Fthenakis: Die Digitalisierung zum Anlass nehmen, um das Bildungssystem grundlegend zu verändern – darin liegt die Chance!

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STUTTGART. Auf der bevorstehenden Bildungsmesse didacta in Stuttgart rückt einmal mehr die Digitalisierung der Bildungseinrichtungen in den Fokus. Warum überhaupt? Welche Hoffnungen verbinden sich mit dem Einsatz von IT in der Schule und auch schon in der Kita? Und welche Risiken sind damit verbunden? Wir sprachen darüber mit dem Grandseigneur der Frühpädagogik in Deutschland und Ehrenpräsident des Didacta Verbands der Bildungswirtschaft, Prof. Wassilios E. Fthenakis.

„Kinder, die heute im Kindergarten sind, werden ihre Ausbildung etwa nach 2040 beenden und in eine völlig veränderte Welt eintreten“: der Pädagoge, Anthropologe, Genetiker und Psychologe Prof. Wassilios Emmanuel Fthenakis. Foto: Sascha Kreklau / Didacta-Verband

News4teachers: Welche Chancen birgt die Digitalisierung Ihrer Ansicht nach für die frühkindliche Bildung und den Schulunterricht?

Fthenakis: Die Digitalisierung über alle Stufen des Bildungsverlaufs kann helfen, den Bildungsprozess zu erweitern und zu vertiefen. Die bisherige Auffassung, dass Kinder mit all ihren Sinnen lernen, die Welt zu begreifen, kann so nicht länger aufrechterhalten werden: Mit Hilfe von neuen Technologien können Kinder den Zugang zu Informationen, zu Phänomenen und zu Lernangeboten erhalten, die über die Sinnesorgane sonst nicht zugänglich gewesen wären. Wie das Herz das Blut pumpt, wie ein Vulkan ausbricht, was sich alles unter der Oberfläche eines Sees ereignet, wie sich weit entfernte Kulturen entwickelt haben, all das und viel mehr kann derzeit in den Bildungsprozess direkt einbezogen werden. Ich habe deshalb empfohlen, in jedem Gruppenraum das „Fenster zur Welt“ anzubringen. Sozusagen ein Screen, mit dessen Hilfe der Kontakt zu all den Lerninhalten und -orten ermöglicht wird, die eine moderne Bildung benötigt.

AixConcept auf der didacta

Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis ist im Interview live auf der didacta zu erleben – am 7. März um 14.15 am Stand von AixConcept, dem IT-Dienstleister für Schulen.

Live-Gespräche mit Praktikerinnen und Praktikern aus Schule und Verwaltung, Produkt-Präsentationen und ein innovatives Unterrichtsformat – AixConcept bietet auf der didacta 2023 in Stuttgart ein pralles Info-Programm rund um die Digitalisierung der Schulen. Prominente Gäste haben sich angesagt: neben Prof. Fthenakis die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, der Bundesvorsitzende des Deutschen Realschulllehrerverbands VDR Jürgen Böhm, sowie Cornelia Schneider-Pungs, Teamleiterin für den Schulbereich von Microsoft Deutschland.

Hier geht es zum vollständigen Standprogramm von AixConcept: https://aixconcept.de/didacta-2023/

Besuchen Sie uns! Halle 1 (L-Bank Forum) | Stand 1-F13

News4teachers: Wie ist der aktuelle Stand in puncto Digitalisierung? Sind Sie zufrieden oder wo gibt es Ihrer Meinung nach noch Nachholbedarf?

Fthenakis: Verglichen zu der Zeit vor zehn Jahren besser, verglichen zu anderen Ländern haben wir starken Nachholbedarf. Bisherige Bemühungen konzentrieren sich auf die Bereitstellung einer Infrastruktur. Dies ist notwendig, aber bei weitem nicht ausreichend. Es geht auch nicht lediglich darum, Technologien in das bestehende Bildungssystem zu integrieren. Neue Technologien beeinflussen die Art und Weise, wie wir lernen und fordern das Bildungssystem, wie nie zuvor, heraus. Die Chance besteht darin, die technologischen Herausforderungen zum Anlass zu nehmen, um das bestehende Bildungssystem zu verändern. Und diese Veränderung, ich spreche von Transformation ins digitale Zeitalter, umfasst alles: Die theoretische Grundlage auf der das Bildungssystem aufbaut, das Verständnis von Lernen und Lernorganisation, den methodisch-didaktischen Ansatz, die Etablierung einer dialogischen Bildung, das heißt die Transformation vom primär individuellen zum kooperativen Lernen und vieles mehr. Hinzu kommt die Notwendigkeit, neue Lernräume, auch virtuelle Studios, zu entwerfen, die Einrichtung selbst zu digitalisieren und digitale Lernangebote in den Bildungsplan zu integrieren.

„Kreativität muss einen zentralen Stellenwert im Bildungssystem einnehmen. Studien zeigen, dass dies mit Hilfe von neuen Technologien, bereits im vorschulischen Alter, mit Gewinn erfolgen kann“

News4teachers: Woher rührt Ihrer Ansicht nach die Skepsis gegenüber digital gestützter Bildung bei Eltern und dem Fachpersonal in Kitas und Schulen?

