Wie(so) wird man eigentlich Montessori-Lehrkraft? Ein Interview aus der Praxis

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BERLIN./HESSEN. In der Regel beginnt der Weg in die Montessori-Pädagogik mit einer berufsbegleitenden Zusatzausbildung in Ergänzung zum staatlichen Abschluss. Doch es gibt auch Ausnahmen. Wir haben Nina Villwock gefragt, worauf es dabei ankommt, wie sich Interessent:innen informieren können und was sie erwartet, wenn sie sich für die reformpädagogische Arbeit nach Maria Montessori entscheiden. Und auch wie sie selbst zu ihrem Beruf gekommen ist, verrät die Geschäftsführerende Gesellschafterin der Freien Montessori Schule Main-Kinzig im Interview.

Immer mehr Lehrkräfte fehlen in Deutschland – und immer mehr sind unzufrieden mit ihrem Job. Sind alternative Schulformen der Weg zu mehr Berufszufriedenheit? Nina Villwock erzählt im Interview aus ihrer Montessori-Schule. Foto: Shutterstock

News4teachers: Sie leiten eine Montessori-Einrichtung mit Kinderhaus, Grundschule und Sekundarschule in Hessen. Dem Bundesland fehlen nach Einschätzungen des Verbands Bildung und Erziehung rund 2.000 Lehrkräfte. Spüren Sie das als private Einrichtung auch?

Nina Villwock: Spontan würde ich sagen: Noch nicht. Die zweite Antwort wäre aber: teils-teils. Wir haben ein sehr stabiles Team, was damit zu tun hat, dass wir einen guten Ruf haben und als guter und attraktiver Arbeitgeber gelten. Der Grund dafür ist wiederum die Atmosphäre, die bei uns herrscht. Und das spricht sich rum. Wenn wir also eine Stelle ausgeschrieben haben, dann werden wir oft weiterempfohlen und so kommen Bewerbungen in unser Haus. Das ist heute so und war in den letzten Jahren so. Was wir jetzt allerdings merken – und deswegen sage ich teils-teils – ist, dass die Zahl der Bewerbungen gleichbleibt, aber dass darunter weniger Bewerber:innen mit zweitem Staatsexamen sind, sondern mehr Quer- und Seiteneinsteiger:innen.

News4teachers: Um den Lehrkräftemangel zu beheben, gibt es sogar Initiativen mit dem Ziel mehr Quereinsteiger:innen in den Beruf zu bringen. Was halten Sie davon und ist das für Montessori-Schulen überhaupt möglich?

Villwock: Prinzipiell haben wir sehr viel Erfahrungen mit Quereinsteiger:innen. Das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass wir große Fans von multiprofessionellen Teams sind. Sprich wir achten darauf, welche Qualifikation braucht man für welche Tätigkeit? Für bestimmte Lehrtätigkeiten braucht man das zweite Staatsexamen, die klassische Lehrerausbildung. Aber zum Beispiel im Fremdsprachenunterricht legen wir einen großen Wert auf Muttersprachler. Das ist uns wichtiger, als dass die Lehrkraft die klassische Lehrerausbildung oder eine Montessori-Ausbildung hat. Wir haben aktuell beispielsweise eine Hawaiianerin mit einer sehr guten pädagogischen Ausbildung, die wir jetzt noch in Montessori-Pädagogik ausbilden.

„Das Wichtigste bei Quereinsteigern ist aber meiner Meinung nach, was die Motivation dieser Menschen ist, in einen pädagogischen Beruf einzusteigen.“

Das Wichtigste bei Quereinsteigern ist aber meiner Meinung nach, was die Motivation dieser Menschen ist, in einen pädagogischen Beruf einzusteigen. Je mehr sich Bewerber:innen über ihre Beweggründe bewusst sind umso besser. Wenn die Motivation lautet „Ich wollte schon immer mal was mit Kindern machen“, dann ist das zu wenig. Eine Ausbildung dagegen kann man je nach – ich nenne es jetzt mal – „Einsatzgebiet“ nachholen. Im Alltag brauchen die Quereinsteiger:innen dann aber auch eine Begleitung. Das finde ich generell wichtig für Lehrkräfte. Wir haben zum Beispiel schon von Schulgründung an eine regelmäßige supervisorische Begleitung in allen Teams.

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News4teachers: Sind das Erfahrungen, die auch ihre Kolleg:innen bundesweit in Montessori-Einrichtungen machen?

Villwock: Ja. Wir stellen im Austausch innerhalb des Montessori Bundesverbands Deutschland fest, dass unsere Erfahrungen bei der Nachwuchsgewinnung gleich oder zumindest sehr ähnlich sind. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit jungen Menschen gemacht, die direkt aus der Ausbildung zu uns kommen, dann die Montessori-Ausbildung machen, und dann im Alltag Erfahrungen in der Montessori-Arbeit sammeln. Aber auch Menschen, die später quer einsteigen, können bei uns sehr erfolgreich sein. Dabei sind dann zwei Dinge entscheidend: Die eigene Leidenschaft – also was möchte ich gerne, was ist mir wichtig? Und das Zweite, das Allerwichtigste, ist die Haltung zum Menschen, die Haltung zum Kind und zum Jugendlichen.

