STRASSBURG. Dürfen verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer bald streiken? Die GEW fordert ein Streikrecht auch für Beamtinnen und Beamte. Die Gewerkschaft klagt deshalb nun (nachdem sie damit bereits vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Gewerkschaftsvertreter erklärten in der mündlichen Verhandlung in Straßburg, es gehe darum, das „Beamtenrecht fit für das 21. Jahrhundert zu machen“ – und ein Menschenrecht zur Geltung zu bringen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) noch einmal für das Streikrecht für Beamtinnen und Beamte stark gemacht. „Das Streikrecht ist ein Menschen- und Grundrecht, das den Beamtinnen und Beamten nicht länger verweigert werden darf“, stellte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern am Mittwoch in Straßburg fest. Die Rechtsprechung in Deutschland verletze die Europäische Menschenrechtskonvention und stehe im Widerspruch zur internationalen Rechtsprechung. Finnern: „Das Beamtenrecht muss endlich fit für das 21. Jahrhundert gemacht werden: Dafür wollen wir es modernisieren und demokratisieren – und damit vom Staub des 18. Jahrhunderts befreien, ohne dabei den Beamtenstatus als solchen in Frage zu stellen.“
„Lehrerinnen und Lehrer nehmen keine hoheitlichen Aufgaben wahr, die ein Verbot des Streikrechts rechtfertigen würden“
„Die Beamtinnen und Beamten brauchen das Streikrecht, weil die Arbeitgeber beispielsweise die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung einseitig diktieren“, betonte Finnern. „Das ist schon lange nicht mehr zeitgemäß, damit muss endlich Schluss sein.“ Ein Blick in andere europäische Länder zeige, dass der Beamtenstatus mit Kollektivverhandlungen und auch mit einem Streikrecht zu vereinbaren ist. Dabei gebe es allerdings Einschränkungen des Streikrechts, etwa für bestimmte Funktionen in Polizei, Militär oder Justizvollzug. Allein der Beamtenstatus reiche dafür nicht aus. „Lehrerinnen und Lehrer nehmen keine hoheitlichen Aufgaben wahr, die ein Verbot des Streikrechts rechtfertigen würden“, erläuterte die GEW-Vorsitzende. Sie stellte klar, dass „Lehrkräfte kein Recht auf freie Wahl des Status´ als Beamte oder Angestellte haben“.
Hintergrund: Heute haben die Prozessvertretungen der beschwerdeführenden GEW-Mitglieder und die Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung vor der Großen Kammer des EGMR ihre Positionen vorgestellt und begründet. Dabei ging es um die Frage: Müssen Beamtinnen und Beamte ein Streikrecht erhalten? Die GEW sagt: „Ja“. Die Bundesrepublik sagt: „Nein“ – gestützt auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018.
Vor fünf Jahren hatte die GEW eine schwere Schlappe erlitten: Das Bundesverfassungsgericht wies seinerzeit Klagen von vier verbeamteten Lehrern zurück, die sich an einer Streikaktion beteiligt und dafür Disziplinarstrafen erhalten hatten (News4teachers berichtete). Die Gewerkschaft hatte die Klagen in der Hoffnung unterstützt, dass das oberste deutsche Gericht das Streikverbot aufheben würde – vergeblich.
„Wer das Streikrecht für Beamte fordert, will im Grunde durch die Hintertür erreichen, dass Lehrkräfte grundsätzlich tarifbeschäftigt werden”
Widerspruch kam damals auch von anderen Lehrerverbänden – so dem VBE. „Wer die Schulpflicht gesetzlich verankert, muss auch dafür sorgen, dass Unterricht stattfindet“, so meinte der damalige VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Er stellte im Vorfeld der mündlichen Anhörung in Karlsruhe klar: „Wir bleiben bei unserer Auffassung, dass Lehrkräfte im juristischen Sinne einer grundrechtswesentlichen Tätigkeit nachgehen und damit hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben und deshalb grundsätzlich zu verbeamten sind. Der Beamtenstatus für Lehrkräfte ist daher unabdingbar. Das Beamtenverhältnis geht jedoch mit Rechten und Pflichten einher. Ein Streikrecht für Beamte ist hiermit nicht vereinbar.“
Beckmann betonte: „Wer das Streikrecht für Beamte fordert, will im Grunde durch die Hintertür erreichen, dass Lehrkräfte grundsätzlich tarifbeschäftigt werden. Genauso wie die Bürgerinnen und Bürger sich darauf verlassen können müssen, dass die Polizei nicht streikt und damit den Rechtsstaat lahmlegt, muss das auch für den Bildungsbereich gelten. Auf der anderen Seite ist der Staat in der Pflicht, seine Beamten angemessen zu alimentieren und aufgabengerechte Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen.“
Karlsruhe kam damals zu dem Schluss: Beamtinnen und Beamte dürfen auch weiterhin nicht streiken. Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Entscheidung mit den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“, die höher zu bewerten seien als die in Artikel 9 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit, die als Ultima Ratio auch das Streikrecht vorsieht.
Mit „Enttäuschung“ reagierte die GEW nach eigenen Angaben auf das höchstrichterliche Urteil – und zog dann vor die allerletzte Instanz, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die GEW erwartet nun, dass dieser sein schriftliches Urteil in den nächsten Monaten veröffentlichen wird. Ein Termin wurde nicht genannt. News4teachers
Kommentar: Streikrecht für verbeamtete Lehrer – ein zweischneidiges Schwert