Fthenakis: Es scheint eine genuine und historisch tradierte, weit verbreitete Angst vor dem Neuen die Menschen zu begleiten: Im 18. Jahrhundert hat man sich gegen das Bücherlesen gewandt, als das Fernsehen kam, fokussierte sich die Kritik auf dieses Medium. Kurioserweise wurde den Menschen empfohlen, statt fernzusehen, Bücher zu lesen. Und jetzt wiederholt sich diese Urangst verstärkt, weil man das Ausmaß des Einflusses und der Wirkung der neuen Technologien nicht richtig einschätzt. Manche Bedenken sind zum Teil berechtigt, was den Schutz der Persönlichkeitsrechte oder den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor inhärenten Risiken des Internets betrifft. Dennoch: Es liegt eine hinreichende Forschungsevidenz vor, wonach die Nutzung neuer Technologien mit Gewinn für die Kinder einhergehen kann. Vor allem dann, wenn bestimmte Voraussetzungen im Bildungssystem gegeben sind: Eine funktionierende und gut gewartete Infrastruktur, eine forschungsgestützte Einbettung der Technologien in den Bildungsplan, gut professionalisierte Fachkräfte und informierte und engagierte Eltern.

News4teachers: In welchen Bereichen kann die Digitalisierung in der Bildungslandschaft ansetzen und wo kann sie die Fachkräfte in Kitas und Schulen entlasten?

Fthenakis: Ich habe empfohlen, zunächst die Einrichtung zu digitalisieren und Kinder, Fachkräfte und Eltern einzuladen, aktiv daran mitzuwirken. Eine solche Vorgehensweise vermeidet, die Fachkräfte primär zum Objekt der digitalen Transformation der Einrichtung zu machen, was bekanntlich Widerstände hervorruft. Insbesondere sollten sie durch aktive Mitwirkung die Vorteile erkennen, die die Transformation in das digitale Zeitalter mit sich bringt: Etwa Gewinnung an Zeit, die für direkte Interaktion mit den Kindern genutzt werden kann. Die Fachkräfte werden von müßigen Aufgaben befreit, wie etwa die Anfertigung von Listen über An- und Abwesenheit von Kindern oder deren Verweildauer in der Einrichtung. All das und vieles mehr können neue Technologien sogar besser bewältigen. Die Kommunikation mit den Eltern bekommt eine neue Qualität, Professionalisierungsangebote für Fachkräfte können kontinuierlich vermittelt werden. Auch die Dokumentation von kindlichen Lernprozessen, die Erstellung individueller Lernprofile, all das kann heute viel zuverlässiger mit Hilfe von Technologien erfolgen.

Wenn Technologien angemessen und verantwortungsvoll eingesetzt werden, können sie zur Bereicherung des Bildungsprozesses führen. Die Evaluation dessen, was in der Gruppe an (auch individuellen) Lernprozessen und -fortschritten erfolgt, kann viel besser mittels neuer Technologien gesichert werden als durch Fachkräfte selbst. Und wir haben die Möglichkeit, Kinder aktiv daran zu beteiligen. Bereits im dritten Lebensjahr können die Kinder beim Verlassen der Einrichtung mit Hilfe von Piktogrammen ihren Tag evaluieren. Die Kommunikation unter den Fachkräften, mit den Eltern und nicht zuletzt mit anderen Einrichtungen kann erleichtert werden.

News4teachers: Welche Kompetenzen für die Zukunft können die Kinder durch digitale Medien erlernen?

Fthenakis: Kinder, die heute im Kindergarten sind, werden ihre Ausbildung etwa nach 2040 beenden und in eine völlig veränderte Welt eintreten, die von Technologien durchdrungen und von hoher Diskontinuität geprägt sein wird. Sie werden Technologien anwenden, die erst entwickelt werden müssen und Berufe ausüben, die man heute nicht kennt. Auf diese Welt hin müssen wir heute Kinder angemessen vorbereiten. Dafür reichen die Konzepte, die wir bislang angewandt haben, bei weitem nicht aus. Die in den Bildungsplänen kodifizierten Kompetenzen müssen betreffend ihrer Zukunftsrelevanz hinterfragt werden. Und dies sollte auf der Grundlage weltweit stattfindender Debatten über Zukunftskompetenzen erfolgen. Neue Technologien helfen, digitale Kompetenz als eine wichtige transversale Kompetenz umzusetzen. Kreativität muss einen zentralen Stellenwert im Bildungssystem einnehmen. Studien zeigen, dass dies mit Hilfe von neuen Technologien, bereits im vorschulischen Alter, mit Gewinn erfolgen kann. Kommunikationskompetenz, kritisches Denken oder kooperatives Lernen können mit neuen Technologien unterstützt werden. Der bereits in anderen Bildungssystemen erfolgte Einsatz von Drohnen, wird genutzt, um technische Kompetenz, Planungskompetenz und kooperatives Lernen zu stärken, wie auch die Umgebung von anderen, sonst dem Lernenden nicht zugänglichen, Perspektiven zu betrachten.