Ein positives Beispiel dafür an meiner Schule ist ein Bildender Künstler und Filmemacher. Er sagt ganz bewusst, dass es ihm wichtig ist, sein Wissen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Und deshalb kommt er einmal in der Woche für zwei Stunden und bringt den Jugendlichen Techniken, wie zum Beispiel Illustration, bei. Das ist kein Lehrer, der klassischen Kunstunterricht macht, aber neben seiner Leidenschaft für die Kunst vermittelt er eben auch viel Knowhow und Technik.

News4teachers: Haben die Quereinsteiger, die zu Ihnen kommen, denn schon eine genaue Vorstellung, wie die Arbeit in der Montessori-Pädagogik aussehen wird?

Villwock: In aller Regel wissen die Quereinsteiger noch nicht viel, sondern sie kommen erstmal und lernen die Schule und die Montessori-Pädagogik kennen. Wenn wir dann merken, dass es gut passt, dann suchen wir schnell das Gespräch bezüglich einer Ausbildung.

News4teachers: Sie selbst sind auch eine Quereinsteigerin – wie sind Sie zur Montessori-Pädagogik gekommen?

Villwock: Eigentlich über zwei Wege – als Mutter und als Pädagogin. Wir haben hier in der Region ein breit gefächertes Angebot an privaten Kindergärten, unter anderem einen Waldkindergarten, in dem auch mein Sohn war. Als mein Kind dann schulpflichtig wurde, haben ich und zwei andere Mütter uns umgeschaut und zusammen festgestellt, dass es hier gar keine Alternativen zu staatlichen Schulen gibt. Und dann haben wir entschieden: Wir gründen selbst eine! Das war der Startpunkt.

Danach haben wir angefangen, uns mit dem Thema zu beschäftigen: Wie gründet man eine Schule in freier Trägerschaft? In dieser Zeit gab es vom Montessori-Landesverband Hessen ein sogenanntes Montessori-Forum, bei dem sich Montessori-Schulen vorgestellt und ihre Themen und Materialien präsentiert haben. Ich bin damals dorthin gefahren und habe danach direkt meine beiden Kolleginnen angerufen und gesagt: Das ist es! Wir gründen eine Montessori-Schule, das ist genau das, was zu uns passt. Glücklicherweise haben wir dann auch eine Montessori-Pädagogin gefunden, die das Konzept geschrieben und uns bei der Beantragung geholfen hat. 2006 haben wir dann die Schule gegründet, 2007 das Kinderhaus und dann die Sekundarschule. Die ist quasi mit unseren Söhnen gewachsen.

Der andere Weg war, dass ich auf meinem Lebensweg immer mit Pädagogik zu tun hatte. Ich habe eine Ausbildung in Tanzpädagogik gemacht und danach – ich habe Germanistik studiert – Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Durch Zufall habe ich eine Vertretungsstelle für das Fach Deutsch an zwei staatlichen Schulen bekommen und dort Unterrichtserfahrungen gesammelt. Damals habe ich dann überlegt, ob ich das zweite Staatsexamen machen möchte, aber ich habe mich dagegen entschieden, weil ich noch ein komplettes zweites Fach hätte studieren müssen. Stattdessen habe ich mich für die Montessori-Ausbildung entschieden. Alles zusammen – also die Erfahrung an staatlichen Schulen, die Montessori-Ausbildung und das Arbeiten hier an der Schule – haben dazu geführt, dass ich eine unbefristete Unterrichtsgenehmigung für das Fach Deutsch habe. Und es ist zugleich mein persönlicher Weg zur Montessori-Pädagogik.

„Ich finde es gut, […] die Intelligenz einer Gruppe nutzen zu können. Das spart nicht nur Ressourcen und Zeit, sondern hilft auch beim Blick aufs Kind.“

News4teachers: Was ist für Sie das Schönste in der täglichen Arbeit in Ihrer Einrichtung?

Villwock: Das Schönste ist tatsächlich die Zusammenarbeit mit den sehr engagierten und tollen Menschen um mich herum. Dazu gehören nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Kinder und Jugendlichen, die hier sind – egal ob es das dreijährige Kinder im Kinderhaus, das Grundschulkind oder ein Jugendlicher in der Sekundarschule ist. Viele kommen einfach gerne und mit Freude, und das ist etwas, was mich sehr bereichert.

