„Die Gegenwart der Jugend ist geprägt von Krisen und Katastrophen“

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LEIPZIG. Corona, Klimawandel Krieg in der Ukraine – die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist seit mehreren Jahren von Krisen, Umbrüchen und Krieg geprägt und die Folgen werden die Gesellschaft noch lange beschäftigen. Ein Interview mit der Leipziger Politikwissenschaftlerin Prof. Nina Kolleck.

Jugendliche leben seit zweieinhalb Jahren im Krisenmodus. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Corona, Klimawandel, Krieg in der Ukraine und steigende Inflation in Deutschland, Jugendliche erleben ihr Erwachsenwerden derzeit in einer Art Dauerkrise. Für ihre Studie „Einstellung Jugendlicher zum Krieg in der Ukraine“ hat die Leipziger Politikwissenschaftlerin Nina Kolleck gerade 3.240 junge Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren zu ihren Einstellungen zum Ukraine-Krieg befragt. Im Interview erklärt sie, wie die junge Generation aktuell mit dieser geballten Krisenflut klarkommt und welches Thema Jugendliche derzeit am meisten beschäftigt.

Frau Prof. Kolleck, wie fühlen sich Jugendliche angesichts der zahlreichen Krisen, die wir alle gerade durchleben?

Kolleck: Die Gegenwart der Jugend ist geprägt von Krisen und Katastrophen. Das schlägt sich auch in dem Lebensgefühl der jungen Menschen nieder. In unserer repräsentativen Befragung zeigt sich, dass sich Jugendliche mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen und teils eine klare Meinung dazu haben, wie mit der politischen Situation umgegangen werden soll. Der Großteil der Jugendlichen befürwortet moderate Maßnahmen, die zwar die Ukraine unterstützen sollen, aber auch deutsche, nationale Interessen mitberücksichtigen. Diese jungen Menschen in Deutschland zeigen eigene Sorgen in Bezug auf den Krieg. Einige Jugendliche gehen jedoch weiter und flüchten sich in Verschwörungserzählungen (insgesamt etwa 15 Prozent). Dies trifft vor allem zu auf junge AfD-Wählerinnen und -Wähler mit einem Anteil von 40 Prozent, Jugendliche, die sich als sozial ausgeschlossen betrachten und Personen mit niedrigem Bildungsabschluss.

Welches Krisenthema beschäftigt Jugendliche derzeit am meisten und warum?

Kolleck: Der Ukraine-Krieg dominiert die derzeitigen Sorgen der Jugendlichen. Ängste in Bezug auf die Folgen von Corona, die Klimakrise oder auch die Inflation sind aber weiterhin auf hohem Niveau. Bereits in der Trendstudie “Jugend in Deutschland” von Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann aus diesem Frühjahr hat sich gezeigt, dass der Ukraine-Krieg die Corona-Pandemie als Hauptsorge abgelöst hat. Unsere Studie zeigt, dass dieser Trend bis heute anhält. Die Jugendlichen zeigen in der Befragung ein hohes Maß an Unsicherheit, was sich auf die Beurteilung der Ursachen sowie den „richtigen“ Umgang mit dem Krieg auswirkt. Maßnahmen, die Jugendliche potenziell selbst betreffen – wie die Wiedereinführung der Wehrpflicht – lehnen sie tendenziell ab (51 Prozent).

Welche Strategien entwickeln junge Menschen zur Krisenbewältigung? Unterscheiden sie sich von denen der Erwachsenen?

Kolleck: In Bezug auf den Angriffskrieg in der Ukraine haben Jugendliche in Deutschland unterschiedliche Strategien der Krisenbewältigung. Einerseits zeigen sie sich solidarisch und möchten, dass die Ukraine mit moderaten Maßnahmen unterstützt wird. Andererseits lehnen sie strikte Maßnahmen gegen Russland und russische Bürgerinnen und Bürger ab. Bei einigen ist außerdem ein gewisser Patriotismus erkennbar, der sich in einer verstärkten Wahrung der nationalen Interessen zeigt. Die breite Mehrheit der jungen Menschen identifiziert sich allerdings stark mit der EU: Die Jugendlichen sehen eine große Notwendigkeit eines kollektiven Auftretens Europas, um antidemokratischen Tendenzen entgegentreten zu können.

Können wir von den Jugendlichen diesbezüglich noch etwas lernen?