News4teachers: Sie sagen, dass das deutsche Bildungssystem die Kinder systematisch unterfordert hat, da ihnen zu wenige Anregungen gegeben wurden. Was muss sich ändern, damit die Kinder in unserem Land eine adäquate Bildung erhalten, die sie auf die Zukunft vorbereitet?

Fthenakis: Ich habe in der Vergangenheit behauptet, dass wir den kindlichen Lernprozess auf der Grundlage konstruktivistischer Konzepte organisiert haben, die zu einem Verständnis von Bildung führten, wonach etwa die kognitive Entwicklung als Voraussetzung für das Lernen betrachtet wurde. Gegenwärtig wird, umgekehrt, das Lernen als Motor für die kindliche Entwicklung allgemein und für die kognitive Entwicklung insbesondere betrachtet. Und die Auffassung der Konstruktivisten, wonach das Kind über die Exploration der Umwelt seine Entwicklung selbst vorantreibt, wird so nicht mehr aufrechterhalten. Der Selbstbildungsansatz war die große Verirrung des 20. Jahrhunderts. Wir haben also gelernt, dass Kinder viel früher und viel kompetenter den Lernprozess mitgestalten können, in Kooperation mit den Eltern, den Fachkräften und anderen Kindern. Und dies sollte, im Interesse des Kindes, auch in der Bildungspraxis erkannt und umgesetzt werden.

„Erfolgreiche Bildungsbiographien werden am ehesten über eine qualitativ hochwertige vorschulische und Grundschulbildung gewährleistet. Aber gerade diese Bildungsbereiche bleiben chronisch unterfinanziert und die Reform lässt auf sich warten“

News4teachers: Hat die Digitalisierung durch die Corona-Pandemie einen Schub in die richtige Richtung bekommen?

Fthenakis: Die Pandemie hat zweifelsfrei einen Schub in Richtung der Digitalisierung der Bildung mit sich gebracht. Ob er in die richtige Richtung weist, muss noch erwiesen werden. Persönlich habe ich berechtigte Zweifel. Denn betrachtet man diese nunmehr digital organisierten Bildungsangebote, so wird man leicht feststellen, dass sie lediglich eine Weitergabe analoger Angebote, nun mittels neuer Technologien, darstellen. Sonst hat sich kaum etwas verändert. Das kann keine Perspektive für die Zukunft bieten. Es muss um Transformationen von beiden Seiten gehen und sie wird tiefgreifender Natur sein müssen.

News4teachers: Die IQB-Studie, die im vergangenen Herbst veröffentlicht wurde, kreidet an, dass Deutschlands Kinder und Jugendliche große Lernrückstände und Leistungsdefizite haben. Welche Herausforderungen für das Bildungssystem ergeben sich daraus?

Fthenakis: Der IQB-Bildungstrend hat bestätigt, was man bereits erwartet hatte. Solange das Bildungssystem sich einer tiefgreifenden Reform entzieht, solang man mit Schablonen aus dem zwanzigsten Jahrhundert Unterricht organisiert und solange die Wissensvermittlung die dominante Rolle spielt, kann man auch keine anderen Ergebnisse haben. Die Bundesrepublik hat betreffend der Bildungssysteme der Länder auf mehreren Ebenen Herausforderungen zu bewältigen. Etwa mit Blick auf die (erneut) attestierte Bildungsungerechtigkeit: diese kann nicht überwunden werden, solang die Schüler in Deutschland mit unterschiedlichen Bildungsplänen, unterschiedlichen Rahmenbedingungen und mit nicht angemessen regulierten Bildungssystemen zu tun haben. Um am Beispiel des letzteren das Problem zu konkretisieren: Bildungssysteme können eine hohe Qualität am ehesten sichern, wenn sie gut reguliert sind. Dazu gehört eine zentrale Steuerung die Ausbildung der Fachkräfte betreffend, einen von allen Ländern akzeptierten Bildungsplan, die Finanzierung des Bildungssystems und dessen Evaluation. Alles andere kann, bei Beachtung gewisser Grundsätze, dereguliert werden. Das Bildungssystem ist weit davon entfernt.

News4teachers: Wodurch werden die Leistungsdefizite der Schüler*innen verursacht und wie sind sie Ihrer Meinung nach aufzuholen?

Fthenakis: Wir müssen zunehmend auf die Stärkung kindlicher Entwicklung und kindlicher Kompetenzen setzen und dies von Anfang an. Erfolgreiche Bildungsbiographien werden am ehesten über eine qualitativ hochwertige vorschulische und Grundschulbildung gewährleistet. Aber gerade diese Bildungsbereiche bleiben chronisch unterfinanziert und die Reform lässt auf sich warten. Wir müssen endlich die Reform der Professionalisierung der Fachkräfte in Angriff nehmen und didaktisch-pädagogische Ansätze müssen modernisiert werden. Die Bildungsorganisation ist am ehesten mit Hilfe der Methode der Ko-Konstruktion zu gestalten und Lernorte außerhalb sind stärker in den Lernprozess einzubeziehen. Nicht zuletzt bleibt nach wie vor die Familie als der wichtigste Bildungsort bestehen, den es zu stärken gilt. Die neuen Technologien de-institutionalisieren und kommerzialisieren die Bildung. Und die virtuelle muss mit der analogen Welt konstruktiv-kreativ verbunden werden. Das sind nur einige Aspekte eines komplexen Transformationsprozesses, dem sich Bildungssysteme gegenwärtig stellen müssen. Den Luxus der Langsamkeit kann man sich nicht länger erlauben.

