt, weil sie zu Hause wenig Unterstützungen hatten (kein Deutsch, prekäre Wohnverhältnisse usw).
Außerdem konnten sich Eltern melden, die mit der Betreuung ihrer Kinder (psychisch) überfordert waren und eine Auszeit brauchten. Wir haben zwar darum gebeten, diese Kinder mit einem Tag Vorlauf anzumelden, um ggf weitere Lehrkräfte an die Schule zu holen und das Mittagessen zu bestellen, aber natürlich wurde kein Kind nach Hause geschickt, das morgens unangemeldet vor der Tür stand! Letztendlich machten diese Gruppe täglich in etwa 30% aus, mal mehr, mal weniger.
Wobei hier die Eltern zumindest zugegeben haben, dass sie ein paar Tage „kinderfrei“ brauchten um eine Eskalation zu verhindern!

Unsere Schulsozialarbeiterin war an fast jedem Tag für mindestens eine Stunde vor Ort, um Kindern eine Ansprechpartnerin zu sein. Das war wohl nicht an jeder Schule der Fall, da hatten unsere Kinder Glück!

Allerdings gab es auch von Seiten einiger Eltern Hilfsangebote! So haben sie tageweise ein weiteres Kind mitbetreut oder coronakonforme Freizeitangebote organisiert, z.B. Schnitzelläufe.

Wenn alle zusammenarbeiten, kann man Leid verhindern oder zumindest reduzieren! Wenn man sich nur auf Vorschriften beruft und auf Hilfe von oben hofft, sind die Kinder die Leidtragenden!

Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Das widerspricht drei ehernen Grundsätzen des deutschen Bildungswesens.

  • Kinder müssen möglichst ganztägig verwahrt werden um die Eltern und deren Arbeitgeber nicht mit ihren Bedürfnissen zu belasten.
  • Schule darf nichts kosten. Mehr als salbungsvolle Worte sind nicht drin.
  • Die Mitglieder der KMK machen nichts was von ihnen selbst Arbeit erfordert oder wofür sie selbst Verantwortung übernehmen müssten.

So, wir können jetzt über alles reden was diese drei Kriterien erfüllt.

Wäre es z.B. eventuell möglich, dass die Lehrer in die Schule ziehen und die nötigen Maßnahmen dann kostenlos in ihrer Freizeit durchführen.
Als AG „Schule als Lebensraum“ könnten die SuS gleich nachmittags mit einbezogen und beaufsichtigt werden bis die Erzeuger irgendwann Zeit für sie haben.

Leseratte
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Doooch, sie tun was. Zum Beispiel solche tollen Prognosen machen:

„Thüringens Bildungsminister Helmut Holter rechnet angesichts Corona, Energiekrise und ukrainischer Flüchtlinge mit einem besonders harten neuen Schuljahr. Holter sagte MDR THÜRINGEN, es ströme eine Komplexität aller Themen auf die Schulen ein, die zu einem Schuljahr führen würden, das Thüringen „bisher nicht gekannt“ habe. Zu ukrainischen Kindern an Thüringens Schulen sagte Holter, dass vor den Sommerferien noch 2.600 eingeschrieben waren, er aber bis 10.000 bis Jahresende für realistisch halte. Um dies bewältigen zu können, brauche Thüringen Lehrerinnen und Lehrer „aus den Herkunftsländern“ wie der Ukraine. Wichtigste Voraussetzung für Fachunterricht seien aber Deutschkenntnisse. Allerdings sollten auch Ukrainer als pädagogische Assistenzkräfte eingestellt werden, die noch kein Deutsch beherrschen, aber die ukrainischen Schüler unterstützen könnten.“

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/index.html

Und was tut unser KuMi, um die Lage zu entschärfen? Nix.