Kolleck: Die Krisen, Kriege und Katastrophen in der Gegenwart prägen die Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen. Unsere Studie zeigt, dass sich die meisten jungen Menschen differenziert mit ihrer Zukunft auseinandersetzen und unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen. Trotz der großen Unsicherheiten, mit denen die jungen Menschen konfrontiert werden, bewahren die meisten ein klares Bild darüber, dass es verschiedene Interessen und Perspektiven gibt, die bei der Erarbeitung von Lösungen mit berücksichtigt werden müssen. (Interview: Susann Huster)

Medienbildung: mangelhaft! Ein Drittel der Jugendlichen glaubt an Verschwörungstheorien

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Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Hier treffen drei sehr ungünstige Umstände aufeinander.

  1. Eine bisher ungewöhnliche Ansammlung zum Teil selbst verschuldeter Krisen wie Corona, Energieknappheit und Inflation sowie die Auswirkungen der Klimakrise.
  2. Jugendliche die bisher in großen Teilen so sorgenfrei gelebt haben wie noch keine Generation vor ihnen. Größte Sorge, meine Freunde haben aber bessere Handys. Bei uns war es noch, wo kommt das Geld für neue Fußballschuhe her. Unsere Eltern mussten sich noch Gedanken machen, ob es morgen was zu essen gibt. Daher hat die heutige Generation wenig Erfahrung und Neigung zu Solidarität und den damit oft einhergehenden Erschwernissen. Bisher war es doch immer so, dass man einen Wunsch äußerte (man muss den Klimawandel stoppen, sofort – Friday for Future) und schon hat sich jemand darum gekümmert.
  3. Die Aufgabe diese Probleme zu regeln fällt eigentlich der Politik zu. Diese hat durch die unglückliche Abhängigkeit zur Wirtschaft in den letzten Jahren jedoch maßgeblich zum Entstehen der Probleme bei getragen. Gas aus Russland für die Wirtschaft, weglassen von Klimaschutz zum Wohle der Wirtschaft. Das hat sich so verfestigt, dass die Regierung auch jetzt nicht handlungsfähig erscheint. Coronaschutz, Gasumlage, Klimaschutz alles wird noch immer so gedreht, dass es sich an den Renditen und nicht am Gemeinwohl ausrichtet. Da eine der Regierungsparteien die Wirtschaftsnähe und deren Interessen als praktisch einzigen Punkt im Parteiprogramm hat ist hier auch keine Änderung in Sicht. Da sei die FDP vor.

Woher soll die Lösung der Krisen also kommen?
Eine Regierung die nichts tun darf was die Renditen schmälert soll einen ganzen Berg von Krisen meistern, die durch genau diese Politik zu einem großen Teil verursacht wurden.
Dabei ist sie auf die Solidarität einer Bevölkerung angewiesen die in einem immer größeren Maß Solidarität durch Egoismus ersetzt hat.

Da fällt es schon schwer zu sagen „Bleiben Sie zuversichtlich“.

Pit2020
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

@Schattenläufer

Und für alle, die Punkt 3 noch einmal genauer betrachten wollen:
https://www.arte.tv/de/videos/104840-009-A/kann-geld-aus-dem-nichts-entstehen/?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
(knapp 30 Minuten)

Michael
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Ich muss hier widersprechen:

Zu Punkt 2: Jugendliche heute haben Sehrwohl Sorgen. Zwar keine Sorge ob sie morgen verhungern, aber durchaus (oft berechtigte) Sorgen über ihre berufliche Zukunft, über die Schule etc.
Und ganz so dass dass alles Friday for Future Hüpfer sind ist es dann auch nicht.
Dieses Bild der Jugend dass das alles faule Nichtsnütze sind ist ziemlich verfehlt, auch wenn es auf einzelne zutrifft.

PS: Ich bin kein Linker, absolut nicht.

Ich beobachte es sehr kritisch dass die Regierung (echte oder vermeintliche) Krisen immer so hindreht um im Idealfall damit die Einführung einer weiteren Steuer legitimieren zu können.

Schattenläufer
1 Jahr zuvor
Antwortet  Michael

Ich habe nie behauptet, dass unsere Jugend aus faulen Nichtsnutzen besteht!
Wo haben Sie dies in meinem Text gelesen?

Unsere Jugend ist in großen Teilen aber bisher sorgloser aufgewachsen als die Generationen vor ihr. Sie hat daher auch eine höhere Anspruchshaltung.

Sorgen gehören zum erwachsen werden. Selbst die Sorge um die berufliche Zukunft war bei uns größer. Damals gab es 20 Bewerber pro Lehrstelle. Heute suchen die Betriebe Lehrlinge. Die Sorge beschränkt sich heute nur noch auf die richtige Lehrstelle.