News4teachers: Gibt es etwas, dass sich schon in der Ausbildung der Lehrkräfte ändern muss, um eine zukunftsfähige Bildung für die Kinder und Jugendlichen zu erreichen?

Fthenakis: Reformierte Bildungssysteme fokussieren nicht mehr primär auf die Bildungsinstitution, z. B. den Kindergarten, die Grundschule etc., sondern auf die individuelle kindliche Bildungsbiographie. Wenn es so ist, dann benötigen wir Fachkräfte mit einem veränderten Ausbildungsprofil. Um ein Beispiel zu nennen: In Schottland ist die Ausbildung der Erzieherin auf Hochschulniveau organisiert, mit einem Masterabschluss. Nach Abschluss der Ausbildung kann diese Absolventin noch nicht in der Praxis tätig werden. Es bedarf einer Prüfung bei einer Nationalagentur, in der sie ihre pädagogisch-didaktischen Kompetenzen beweisen soll. Erst dann erhält sie eine befristete Lizenz und sie wird gleichzeitig in ein begleitendes Professionalisierungs- und Evaluationsprogramm eingebettet. Die Lizenz wird verlängert, wenn sie erfolgreich diese Maßnahmen absolviert. In Italien hatte ich die Anregung gegeben, Fachkräfte dafür auszubilden, dass sie befähigt werden, Bildungsprozesse mit den Kindern von Geburt an und bis zum 11. Lebensjahr, dem Ende der italienischen Grundschule, zu gestalten, was bereits umgesetzt wurde. Es gibt zahlreiche Modelle, die herangezogen werden können, um die Ausbildung der Fachkräfte neu zu gestalten.

News4teachers: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Bildung in zehn Jahren in Kitas und Schulen aus?

Fthenakis: Die Beantwortung dieser Frage hängt eng mit unserer Bereitschaft, das Bildungssystem zu reformieren, zusammen. Das kann noch schlechter aussehen als heute, wenn wir die Dinge ihrem Schicksal überlassen. In diesem Fall läuft das Bildungssystem akut Gefahr, zum Loser der Digitalisierung zu werden. Was ich mir wünschen würde: Es ist hoch an der Zeit und noch nicht zu spät, endlich eine Bildungsreform einzuleiten, die ihren Namen verdient und von den Ländern lernt, die sie bereits teilweise seit langem und mit Erfolg umgesetzt haben. Dann kann es so weit kommen, dass Studien wie IQB für das Land ein anderes Bild präsentieren. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.

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Alx
1 Jahr zuvor

Die bisherige Auffassung, dass Kinder mit all ihren Sinnen lernen, die Welt zu begreifen, kann so nicht länger aufrechterhalten werden“
DOCH, genau so lernen Kinder die Welt zu begreifen. Es steckt schon im Wort beGREIFEN.
Genau daran mangelt es heutzutage. Die Kinder benötigen echte multisensorische Erfahrungen in der realen Welt.

In dem obigen Artikel wimmelt es nur so von „könnte“-Aussagen und zwar aus gutem Grund.

„Die Fachkräfte werden von müßigen Aufgaben befreit, wie etwa die Anfertigung von Listen über An- und Abwesenheit von Kindern oder deren Verweildauer in der Einrichtung. All das und vieles mehr können neue Technologien sogar besser bewältigen.“

Wie denn? Wo ist der Unterschied ob die Liste digital oder analog geführt wird?

„Auch die Dokumentation von kindlichen Lernprozessen, die Erstellung individueller Lernprofile, all das kann heute viel zuverlässiger mit Hilfe von Technologien erfolgen.

Wie denn? Wo ist der große Unterschied versteckt?

„Die Evaluation dessen, was in der Gruppe an (auch individuellen) Lernprozessen und -fortschritten erfolgt, kann viel besser mittels neuer Technologien gesichert werden als durch Fachkräfte selbst.“

Ach so, ja, ne, ist klar. Geht alles vollautomatisch?

„Und wir haben die Möglichkeit, Kinder aktiv daran zu beteiligen. Bereits im dritten Lebensjahr können die Kinder beim Verlassen der Einrichtung mit Hilfe von Piktogrammen ihren Tag evaluieren.

Das können Sticker auch. Günstiger und einfacher.

„Kinder, die heute im Kindergarten sind, werden ihre Ausbildung etwa nach 2040 beenden und in eine völlig veränderte Welt eintreten, die von Technologien durchdrungen und von hoher Diskontinuität geprägt sein wird. Sie werden Technologien anwenden, die erst entwickelt werden müssen und Berufe ausüben, die man heute nicht kennt.“ 

Ein Grund mehr den Kindern zunächst elementar wichtige, basale, echte und multisensorische Lebenserfahrungen zu ermöglichen. Wer weiß schon ob 2040 nicht wieder manuelle Fertigkeiten die Hauptrolle spielen?

