„Nicht alle Blumen blühen im April“: Psychologen untersuchen Beziehungen im Jugendalter

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JENA. Gut ein Fünftel aller Jugendlichen in Deutschland geht erst im Alter von ungefähr 20 Jahren eine erste romantische Beziehung ein. Ob gewollt oder ungewollt: Das Singledasein im Jugendalter ist kein Risiko für den Selbstwert, sagt die Jenaer Psychologin Tita Gonzalez Avilés.

Etwa die Hälfte aller Deutschen hat bis zum 16. Geburtstag eine erste partnerschaftliche Beziehung begonnen und romantische Erfahrungen gesammelt. Doch was ist eigentlich mit der anderen Hälfte, die sich in Liebesdingen mehr Zeit lässt? Leidet das Selbstwertgefühl bei den Jugendlichen, die erst später eine Partnerin oder einen Partner finden? Beeinträchtigt ein späterer Start ins Beziehungsleben möglicherweise sogar die Persönlichkeitsentwicklung? Psychologinnen und Psychologen der Uni Jena haben diese Fragen genauer untersucht. Klare Antwort: Nein, Single sein im Jugendalter ist kein Risiko für einen geringeren Selbstwert.

Händchenhalten
Liebe ist ein großes Thema für junge Menschen. Single zu sein schadet aber anscheinend dem Selbstwertgefühl auch nicht. Foto: Sara Kurfeß/Unsplash.com (U. L.)

„Die erste Beziehung ist ein sehr normatives Ereignis – sie markiert einen Schritt in der Persönlichkeitsentwicklung. Aus wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass Personen, die ihre erste romantische Beziehung eingehen, beispielsweise eine Zunahme in emotionaler Stabilität und im Selbstwertgefühl erleben.“, fasst Tita Gonzalez Avilés von der Universität Jena, die die Studie im Rahmen ihrer Dissertation durchgeführt hat, die Ausgangslage ihre Untersuchungen zusammen. Rund 22 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland blieben allerdings bis zum Alter von 20 Jahren Single Was aber das Ausbleiben oder Verzögern der ersten romantischen Beziehung mit dem Selbstwert macht, darauf gebe es in der Forschung noch keine eindeutigen Erkenntnisse.

„Wir haben nun herausgefunden, dass sich das Selbstwertgefühl nicht verschlechtert, wenn man erst später die erste romantische Beziehung eingeht“, umreißt Gonzalez Avilés. Während der späten Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter Single zu sein und erst später die erste romantische Beziehung zu führen, stelle kein Risiko für das Selbstwertgefühl von Jugendlichen und frühen Erwachsenen dar.

Zufriedenheit ist wichtiger als Beziehung
Für ihre Untersuchungen werteten die Jenaer Forscher Daten von rund 1.400 Personen aus. Die Probandinnen und Probanden hatten bis zum 16. Lebensjahr noch keine Beziehung geführt und wurden im Rahmen der Langzeitstudie „pairfam“ zehn Jahre lang regelmäßig nach ihrem Selbstwert gefragt. Im Schnitt begannen die Mitglieder dieser Kohorte demnach eine erste Beziehung mit 18 Jahren, 108 von ihnen waren sogar zum Befragungsende immer noch Single.

Bei Letzteren sank das Selbstwertgefühl gegen Ende der Zeitspanne durchaus. „Doch wir konnten in unserer Studie zeigen, dass nicht etwa das Vorhandensein einer Beziehung ausschlaggebend für einen positiven Selbstwert ist“, so Gonzalez Avilés, „sondern vielmehr die eigene Zufriedenheit mit dem jeweiligen Beziehungsstatus, egal ob man sich in einer Partnerschaft befindet oder ein glückliches Singleleben führt“.

Ein positiver Anstieg im Selbstwert konnte auch nicht gezeigt werden, als die Probandinnen und Probanden ihre ersten Beziehungen begonnen hatten. Das führt die Expertin darauf zurück, dass im Jugendalter womöglich andere Faktoren wie etwa schulische oder akademische Leistungen oder Freundschaften bedeutsamer für die Selbstwertentwicklung sind als das Eingehen einer romantischen Beziehung.

Für die Psychologin geht von diesem Forschungsergebnis eine positive Botschaft aus: „Ich finde es wichtig, dass sich die jungen Leute in Beziehungsdingen nicht unter Druck gesetzt fühlen. Es ist absolut in Ordnung, länger Single zu sein und sich Zeit zu nehmen.“ Gleichzeitig betont sie, wie wichtig es sei, die Alleinstehenden stärker in den Fokus der Wissenschaft zu nehmen. Singles seien in der Beziehungsforschung lange kaum betrachtet worden, aber nahezu jede Person habe inzwischen Phasen ohne partnerschaftliche Beziehungen. Deshalb sollte man auch diesen Status genauer erforschen. Sie selbst untersucht derzeit, ob Singles heute eine größere Lebenszufriedenheit aufweisen als früher und vergleicht dazu die Erfahrungen drei verschiedener Altersgruppen. (zab, pm)

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4 Kommentare
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447
1 Jahr zuvor

Krasse Zahlen. Stehen in hartem Gegensatz zu dem, was ich so beobachte.
Aber es kann natürlich sein, dass sich in dem Verhaltensbereich sehr schnell sehr viele Dinge jetzt gerade ändern – Gründe gäbe es ja genug von Corona bis „Krisenmodus“ der Gesellschaft. Interessante Zahlen.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

Was ist für Sie an den Zahlen krass?

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Georg

Wenn ich das nicht gerade beim Querlesen völlig falsch verstanden habe: Die daraus abzuleitende, scheinbar sehr geringe…. „Interaktion“… bzw. dass quasi die „Hälfte“ (stark vereinfacht gesagt) nicht einmal in die Knutschzone kommt.

Widerspricht völlig meinen Beobachtungen… aber ich will das garnicht bezweifeln, ich kann mir gut vorstellen, dass der jahrelange Trend zur immer früheren Sexualisierung (Ernährung/Proteinthese, gesellschftl. Entwicklung usw. usf.) z. B. durch zwei Jahre „ABSTANDHALTEN!“ oder auch andere Trends (es gab ’ne zeitlang mal Berichte, dass heutige Jugendliche überraschend konservative Beziehungsmodelle anstreben) einfach im Umbruch sind.
In den letzten Jahren gab es ja von metoo über Corona bis (als kleine Welle) zuletzt Affenpocken viele Themen, wo Jugendliche sich vielleicht denken: „Nö, kB auf Beziehungsanbahnung“, sich unsicher fühlen oder einfach gerade ganz ganz andere Probleme haben als den ersten Freund, Freundin, whatever.

Ron
1 Jahr zuvor

Wenn man nur Zahlen auswertet, kann man eventuell schnell zu Trugschlüssen kommen. Meine These wäre eher, dass fast jeder 16-jährige Teenager gerne eine Beziehung hätte, ein Teil aber z.B. zu schüchtern ist oder optisch nicht über die entsprechenden Qualitäten verfügt. In Folge kommt es dann eben nicht zu einer romantischen Liebelei. Das Selbstwertgefühl ist dadurch aber bereits mit 16 eingetrübt. Dass es bis zum 20 Lebensjahr nicht zu einer weiteren Verschlechterung kommt, ergibt sich aus dem Ausgangswert und der Tatsache, dass viele Jugendlichen mit Ende der Pubertät psychisch stabiler werden und manches auch als einfach gegeben hinnehmen.