STUTTGART. Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg will sich einer Debatte über eine flächendeckende Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium wie etwa in Bayern nicht verschließen. Man habe sich den Volksantrag angeschaut und rechne durch, was das für Konsequenzen habe, sagte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Man sei bisher mit Strukturdebatten in der Bildungspolitik sparsam umgegangen, weil diese immer Unruhen in die Schullandschaft brächten. Die Regierung werde aber das Gespräch mit den Initiatoren suchen.
Kretschmann (Grüne). Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg
Die Elterninitiative «G9 jetzt» hat im November die Sammlung von Unterschriften für einen Volksantrag für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium gestartet. Schopper äußerte nun erhebliche Bedenken: Gymnasien seien im Vergleich der Schulformen bereits sehr gut ausgestattet. Man habe zudem im Land Strukturen angelegt, die das Gymnasium in neun Jahren bereits ermöglichten. Für einen Vollausbau für G9 brauche es zudem 1400 bis 2000 Deputate. Sie könne natürlich eine flächendeckende Rückkehr zu G9 nicht ausschließen, wenn der Volksantrag durchgehe, sagte sie. Aber sie arbeite nicht aktiv dafür.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bezeichnete sich am Dienstag als «entschiedener Gegner der Wiedereinführung von G9», aber auch er werde sich keiner Debatte verweigern. In der Sache gebe es aber ganz wenig schlagende Argumente für eine Rückkehr zu G9.
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz zeigte zwar Verständnis für den Wunsch einer Rückkehr zum Gymnasium in neun Jahren wie etwa in Bayern. «Ich kann auch nachvollziehen, um was es den Initiatoren geht», sagte er zum geplanten Volksantrag. «Weil einfach das auch schon viel Stoff ist, was man so in acht Jahren Gymnasium lernen muss – das kann ich nachvollziehen.» Er sehe, dass da Bewegung da ist, man werde sich mit den Vorschlägen beschäftigen und sich mit Wissenschaftlern beraten.
Dennoch sehe er die Initiative sehr kritisch, sagte Schwarz – weil dafür schlicht das Personal fehle. Eine Umstellung auf G9 würde 1400 Deputate kosten, die man nicht habe, warnte er. «Wir haben in absehbarer Zeit die Lehrer nicht zur Verfügung.» Eine Qualitätsdebatte sei zudem wichtiger als eine Schulstrukturdebatte. Die Lehrer würden gebraucht zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung und der Qualität im Unterricht.
Schwarz betonte weiter, es gebe bereits ein flächendeckendes G9-Angebot in Baden-Württemberg. 280 Schulen im Land eröffneten den Weg, um auch in neun Jahren zum Abitur zu gelangen, etwa an 43 allgemeinbildenden Gymnasien.
«Beides sollte das Land weder von der Finanzierung noch von der Personalseite her vor unlösbare Probleme stellen»
Der Philologenverband Baden-Württemberg bezeichnete Schwarz’ Aussage zum mangelnden Personal als «stark irreführend». Zwar müssten die für die Umsetzung von G9 notwendigen gymnasialen Lehrerstellen tatsächlich von der Landesregierung neu geschaffen werden, teilte der Verband mit. Allerdings würden zusätzliche Stellen und Lehrkräfte erst ab dem dritten Schuljahr nach der G9-Einführung und dann innerhalb von vier Jahren sukzessive notwendig. «Beides sollte das Land weder von der Finanzierung noch von der Personalseite her vor unlösbare Probleme stellen», hieß es.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, warf Schwarz vor herumzueiern. Der Grünen-Fraktionschef nicke gegenüber den Eltern eifrig mit dem Kopf, «aber er macht gleich klar, dass sich gar nichts ändern wird», sagte er laut Mitteilung. Das sei fatal, denn neben dem Wunsch der Menschen nach mehr G9 stünden auch die immer schlechteren Testergebnisse für die Schulbildung im Land. Es brauche endlich klare Ansagen und langfristige Perspektiven. «Dann gäbe es auch eine Perspektive, mehr Lehrkräfte zu gewinnen.»
CDU-Fraktionschef Manuel Hagel erklärte, man halte an der Vereinbarung der grün-schwarzen Koalition fest, in dieser Legislaturperiode keine Schulstrukturdebatte zu führen. «Wir können nicht in jeder Legislatur eine neue Sau durchs Dorf treiben», sagte er. Zudem stehe aktuell die Qualität des Schulsystems im Vordergrund. «Was aber nicht heißt, dass wir diese Frage nicht ergebnisoffen diskutieren können für die Zeit, die vor uns liegt.» News4teachers / mit Material der dpa
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