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alx

… aber jemand muss doch ganz schnell die ganze hippe Technik kaufen, jetzt im digitalen Goldrausch. „Den Luxus der Langsamkeit kann man sich nicht länger erlauben.“

Apropos „An- und Abwesenheit von Kindern“ digital erfassen, da gibt’s doch diese Chips vom Tierarzt oder die Halsbänder beim Milchvieh. Das wirkt heute ungewohnt, aber bis 2040 sind wir evtl. schon weiter.

Last edited 1 Jahr zuvor by Dil Uhlenspiegel
Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

„An- und Abwesenheit von Kindern“ digital erfassen, da gibt’s doch diese Chips vom Tierarzt oder die Halsbänder beim Milchvieh.“

Wenn alle Schüler gelbe Ohrmarken mit Nummern bekommen, spart das auch das Lernen von Namen 😉

Monika, BY
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Ja, Schlüsselwort – langsam! Oder wenigstens, langsamer.
 
Wie es gerade scheint werden wir bald 5-jährigen mit Burnout Symptomen erleben.

Mankannesnichtfassen
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Siehe Dave Eggers: The Circle.

Lera
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alx

In den 70ern haben sie euch echt diese Kopf-Herz-Hand-Geschichte maximal reingedrückt.

Nicht, dass ich die übertriebenen Erwartungen teilen würde, aber in einem komplett verrotteten System der Massenabfertigung sehe ich durchaus Potential für Entlastung der Lehrer und mehr individuelles Feedback für Schüler – lieber von einem Algorithmus als gar keins, wa…
Weniger Lebens- und Arbeitszeit mit dem Entziffern kryptischer Wortfetzen in Schülerheften zu verschwenden (a.k.a. „Mappen kontrollieren“), sollte jeder Lehrkraft mit halbwegs sinnvollen Prioritäten ein Anliegen sein.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lera

Passt, nicht so laut. 🙂

Ron
1 Jahr zuvor

Ich denke, dass rein optisch visualisierte Phänomene schlechter Eingang in unser Denken und Begreifen erfahren als Sinneseindrücke, die auch haptisch oder allgemein synästhetisch auf uns wirken. Was ich anfassen kann, kann ich begreifen. Was ich fühle, höre und rieche, hat zudem Einfluss auf unser emotionale Befindlichkeit und initiiert damit eine noch stärkere Auseinandersetzung mit dem Erlebten. Insofern halte ich das direkte Erleben für weiterhin sehr wichtig und würde immer eine direkte und unmittelbare Erfahrung mit dem Wesen von Dingen dem digitalen Erleben vorziehen. Ein physikalischer Versuch, vor allem, wenn dieser nicht nur vorgeführt, sondern selber mitgestaltet wird, moderiert in meinen Augen ein viel stärkeres Erfahrungs- und Transferlernen. Klar ist, dass dies nicht immer und bei jedem Thema möglich ist. Apps, die mich zum Anklicken von Gegenständen, zum virtuellen Mischen und Rühren animieren, lassen mich trotzdem eigentümlich kalt und verursachen bei mir wenig Begeisterung. Ich habe bislang wenig Erbauliches an Programmen gesehen, die im naturwissenschaftlichen oder geschichtlichen Bereich angesiedelt sind. Digitales Lernen hat dagegen in meinen Augen seine Berechtigung, wenn ich Routinen ausprobieren und erlernen soll oder wenn ich wiederholend arbeite. Sprachlern- oder Vokabelprogramme sind für mich ein klassisches Beispiel dafür. Auch die Neudefinition eines ehemals noch plump daherkommenden Sprachlabors gehört dazu. Grammatikroutinen, Notenlernprogramme, bestimmte Aspekte der Rechtschreibung und die Einführung des Buchstabens „L“ sind im Digitalen zum Teil auch gut aufgehoben. Von digitalen Mappen, Laptop-Klassen usw. halte ich dagegen wenig, weil hier Kernkompetenzen eher verschüttet werden.

Egvina
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Da spricht wieder der Experte über die Einführung von Buchstaben…

Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  Egvina

Die Ironie / Selbstironie dabei haben Sie sicher verstanden.

Realo
1 Jahr zuvor

Loser schreibt man mit einem O.

Ohne ihm jetzt widersprechen zu wollen, Herr Fthenakis scheint mir doch ein arger Theoretiker zu sein.

Mariechen
1 Jahr zuvor
Antwortet  Realo

Ja, das scheint mir auch so. Bitte unbedingt mal längere Zeit ein Praktikum in einem 1. Schuljahr machen und schauen, wie Kinder lernen. Ich kann sowas nicht wirklich ernst nehmen, da ich jeden Tag sehe woran es mangelt. Keine Ordnung, keine Struktur, keine Sprache, keine Werte, keine Konzentration… zumindest wird es von Jahr zu Jahr weniger. Aber wenn man fragt: Was hast du am WE gemacht? Tablet!

Ute, gerne Lehrerin
1 Jahr zuvor
Antwortet  Mariechen

Ich ergänze die weiterführende Schule: „gezockt“.
Xbox, Playstation, PC.
Auf Nachfrage bis in die Nacht. Klasse 6.

Yps
1 Jahr zuvor

Auf welchem Planeten lebt der Mann???