Was ich an meiner täglichen Arbeit aber auch sehr schätze, ist das Arbeiten im Team – sowohl auf der Leitungsebene als auch in den pädagogischen Teams. Ich finde es gut, nicht alleine irgendwie vor mich hin wurschteln zu müssen, sondern das Knowhow – oder wie man sagt – die Intelligenz einer Gruppe nutzen zu können. Das spart nicht nur Ressourcen und Zeit, sondern hilft auch beim Blick aufs Kind: Jeder Mensch hat unterschiedliche Potenziale. Ich als Deutschlehrerin sehe vielleicht nur einen Aspekt: dass das Kind unheimliche Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hat. Dann kommt die Sportlehrerin und sagt: „Ja, aber das ist ein fantastisch sportliches Kind.“ Und die Französischlehrerin sagt: „Das Kind hat ganz viel Gespür für die Sprache und lernt Vokabeln ganz schnell.“ Wenn mehrere Menschen im intensiven Kontakt miteinander sind, wird auch der Blick aufs Kind ein anderer.

News4teachers: Haben Interessenten die Möglichkeit, sich das einmal anzuschauen und bei Ihnen zu hospitieren?

Villwock: Ja, die Möglichkeit gibt es. Zuvorderst bieten wir Hospitationsplätze für Menschen an, die sich gerade in einer Montessori-Ausbildung befinden – auch international. So dass zu uns tatsächlich Menschen aus aller Welt kommen. Wir hatten sogar schon mal Pädagogen aus Japan hier. Zum anderen bieten wir auch den Eltern Hospitationsmöglichkeiten an. Denn gerade im Aufnahmeverfahren ist es für uns ganz wichtig, dass die Eltern sich anschauen können, wo ihr Kind hingehen würde. Damit sie bewusst entscheiden können: Ja, das ist eine Einrichtung, die ich mir vorstellen kann.
Und schließlich können auch externe, interessierte Lehrkräfte bei uns hospitieren. Da wir aber nur begrenzt Platz haben, sind auch die Möglichkeiten für Seiteneinsteiger, bei uns zu hospitieren, begrenzt. Wenn also jemand grundsätzliches Interesse an der Montessori-Pädagogik hat, dann empfehle ich, sich an Montessori Deutschland zu wenden. Der Verband hat eine sehr informative, umfangreiche Homepage. Da findet man alle Informationen, die man braucht, und es gibt eine Deutschlandkarte, auf der man gezielt in der Region, in der man sucht, eine Montessori-Einrichtung finden kann. Außerdem gibt es dort speziell für Pädagog:innen ein Ausbildungsverzeichnis mit einer guten Übersicht, welche Formen von Aus- und Weiterbildung es gibt.

Und nicht zuletzt findet man dort auch das Programm für die didacta in Stuttgart. Montessori Deutschland ist dort mit einem großen Stand und mit einem vielfältigen Programm, das über alle Entwicklungsphasen informiert, vertreten. An einem Tag sind auch Jugendliche vor Ort und berichten. Ich kann junge Nachwuchslehrer:innen und andere interessierte Pädagog:innen nur motivieren, mal vorbei zu kommen – oder sich direkt ein Montessori-Kinderhaus oder eine Montessori-Schule vor Ort anzuschauen. Es ist einfach eine große Freude, in diesem Umfeld zu arbeiten. Agentur für Bildungsjournalismus

Über Nina Villwock
 

Foto: Jürgen Parr

Nina Villwock ist Geschäftsführerende Gesellschafterin der Freien Montessori Schule Main-Kinzig und Vorstandsmitglied des Montessori Bundesverbands Deutschland e.V..

Die Freie Montessori Schule Main-Kinzig-Kreis umfasst neben dem 2007 gegründeten Kinderhaus seit 2007 eine Grundschule und seit 2011 auch eine Sekundarschule. Sie orientiert sich an den internationalen Standards und Richtlinien der Association Montessori International (AMI) und dem Qualitätsrahmen von Montessori Deutschland.

Gemeinsam mit Autorin Friederike Bauer und Fotografin Ute Schmidt hat Nina Villwock die spannende Geschichte der Schulgründung bis zum ersten Mittleren-Reife-Zeugnis in einem Buch veröffentlicht. „Ich mach jetzt Mathe oder Deutsch. Warum Eltern eine Montessori-Schule gründeten und bis heute zufrieden damit sind.“ kann bei den Autorinnen direkt hier bestellt werden.

Dies ist eine Pressemitteilung des Montessori Bundesverbands Deutschland e.V.

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3 Kommentare
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SekII-Lehrer
1 Jahr zuvor

Alle Lehrkräfte an privaten Montessori-Schulen, die ich kenne, arbeiten dort, weil sie nach dem Ref keine Stelle beim Staat bekommen haben. Das liegt nicht daran, dass das staatliche Schulsystem so toll wäre. Ist eine Frage der Bezahlung.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Warum eigentlich wird die Montessori-Pädagogik nicht als „veraltet“ gescholten, wo sie doch aus dem vergangenen Jahrhundert stammt und sich den neuen Modeströmungen erstmal nicht anschließen will? Man legt doch wohl viel Wert auf Gegenstände, die man anfassen kann. Auf der Didacta ist sowas ja schon fast eine Rarität.

Lera
1 Jahr zuvor

Keine Kevins, weniger Stress, viel „beobachten“.