Friday for Future finde ich klasse.
Irritiert haben mich nur die Müllberge nach den Veranstaltungen.
Irritiert haben mich auch die Ansichten nach Friday for Future. Viele Jugendliche waren wenig daran interessiert, was sie für die Umwelt und das Klima tun können. Oft wurde die Ansicht vertreten, dass es Aufgabe des Staates ist Energie ohne CO2 zu produzieren und zur Verfügung zu stellen. Selbst weniger Energie zu verbrauchen war oft nicht so in.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor

„Corona, Klimawandel Krieg in der Ukraine – die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist seit mehreren Jahren von Krisen, Umbrüchen und Krieg geprägt und die Folgen werden die Gesellschaft noch lange beschäftigen.“

Was hab ich verpasst?

Seit mehreren Jahren Krieg in der Ukraine?
Seit mehreren Jahren Klimawandel?
Seit mehreren Jahren Corona?

1) nein
2) deutlich länger, interessiert nur niemanden
3) Corona gibt es nicht mehr – Halleluja!

(Liege gerade mit selbiger danieder)

Unsere Jugendlichen haben ganz andere Probleme. Ihnen fehlt die Identität. Ihnen fehlen Berufsaussichten – die Politik macht halt alles unattraktiv, bis es niemand mehr machen will.

Die heutige miese Versorgung mit Bildung sorgt für den Fachkräftemangel von morgen.

Ärzte, Architekten, Erzieher:innen, Ingenieure, Lehrkräfte, Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen … um nur ein paar zu nennen.

Und mal ehrlich – wem sollen sie vertrauen? Den Erwachsenen doch sicher nicht.

Wie soll denn da bitte fröhlich, hoffnungs- und vertrauensvoll und mutig nach vorn (wo soll das sein?) geschaut werden?

Der Schattenläufer hat ganz recht – leider.

Sissi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Vertrauensvoll, war ja schon mal das Thema. Du stellst die richtige Frage:
“ Wie soll denn da bitte fröhlich, hoffnungs- und vertrauensvoll und mutig nach vorn (wo soll das sein?) geschaut werden? “
Wenn die Kids in ihrem kurzen Leben bereits gelernt haben, dass es schaden kann, Erwachsenen zu vertrauen, wie viele Erwachsene brauchts dann, bis sie wieder auf andere zugehen können?

Der Schattenläufer und der Riesenzwerg haben ganz recht – leider.

Das Wichtigste: Da Du wohl an corona und nicht mit Klimawandel darniederliegst : gute Besserung und vollständige Genesung! Kurier Dich aus.

Gabriele
1 Jahr zuvor
Antwortet  Sissi

Wir, d.h. a l l e nach dem 2.Weltkrieg Geborenen, in Deutschland, hatten eigentlich einfach nur ganz unverschämtes, unverdientes Glück!!!

Wir sind alle verwöhnt. Wir dachten, dies sei „normal“, „stehe uns zu“, „sei unser (An)recht“… . Weit gefehlt!
Brutal wurden wir aus unserer Sorglosigkeit gerissen.

Ein Blick zurück in die lange Geschichte zeigt aber, dass das Vorhandensein von großer Not, Kriegen, Krisen, Angst, Tod, Unsichheiten und Gefahren immer der „alltägliche Normalzustand“ (!!!) war.

Für unzählige Generationen, auch in Deutschland, vor uns war der tägliche Überlebenskampf geprägt durch harte Arbeit, Risiken und viele Unsichheiten, also fehlende Gewissheiten, völlig normal.

Sie gehörten immer und gehören (!) einfach zum Leben an sich dazu!!!

Es gibt keine wirkliche Sicherheit. Dies ist schöner Irrglaube.
Auch das Leben selbst hängt ja stets am seidenen Faden.
Wir verdrängen das nur zu allzu gern.

Also hören wir auf Jammern – teilweise auch auf „auf recht hohem Niveau“! Hadern wir nicht weinerlich mit unserem Schicksal!

Reden wir mit unseren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern!
Lesen wir Biographien von Menschen, die im 20.Jahrhundert schlimme Zeiten durchlebt und überlebt haben!

Lernen wir aus ihren wertvollen Lebenserfahrungen und schöpfen wir daraus hoffnungsfrohen, zuversichtlichen Mut!
Sehen wir also der Realität ins Auge, aber nicht in depressiver Schockstarre!

Freuen wir uns an all dem Schönen, das uns – unverdienterweise – zufällt!

Und packen wir die Herausforderungen unseres Schicksals an!

Ganz so wie unzählige Generationen über viele Jahrhunderte, gar Jahrtausende, vor uns!

Pit2020
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

@Riesenzwerg

Ich mach’s mal kurz:
Von Herzen gute Besserung! 🙂

Pit2020
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

@Riesenzwerg

Oh, vergessen: Volle Zustimmung zum Post.

Mary-Ellen
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Gute Besserung, Riesenzwerg! 🙂