Viele Kommunen schaffen es nicht mal, ihre Schule mit menschenwürdigen Schüler_innen-Toiletten oder kindgerechten Sitzmöbeln auszustatten… und dort, wo Geld für digitale Hardware ausgegeben wird, fehlt es hinterher für sinnvolle Programme und IT-Wartung.

Außerdem volle Zustimmung zu Alx und Ron!

Mary-Ellen
1 Jahr zuvor
Antwortet  Yps

Da muss ich mich anschließen.
Und zu @Dils Kommentar fallen mir zur Abrundung die beidseitig eingestanzten, großen, hübsch farbigen (gelben?) Ohrmarken in der Viehhaltung ein.

GriasDi
1 Jahr zuvor

Zitat:
„Sie werden Technologien anwenden, die erst entwickelt werden müssen und Berufe ausüben, die man heute nicht kennt. Auf diese Welt hin müssen wir heute Kinder angemessen vorbereiten. Dafür reichen die Konzepte, die wir bislang angewandt haben, bei weitem nicht aus. Die in den Bildungsplänen kodifizierten Kompetenzen müssen betreffend ihrer Zukunftsrelevanz hinterfragt werden.“

Wenn sie Technologien anwenden müssen, die erst entwickelt werden, Berufe ausüben, die man heute nicht kenn, wie soll man dann die Kompetenzen bezüglich ihrer Zukunftsrelevanz hinterfragen können?
Wenn ich nicht weiß was kommt, soll ich beurteilen, ob das was ich mache für das was kommt reicht – aus meiner Sicht ein Widerspruch.
Insofern sollte man sich überlegen, welches Wissen, welche Fähigkeiten (nahezu) zeitlos sind bzw. gewesen sind und sich auf diese konzentrieren.

Jonas G.
1 Jahr zuvor
Antwortet  GriasDi

Und doch sollte man sich fragen, welchen Stellenwert zum Beispiel der teils bis zur Q2 verpflichtende Religionsunterricht im Gegensatz zu den häufig erst spät einsetzen Naturwissenschaften wie Informatik oder Physik trägt. Der Bedarf für Veränderungen ist ganz klar vorhanden, die Frage ist nur wie

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Jonas G.

Religion ist ein Tabuthema, siehe auch die Artikel hier bei n4t zu Religion und Ethik.

Metalman
1 Jahr zuvor

DIe Herausforderung ist doch, wie kann man TROTZ aller Medienangebote Standardkompetenzen wie Lesekompetenz, Analyse von Texten oder Transferleistungen wie eigene Beurteilungen noch adequat vermitteln?

Alles gut.. Selbstverständlich können Medien den Unterricht bereichern, können gute Internetressourcen als Lern- Anschauungs- und Vertiefungsmaterialien verwendet werden, auch wenn vieles auf einer oberflächlichen Ebene abläuft und die o.g. Kompetenzen nur selten anspricht.

ABER: Die Jugendlichen sind durch ihren eigenen Medienkonsum, besinders Social Media Apps wie TikTok und Snapchat dermaßenin ihrer Koonzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit eingeschränkt, dass normale Texte, die länger als eine halbe Seite sind, nicht gelesen werden, geschweige denn verstanden werden können. Dem zu begegnen, das ist in meiner Auffassung eine der großen Herausforderungen der „neuen Zeit“.

GS in SH
1 Jahr zuvor

Warum nicht mal ins Ausland schauen!

Die besten PISA-Ergebnisse finden wir meist in Ostasien. Was machen die besser?
Was genau ist für das Absacken von Finnland verantwortlich?
Wie trägt der schottische Weg (Erzieher mit Master und Fortbildung) zur Leistung schottischer Kids bei?

Das „Fenster zur Welt“ wird doch längst genutzt, sollte aber mMn reale Erfahrungen nur dort ersetzen, wo diese nicht machbar sind. Weil sie halt nicht alle Sinne bedienen!

Der Versuch, einen realen Stromkreis aus isolierten Drähten, Fassungen, Batterie und mechanischen Schaltern mit Hilfe von einem Schraubendreher zu bauen ist viel nachhaltiger als nur anzuklicken. Weil es z.B. schon mal nicht funktioniert, wenn man das Kabel nicht abisoliert hat!

Eine Leistungsaussage nur per Klicken und Wischen zu erstellen ist zwar manchmal möglich, das machen Lernapps ja auch, erfasst aber eben auch nur einen Teil dessen, was Kinder leisten.

Warum konnten sich die „Steve Jobs Schulen“ in den Niederlanden nicht durchsetzen? Trotz hoher Flexibilität (z.B. Ferien selbst bestimmen) durch Digitalisierung und hoher (anfänglicher) Motivation der Eltern und Lehrer?

Es fehlt mir hier immer eine Evaluation der weltweiten sehr unterschiedlichen Systeme in ihren gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Mankannesnichtfassen
1 Jahr zuvor
Antwortet  GS in SH

In China ist es Druck, Druck, Druck. Ich war selbst dort und habe in den Klassen schlafende Schülerinnen und Schüler gesehen.
Die Lehrkräfte fanden das normal, denn sie sagten selbst, dass auf den Schülerinnen und Schülern ein erheblicher Druck lastet. Für viele ist ein guter Abschluss die einzige Möglichkeit auf ein gutes Leben, da man in China sonst untergeht. Daher die große Angst zu versagen.

Teacher Andi
1 Jahr zuvor

Jeder, der eine Affinität zu Digitalisierung hat, kommt hier mit seinen Weisheiten um die Ecke und meint, das große Wissen zu verbreiten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Schulen bereits vernetzt sind, es gibt digitale Klassenbücher, Tabletklassen, Tabletwagen, Computerräume, es werden digitale Lernangebote verwendet (Kahoot, Quizlet, Sprachenangebote, Übungsseiten für alle Fächer), es werden Recherchen per Internet für Kurzpräsentationen und Referate initiiert und begleitet, in jedem Fach wird eigentlich der Zugang zu digitalen Möglichkeiten geschult. Nur, und jetzt kommt das dicke „Aber“, digitale Ausstattung gehört regelmäßig gewartet, betreut und auf den neuesten Stand gebracht. Und schon haben wir das Problem. Es ist nicht der manglende Wille seitens der Schulen und Lehrer, sondern die mangelnde Unterstützung seitens des Dienstherrn.
Die Fülle der digitalen Angebote an Schulen ist m.E. völlig ausreichend, es gibt noch andere Lehrmethoden, die oft viel wichtiger sind. Also hört endlich auf mit diesem permanenten Pochen auf Reformen und die Vorwürfe, es würde zu wenig getan. Die Schüler sitzen so schon viel zu lange vor den Monitoren, das soll wohl nun schon in den Kitas gefördert werden? Digitale Medien sind eben nicht das Non-Plus-Ultra der Kinder- und Jugenderziehung, es kann nicht das Ziel sein, digitale Zombies zu erziehen, die perfekt daddeln können, aber deren sonstige Kompetenzen ziemlich brach liegen.
Es gehört wieder gesunder Menschenverstand her und nicht Digitalisierung auf Teufel komm raus, ohne pädagogische Überlegungen. Warum nicht gleich die Lehrer durch Roboter ersetzen, das scheint ja das Endziel zu sein?

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Noch wichtiger: Man müsste mal evaluieren, ob Schulklassen MIT Digitalisierung mehr und besser lernen als OHNE. Wozu haben wir denn eine empirische Bildungsforschung? Bei dem CAS-Rechner gab es solche Studien, z.B. Calimero. Man hatte Schulklassen mit und zur Kontrolle solche ohne. Am Ende hatten die MIT Fortschritte gemacht und die OHNE auch. Der Unterschied war dann zu gering, um als statistisch signifikant zu gelten. Aber die Lobbyisten baggern natürlich weiter für die CAS-Rechner, so als sei das eine ganz großartige Sache.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Schülers gonna schülern – sobald das Anforderungsniveau dann auch auf das Niveau z.B. des Rechners, der Textverarbeitung…da ist es bei 90% ganz fix vorbei mit der „erhöhten Motivation“, denn die (völlig verständliche) Hoffnung der Schüler zB beim Taschenrechner ist es ja gerade eben, das anstrengende, „lästige Rechnen“ zu vermeiden.
Bei Textverarbeitung das gleiche in Sprachen.

Mir ist absolut unklar, wie gerade Lehrer das nicht sehen können oder eher wollen.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Ich stimme insbesondere der Aussage zum gesunden Menschenverstand ausdrücklich zu.

Ich frage mich seit Jahren, wie ein VÖLLIG OFFENSICHTLICHER Alltagseffekt konsequent wegignoriert wird – und das auch noch vom Lehrern:

Digitale Medien sind motivierend, da sie geil sind und Spaß machen (man beachte den Fokus: Emotionale Stimulation) – digitale SCHULmedien sind es NICHT, sobald entweder die Schüler es checken, dass es doch um Lernen geht und/oder das „erklickte“ Wissen tatsächlich auch abgeprüft und EINGEFORDERT wird! (Fokus: Kognitives KÖNNEN)

Klar, ne „Lemmings“-Simulation in Isoperspektive spielen (angeblich, um Befehle wie „AND“und „OR“ beim Programmieren zu erlernen) – das ist das eine. Nachher in, keine Ahnung, Basic , Mal 10 oder 15 funktionierende Zeilen zu schreiben das andere.

Mal von der völlig desolaten Hardware- und Netzsituation abgesehen: Ja, digitales Arbeiten ist wichtig.
Aber das ist (sobald es um Arbeiten und Lernen, nicht ums Stimulieren geht!) kaum motivierender als andere Lernmittel.

Kritischer Dad*NRW
1 Jahr zuvor
Antwortet  Teacher Andi

ABER, es ist einfach das fehlende GELD.
Tabletausrüstungen für ganze Klassen werden – wenn überhaupt angeschafft – nur über Fördertopf XY finanziert. PC-Räume einmalig und für die nächsten Generationen ausreichend damit eingerichtet. Laufende Kosten (Wartung etc.) werden nicht gefördert, also 0,- € Investitionsbudget in Folgejahren.
Bestes Beispiel die Schulgebäude selbst (Rathäuser natürlich auch) , einmal von der Kommune in Sparbauweise errichtet und ausgestattet, müssen diese bis zum Verfall und „Neubau“ abgewirtschaftet statt erhalten werden. Im Wohnungsbau nennt es sich „abgewohnt“ werden.

Last edited 1 Jahr zuvor by Kritischer Dad*NRW
Carsten60
1 Jahr zuvor

„Der IQB-Bildungstrend hat bestätigt, was man bereits erwartet hatte.“
Sagt der große Digitalisierungsexperte und macht kurz darauf die „Schablonen des 20. Jahrhunderts“ dafür verantwortlich. Dass es im Anschluss an PISA 2000 und andere internationale Tests 20 Jahre lang große Veränderungen (Paradigmenwechsel, Kompetenzorientierung, neue Unterrichtsmethoden) gegeben hat, ist ihm wohl entgangen. Man darf sehr gespannt sein, wie sich nach der großen Digitalisierung die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends entwickeln. Ich würde erwarten, dass die Spreizung zunimmt: Die Computer-Freaks werden begeistert oben schwimmen (vielleicht auch nach Segregation streben, es könnte Schulen mit Informatik-Profil geben), intelligente Leute werden irgendwie mit den digitalen Geräten auch ohne Begeisterung klarkommen, aber diejenigen, die jetzt schon hinterherhinken, werden das in verstärktem Maße tun. Wer aus Büchern nicht lernen kann, wird auch mit den digitalen Lernhilfen Schwierigkeiten haben. Denn auch bei der Verwendung von Lernvideos muss man flüssig lesen können, ganz zu schweigen von den Tücken der präzisen Bedienung der Systeme. Computer erwarten bei Internet-Adressen und anderem eine PERFEKTE Rechtschreibung (auch bei Rechtschreibfehlern innerhalb der Adressen), sonst heißt es „error“. Betriebssysteme erwarten bei Eingabe von Befehlen ebenso eine perfekte Rechtschreibung, und das meist auf Englisch. Und wer jetzt schon oft seine Schulsachen mitzubringen vergisst und Hausaufgaben ignoriert, wird vielleicht auch sein Tablet vergessen.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Genau so wird es laufen.

Intelligenten SuS Computer im weitesten Sinne zu geben ist wie…einer Gruppe von Holzfällern Werkzeuge zuzuteilen: Wenn alle Trupps jetzt statt Kettensägen nun Holzvollernter zugeteilt bekommen – werden die guten Holzfäller in Stunden ganze LKW-Ladungen fällen und die schlechten höchstens den teuren Vollernter vor die nächste dicke Eiche knallen.

Analogien zu Tabletklassen sind rein zufällig. 🙂

Last edited 1 Jahr zuvor by 447
ChatBot-Di
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Extrakorporale Digitalisierung ist nur der Anfang. Zum Vergessen wird da bald nichts mehr da sein. Freiwillige bitte vor.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Man sollte auch mal versuchen, verschiedene Ebenen zu trennen:
Wenn das Schulsekretariat einen PC bekommt, dann ist das eine vollkommen normale Sache und vermutlich schon weitgehend geschehen. Ebenso, wenn die Lehrer dienstliche Geräte bekommen, eine dienstliche E-mail-Adresse usw. Das ist eben die technische Entwicklung, die man nicht aufhalten kann.

Wenn die SuS mit Lernsoftware ausgestattet werden sollen und daraus „individuell“ lernen sollen, dann erhebt sich jedenfalls die Frage, ob die Wirkung davon so gut ist, dass sich das lohnt. Aber das wäre empirisch zu untersuchen. Auch müsste die inhaltliche Qualität dieser — oft hastig hergestellten — Lernsoftware geklärt werden. Das können nur Fachleute beurteilen. Ein Wildwuchs ist zumindest zu befürchten.

Wenn aber behauptet wird, wegen oder im Zuge der Digitalisierung müssten wir unser ganzes Bildungssystem grundlegend ändern (und so steht es in der Überschrift), dann finde ich das anmaßend. Da fehlt mir eine fundierte Diskussion darüber, was ein Bildungssystem überhaupt leisten kann und soll. Fthenakis nennt Kommunikationskompetenz und kritisches Denken als Ziele, aber beides könnte man ja wohl auch ohne Digitalisierung haben. Das kritische Denken gab’s ja wohl schon vor Erfindung der Computer. Hier müssten die — meist recht vagen — Argumente erstmal richtig sortiert werden. Außerdem könnte man von Ländern lernen, die die Digitalisierung schon konsequenter umgesetzt haben, damit deren Fehler nicht wiederholt werden. Aber dazu hört man wenig Konkretes, insbesondere keine empirischen Ergebnisse, sondern mehr Postulate wie „eine funktionierende und gut gewartete Infrastruktur, eine forschungsgestützte Einbettung von Technologien in den Bildungsplan, gut professionalisierte Fachkräfte und informierte und engagierte Eltern“. Tja, wünschen kann man sich viel, aber wo bleibt der Bezug zur Realität mit fehlendem IT-Support, Quer-Einsteigern und desinteressierten oder überlasteten Eltern?